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manchmal noch fremden Toleranz gewichen. Immerhin sind laut einer Emnid-Umfrage für das Nachrichtenmagazin »Focus« im September 2010 bereits 63 Prozent der Deutschen der Auffassung, ein öffentliches Outing im Fußball schade nicht, in England brachte eine Umfrage mit der gleichen Fragestellung im Jahr 2000 sogar den beachtlichen Wert von 93 Prozent. Bereits 2004 hat Nationalspieler Arne Friedrich vermutet: »Es gibt immer mehr Menschen, die schwul sind. Ganz sicher auch Spieler der Fußball-Bundesliga.« Und sein Nationalmannschaftskollege Philipp Lahm unternimmt erst gar nicht den Versuch, die Statistik wegzudiskutieren: »Allein von der prozentualen Verteilung im ganzen Land muss es auch schwule Profi-Fußballer geben.«

      Ein Outing im Profifußball hätte eine fast schon historische Dimension. Tausende junge, homosexuelle Sportler warten sehnsüchtig darauf, dass sich eines ihrer Idole zum Schwulsein bekennt. Es würde wohl vieles erleichtern. »Es wäre nicht nur ein Durchbruch für den Fußball, sondern für die gesamte Gesellschaft«, glaubt Zwanziger. Doch ist der Fußball, wie wir ihn heute kennen, schon bereit für diesen Schritt? Ist das Klima wirklich schon so tolerant? Kann der Sport die Vorurteile gegenüber Homophobie sprengen? Oder muss nicht zuerst der Mob auf den Fantribünen »umerzogen« werden? Ist Dummheit überhaupt kalkulierbar? Für den amerikanischen Sportsoziologen Eric Anderson ist ein Outing längst überfällig. Zwar sei Sport allgemein konservativer als die Gesellschaft selbst. Doch von einem Bollwerk der Homophobie könne beileibe nicht mehr die Rede sein. »Dass Athleten so große Angst davor haben, sich zu outen, ist in unserer Welt einfach irrational.« Das jahrelange Versteckspiel sei für einen schwulen Athleten viel schlimmer. Am stärksten würde die Leistung darunter leiden. »Die ständigen Lügen machen einen psychisch fertig und kosten viel Energie, die dann auf dem Spielfeld fehlt.«

      Dies war genau der Grund für Marcus Urban, der vor dem Sprung in den Zweitliga-Kader von Rot-Weiß Erfurt seine Karriere beendete: sich der psychischen Belastung nicht mehr aussetzen zu wollen. Eine Erfahrung, die auch Schiedsrichter Blankenstein aus vielen Gesprächen kennt: »Sie müssen sich konzentrieren, den harten Kerl raushängen zu lassen. Diese Spieler sind nicht sie selbst. Sie verdrängen ihre Gefühle und verhalten sich wie Machos. Nachts suchen sie aber doch nach ihrer sexuellen Befriedigung.« In einem anderen Punkt sind sich Urban und Blankenstein ebenfalls einig: Wer einen schwulen Fußballer erkennen will, sollte sich die Statistik der Gelben und Roten Karten zu Gemüte führen. Gerade weil sie Angst vor Entdeckung haben, tarnen sie sich mit einer bewusst aggressiven Spielweise. Oder wie es Andreas Stiene, Organisator der Sportveranstaltung »Come-Together-Cup« in Köln, ausdrückt: »Die übelsten Treter waren die, die ich nach dem Spiel in der Schwulen-Disko getroffen habe.«

      »Also ging ich diese Straße lang

      und die Straße führte zu mir.

      Das Lied, das du am letzten Abend sangst,

      spielte nun in mir.

      Noch ein paar Schritte und dann war ich da

      mit dem Schlüssel zu dieser Tür.«

      »Dieser Weg wird kein leichter sein« – Naidoo sang die Hymne zur WM 2006.

      Das Klima ändert sich

      In der über hundertjährigen Geschichte des deutschen Fußballs gab es noch keinen bekennenden schwulen Erstligaspieler, zumindest keinen, der sich zu Lebzeiten erklärt hätte. Heinz Bonn, der Anfang der 1970er Jahre beim Hamburger SV spielte, wurde 1991 angeblich von einem Stricher ermordet – geoutet im Tod. Auch international haben sich bislang nur wenige Profis geoutet: Im Jahr 1990 offenbarte sich der Engländer Justin Fashanu von Nottingham Forrest, der daraufhin nicht nur aus dem Team geworfen, sondern auch von der eigenen Familie verstoßen wurde. Nachdem acht Jahre später Missbrauchsvorwürfe gegen Fashanu erhoben wurden, erhängte er sich unter mysteriösen Umständen.

      Der frühere brasilianische Nationalspieler Marcos Vampeta, der auch bei Inter Mailand aktiv war, outete sich ebenso wie sein Landsmann Túlio Maravilha (kurzzeitig auch beim FC Sion in der Schweiz am Ball) Anfang der 1990er. Auch in Frankreich bekannte sich ein prominenter Kicker zu seiner Homosexualität – freilich erst rund 20 Jahre nach seiner aktiven Karriere: Der frühere Nationalspieler Olivier Rouyer (AS Nancy, Racing Strasbourg, Olympique Lyon) arbeitet seit vielen Jahren erfolgreich als Moderator für das französische Bezahl-Fernsehen.

