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Heidi kann brauchen, was es gelernt hat. Johanna Spyri
Читать онлайн.Название Heidi kann brauchen, was es gelernt hat
Год выпуска 0
isbn 9788726539998
Автор произведения Johanna Spyri
Издательство Bookwire
Hand in Hand mit dem guten Freunde stieg es nun zu der Hütte hinan. Es war dem Heidi so sehr daran gelegen, den Herrn Doktor wieder froh zu machen, dass es ihn noch einmal zu überzeugen anfing, es währe so wenig lange auf der Alm, bis die langen, warmen Sommertage wiederkommen, dass man es kaum merke, und dabei wurde das Heidi selbst so überzeugt von seinem Trost, dass es oben dem Grossvater ganz fröhlich entgegenrief:
„Sie sind noch nicht da, aber es währt gar nicht lange, so kommen sie auch.“
Für den Grossvater war der Herr Doktor kein Fremder, das Kind hatte ja so viel von ihm gesprochen. Der Alte streckte seinem Gaste die Hand entgegen und bewillkommte ihn mit Herzlichkeit. Dann setzten sich die Männer auf die Bank an der Hütte, auch für das Heidi wurde da noch ein Plätzchen gemacht, und der Herr Doktor winkte ihm freundlich, dass es neben ihm sitzen solle. Nun fing er an zu erzählen, wie Herr Sesemann ihn ermuntert habe, die Reise zu machen, und wie er auch selbst gefunden, es möchte gut für ihn sein, da er sich seit langem nicht mehr recht frisch und rüstig kühle. Dem Heidi sagte er dann ins Ohr, es werde bald noch etwas den Berg heraufkommen, das aus Frankfurt mit hergereist sei und ihm eine viel grössere Freude machen werde als der alte Doktor. Das Heidi war sehr gespannt darauf, zu erfahren, was das sein könne. Der Grossvater ermunterte den Herrn Doktor sehr, die schönen Herbsttage noch auf der Alm zuzubringen oder wenigstens an jedem schönen Tage heraufzukommen, denn hier oben zu bleiben, dazu konnte ihn der Alm-Öhi nicht einladen, da war ja keine Gelegenheit, den Herrn einzulogieren. Er riet aber seinem Gaste, nicht bis nach Ragaz zurückzukehren, sondern unten im Dörfli ein Zimmer zu beziehen, das er im dortigen Wirtshause in einer einfachen, aber ganz ordentlichen Art finden werde. So könnte der Herr Doktor jeden Morgen nach der Alm heraufkommen, was ihm wohltun müsste, meinte der Öhi; auch würde er dann gern den Herrn noch auf allerlei Punkte führen, weiter hinauf in die Berge, wo es ihm gefallen sollte. Diesem gefiel der ganze Vorschlag sehr wohl, und es wurde festgesetzt, dass er ausgeführt werden sollte.
Unterdessen war die Sonne in den Mittag gekommen; der Wind hatte sich schon lange gelegt, und die Tannen waren ganz still geworden. Die Luft war für die Höhe noch mild und lieblich und säuselte. erfrischende Kühle um die sonnenbeschienene Bank.
Jetzt stand der Alm-Öhi auf und ging in die Hütte hinein, tam aber gleich wieder und brachte einen Tisch heraus, den er vor die Bant hinstellte.
„So, Heidi, nun hol herbei, was wir zum Essen brauchen“, sagte er. „Der Herr muss nun vorlieb nehmen; ist unsere Küche auch einfach, so ist das Esszimmer doch anständig.“
„Das meine ich auch“, erwiderte der Herr Doktor, indem er auf das sonnenbeleuchtete Tal hinunterschaute, „und die Einladung nehme ich gern an, hier oben muss es schmecken.“
Das Heidi lief nun hin und her wie ein Wiesel und brachte herbei, was es nur drinnen im Schranke finden konnte; denn dass es den Herrn Doktor bewirten durfte, war ihm eine ungeheure Freude. Der Grossvater bereitete unterdessen das Mahl und trat nun heraus mit dem dampfenden Milchkruge und dem goldig glänzenden Käsebraten. Dann schnitt er schöne, durchsichtige Schnitten von dem rosigen Fleisch herunter, das er hier oben an der reinen Luft getrocknet hatte. Dem Herrn Doktor schmeckte sein Mittagsmahl so gut, wie das ganze Jahr durch noch kein einziges Mal.
„Ja, ja, hierhin muss unsere Klara kommen“, sagte er jetzt; „da wird sie zu ganz neuen Kräften gelangen, und wenn sie eine Zeitlang isst wie ich heute, so wird sie rund und fest werden, wie sie in ihrem Leben noch nie war.“
Jetzt kam von unten herauf einer angestiegen, der hatte einen grossen Ballen auf dem Rücken. Wie er oben bei der Hütte ankam, warf er seine Last auf den Boden hin und sog ein paar gute Züge von der frischen Almluft ein.
„Ah, da kommt, was mit mir von Frankfurt hergereist ist“, sagte der Herr Doktor aufstehend, und das Heidi mit sich ziehend trat er an den Ballen hin und fing an, ihn aufzulösen. Als die erste, schwere Hülle weg war, sagte er:
„So Kind, nun fahr weiter fort und hol dir deine Schätze selbst heraus!“
Das Heidi tat so, und wie nun alles auseinanderrollte, schaute es mit grossen, verwunderten Augen auf die Dinge hin. Erst als der Herr Doktor wieder herzutrat und von der grossen Schachtel den Deckel weghob, dem Heidi bedeutend: „Sieh, was die Grossmutter zum Kaffee bekommt“, da schrie es auf vor Freuden: „Oh! Oh! Jetzt kann die Grossmutter einmal schöne Kuchen essen“ und sprang rings um die Schachtel herum und wollte gleich alles zusammenpacken und zur Grossmutter hinuntereilen. Aber der Grossvater sagte, gegen Abend wollten sie dann miteinander den Herrn Doktor begleiten und die Sachen mitnehmen. Jetzt fand das Heidi auch das schöne Säckchen Tabak und brachte es schnell dem Grossvater herüber. Das gefiel ihm sehr wohl; er füllte gleich sein Pfeifchen damit, und die beiden Männer sprachen nun, auf der Bank sitzend und grosse Rauchwolken von sich blasend, über allerhand Dinge, während das Heidi hin und her sprang von einem seiner Schätze zum anderen. Auf einmal kam es wieder zu der Bank zurück, stellte sich vor den Gast hin, und sowie die erste Pause im Gespräch entstand, sagte es sehr bestimmt:
„Nein, das andere hat mir nicht mehr Freude gemacht als der alte Herr Doktor.“
Die beiden Männer mussten ein wenig lachen, und der Herr Doktor sagte, das hätte er nicht gedacht.
Als die Sonne bald hinter die Berge hinabsteigen wollte, stand der Gast auf, um seine Rückreise nach dem Dörfli anzutreten und dort Quartier zu nehmen. Der Grossvater packte die Kuchenschachtel, die grosse Wurst und das Tuch unter seinen Arm, der Herr Doktor nahm das Heidi an die Hand, und so wanderten sie den Berg hinunter bis zur Geissenpeter-Hütte. Hier musste das Heidi Abschied nehmen; es sollte drinnen bei der Grossmutter warten, bis es wieder abgeholt würde vom Grossvater, welcher seinen Gast nach dem Dörfli hinunter geleiten wollte. Als der Herr Doktor dem Heidi die Hand zum Abschied bot, fragte es: „Wollen Sie etwa gern morgen mit den Geissen auf die Weide hinaufgehen?“, denn das war das Schönste, was es kannte.
„Es bleibt dabei, Heidi“, erwiderte er, „wir gehen zusammen.“
Nun gingen die Männer weiter, und das Heidi trat bei der Grossmutter ein. Erst schleppte es mit Anstrengung die Kuchenschachtel mit; dann musste es wieder hinaus, um die Wurst zu holen — denn der Grossvater hatte alles vor der Tür niedergelegt —, nachher musste es erst noch einmal hinaus, das grosse Tuch zu holen. Es brachte alles so nahe an die Grossmutter heran, als nur möglich, damit sie recht alles berühren könne und wisse, was es sei. Das Tuch legte es ihr auf die Knie.
„Es ist alles aus Frankfurt, von der Klara und der Grossmama“, berichtete es der hocherstaunten Grossmutter und der verwunderten Brigitte, der die Überraschung so in die Glieder gefahren war, dass sie unbeweglich zugeschaut hatte, wie das Heidi mit der grössten Anstrengung die schweren Gegenstände hereingeschleppt und nun alles vor ihren Augen ausgebreitet hatte.
„Aber gelt, Grossmutter, die Kuchen freuen sich furchtbar stark? Sieh nur, wie weich sie sind!“ rief das Heidi immer wieder, und die Grossmutter bestätigte: „Ja, ja, gewiss, Heidi; was sind das auch für gute Leute!“ Dann strich sie wieder mit der Hand über das warme, weiche Tuch und sagte: „Aber das ist etwas Herrliches für den kalten Winter! Das ist etwas so Prächtiges, dass ich nie geglaubt hätte, ich könnte in meinem Leben dazu kommen.“
Das Heidi aber musste sich sehr verwundern, dass die Grossmutter an dem grauen Tuch noch mehr Freude haben konnte als an den Kuchen. Die Brigitte stand immer noch vor der Wurst, die auf dem Tische lag, und schaute sie fast mit Verehrung an. In ihrem ganzen Leben hatte sie nie eine solche Riesenwurst gesehen, und diese sollte sie nun selbst besitzen und einmal sogar anschneiden; das kam ihr unglaublich vor. Sie schüttelte den Kopf und sagte zaghaft: „Man wird doch noch den Öhi fragen müssen, wie das gemeint sei.“
Aber das Heidi sagte ganz ohne Zweifel: „Das ist zum Essen gemeint und gar nicht anders.“
Jetzt kam der Peter hereingestolpert: „Der Alm-Öhi kommt hinter mir drein, das Heidi soll —“; er konnte nicht mehr weiter. Seine Blicke waren auf den Tisch gefallen, wo die Wurst lag, und der Anblick hatte ihn so überwältigt, dass er kein Wort mehr fand. Aber das Heidi hatte