      Im März 2011 überraschte der schwedische Nachwuchsprofi und frühere U17-Nationalspieler Anton Hysén vom BK Häcken die Öffentlichkeit mit einem Outing im Fußball-Magazin »Offside«: »Ich bin Fußballer – und ich bin schwul. Wenn ich meine Leistung bringe, spielt es doch überhaupt keine Rolle, ob ich auf Frauen oder Männer stehe«, sagt Hysén, dessen Vater Glenn einst ein gefeierter Star beim FC Liverpool war und zu den bekanntesten Fußballern Schwedens zählt. Zweifel bleiben trotz der überwiegend positiven Resonanz auf sein Outing: »Es könnte ja sein, dass ein Club Interesse an mir zeigt – und dann hört der Trainer, dass ich schwul bin, und dann ändern sie vielleicht plötzlich ihre Meinung.« Anton Hysén bedauert, dass er der bislang einzige Profi Schwedens ist, der zu seiner Homosexualität steht. Fast schon beschwörend fragt er deshalb: »Wo zum Teufel sind die anderen?«

      Ganz einfach: Im millionenschweren Profifußball werden diese Neigungen tunlichst unter der Decke gehalten. Fußballprofis gehen Scheinehen ein und hoffen, sich zumindest bis zum Karriereende unbeobachtet durchmogeln zu können. Dabei hat Fußball-Legende Pelé in einem Interview mit dem brasilianischen »Playboy« vor vielen Jahren schon einen völlig unverkrampften Umgang mit dem Thema bewiesen: »Als ich 14 oder 15 war, hatte ich eine Reihe homosexueller Beziehungen. Außerdem hatte ich meine erste sexuelle Erfahrung mit einem Homosexuellen.« Die körperliche Nähe zu einem Mann wurde im Juni 2011 auch Diego Forlan unterstellt. Der Nationalspieler Uruguays in Diensten von Atletico Madrid, bei der WM 2010 zum besten Spieler des Turniers gewählt, trennte sich wenige Wochen vor der geplanten Hochzeit von seiner Partnerin Zaira Nara. Der Grund für das Beziehungsende mit dem argentinischen Model soll laut übereinstimmenden Medienberichten in Südamerika nicht eine andere Frau, sondern ein Mann gewesen sein. Forlan selbst kommentierte die Angelegenheit völlig unaufgeregt: »Ich habe sie verlassen, weil ich sie nicht mehr liebe.«

      Eine Gratwanderung unternimmt seit Jahren auch der englische Fußballstar David Beckham – ohne negative Folgen. Er hat sich selbst als metrosexuell bezeichnet und zugegeben, dass er sich gerne mal die Fußnägel lackiert und die Unterwäsche seiner Frau trägt. Vor 20 Jahren noch wäre mit diesem öffentlichen Bekenntnis wahrscheinlich seine Karriere beendet gewesen, heute sagt Beckham im »people«-Magazin: »Eine schwule Ikone zu sein ist eine große Ehre für mich. Ich bin mir meiner weiblichen Seite sehr bewusst und habe auch kein Problem damit.« Ohnehin versprüht der Fußball auf viele auch einen Hauch von Homoerotik. Oder wie es Renate Rampf vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) etwas philosophisch ausdrückt: »Sie jubeln gemeinsam, umarmen sich, sie trauern und sie weinen zusammen. Es sieht aus wie Liebe. Aber es ist keine Liebe. Es ist Fußball.«

      »Es war nur ein kleiner Augenblick.

      Einen Moment war ich nicht da.

      Danach ging ich einen kleinen Schritt

      und dann wurde es mir klar.«

      Auch wenn es die Assauers und Daums im deutschen Fußball immer noch gibt – die Mehrheit hat längst erkannt, dass der Leistungssport mit all seiner sozialen Verantwortung nicht die Augen vor der Realität verschließen kann. Löw zieht Parallelen: »Was heute in der Politik möglich ist, war vor 20 Jahren doch auch noch nicht denkbar«, so der Bundestrainer in einem Interview mit der Zeitschrift »Brigitte«. Löw sieht die Funktionäre in der Pflicht, den Umgang mit Homosexuellen im Fußball zu verändern. »Jetzt sind wir Trainer, die Manager, die Vereine, eben alle, die in der Verantwortung stehen, dahingehend gefordert, dass wir die Menschen im Stadion und vor dem Fernseher sensibilisieren. Dass jemand, der sich zu etwas bekennt, sei das nun eine Krankheit oder eine Lebensform, respektvoll behandelt wird.«

      Doch daran glauben längst nicht alle. In einem »Bunte«-Interview im Mai 2011 warnte Bayern-Kapitän Lahm seine Berufskollegen eindringlich vor einem Outing: »Für denjenigen, der es tut, würde es sehr schwer werden.

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