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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie
Год выпуска 0
isbn 9788075836854
Автор произведения Georg Ebers
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Aesop19, der Thierfabeldichter, welcher damals gleichfalls im Sklavendienste des Iadmon verweilte, freute sich ganz besonders an der Liebenswürdigkeit und dem Geiste des Kindes. Er belehrte es in allen Dingen und sorgte für Rhodopis wie ein Pädonomus20, den wir Athener den Knaben halten. Der gute Lehrer fand eine lenksame, schnell begreifende Schülerin, und die kleine Sklavin redete, sang und musicirte in kurzer Zeit besser und anmuthiger, als die Söhne des Iadmon, welche auf’s Sorgfältigste erzogen wurden. In ihrem vierzehnten Jahre war Rhodopis so schön und vollendet, daß die eifersüchtige Gattin des Iadmon das Mädchen nicht länger in ihrem Hause duldete und der Samier seinen Liebling schweren Herzens an einen gewissen Xanthus verkaufen mußte. Zu Samos herrschte damals noch der wenig bemittelte Adel. Wäre Polykrates schon am Ruder gewesen, so hätte sich Xanthus um keinen Käufer zu grämen brauchen. Diese Tyrannen füllen ihre Schatzkammern, wie die Elstern ihre Nester! So zog er denn mit seinem Kleinode nach Naukratis, und gewann hier durch die Reize seiner Sklavin große Summen. Damals erlebte Rhodopis drei Jahre der tiefsten Erniedrigung, deren sie mit Schauder gedenkt.
»Als endlich der Ruf ihrer Schönheit in ganz Hellas bekannt geworden war, und Fremde aus weiter Ferne nur um ihretwillen nach Naukratis kamen21, geschah es, daß das Volk von Lesbos seinen Adel vertrieb und den weisen Pittakus zum Herrscher wählte. Die vornehmsten Familien mußten Lesbos verlassen, und flohen theils nach Sizilien, theils nach dem griechischen Italien, theils nach Aegypten. Alcaeus22, der größeste Dichter seiner Zeit, und Charaxus, der Bruder jener Sappho23, deren Oden zu erlernen der letzte Wunsch unseres Solon war, kamen hierher nach Naukratis, welches schon lange als Stapelplatz des ägyptischen Verkehrs mit der ganzen übrigen Welt blühte. Charaxus sah Rhodopis, und liebte sie bald so glühend, daß er eine ungeheure Summe hingab, um sie dem feilschenden Xanthus, welcher in die Heimath zurückzukehren wünschte, abzukaufen. Sappho verspottete den Bruder dieses Kaufes wegen mit beißenden Versen; Alcaeus aber gab dem Charaxus Recht, und besang Rhodopis in glühenden Liedern.
»Der Bruder der Dichterin, der sich früher unter den Fremden in Naukratis verloren hatte, ward plötzlich durch Rhodopis berühmt. In seinem Hause versammelten sich um ihretwillen alle Fremden, und überhäuften sie mit Geschenken. Der König Hophra26, welcher viel von ihrer Schönheit und Klugheit gehört hatte, ließ sie nach Memphis kommen, und wollte sie dem Charaxus abkaufen; dieser aber hatte ihr längst im Geheimen die Freiheit geschenkt und liebte sie zu sehr, um sich von ihr trennen zu mögen. Andererseits liebte auch Rhodopis den schönen Lesbier, und verblieb gerne bei ihm, trotz der glänzenden Anerbietungen, welche ihr von allen Seiten gemacht wurden. Endlich machte Charaxus das wunderbare Weib zu seiner rechtmäßigen Gattin, und blieb mit ihr und ihrem Töchterchen Klëis in Naukratis, bis Pittakus die Verbannten in die Heimath zurück berief.
»Nun begab er sich mit seiner Gemahlin nach Lesbos. Auf der Reise dorthin erkrankte er und starb bald nach seiner Ankunft in Mitylene. Sappho, welche ihren Bruder wegen seiner Mißheirath verspottet hatte, wurde schnell zur begeisterten Bewundererin der schönen Wittwe, welche sie, mit ihrem Freunde Alcaeus wetteifernd, in leidenschaftlichen Liedern besang.
»Nach dem Tode der Dichterin zog Rhodopis mit ihrem Töchterlein nach Naukratis zurück, und wurde hier gleich einer Göttin empfangen. Amasis27, der jetzige König von Aegypten, hatte sich unterdessen des Thrones der Pharaonen bemächtigt, und behauptete ihn mit Hülfe der Soldaten, aus deren Kaste er stammte. Da sein Vorgänger Hophra durch seine Vorliebe für die Griechen und den Verkehr mit den allen Aegyptern verhaßten Fremden seinen Sturz beschleunigt und namentlich die Priester und Krieger zu offener Empörung veranlaßt hatte, so hoffte man mit Sicherheit, daß Amasis, wie in alten Zeiten, das Land den Fremden absperren28, die hellenischen Söldner entlassen und statt auf griechische Rathschläge, auf die Befehle der Priester hören werde. Nun, Du siehst ja selbst, daß sich die klugen Aegypter in ihrer Königswahl betrogen haben und aus der Scylla in die Charybdis gefallen sind. Wenn Hophra ein Freund der Griechen war, so können wir Amasis unsern Liebhaber nennen. Die Aegypter, und vor allen die Priester und Krieger, speien Feuer und Flamme und möchten uns am liebsten sammt und sonders hinschlachten, wie Odysseus die Freier, die sein Gut verpraßten. Um die Krieger bekümmert sich der König nicht viel, weil er weiß, was jene und was wir ihm leisten; auf die Priester muß er jedoch immerhin Rücksicht nehmen, denn von einer Seite haben sie unbegrenzten Einfluß auf das Volk, dann aber hängt der König auch mehr, als er uns gegenüber eingesteht, an jener abgeschmackten Religion29, welche in diesem seltsamen30 Lande seit Jahrtausenden unverändert fortbesteht, und deßhalb ihren Bekennern doppelt heilig erscheint. Diese Priester machen dem Amasis das Leben schwer, verfolgen und schaden uns wie und wo sie können, ja ich wäre längst ein todter Mann, wenn der König nicht seine schützende Hand über mich ausgebreitet hätte. Doch wohin gerathe ich! Rhodopis ward also zu Naukratis mit offenen Armen empfangen und von Amasis, der sie kennen lernte, mit Gunstbezeugungen überhäuft. Ihre Tochter Klëis, welche, wie jetzt Sappho, niemals die allabendlichen Zusammenkünfte in ihrem Hause theilen durfte, und beinahe noch strenger als die anderen Jungfrauen von Naukratis erzogen wurde, heirathete Glaukus, einen reichen phocäischen Handelsherrn aus edlem Hause, der seine Vaterstadt gegen die Perser tapfer vertheidigt hatte, und folgte demselben nach dem neu gegründeten Massalia31, an der celtischen Küste. Die jungen Leute erlagen dem dortigen Klima, nachdem ihnen eine Tochter, Sappho, geboren war. Rhodopis unternahm selbst die lange Fahrt gen Westen, holte die junge Waise ab, nahm sie zu sich in’s Haus, ließ sie auf’s Sorgfältigste erziehen, und verbietet ihr jetzt, da sie erwachsen ist, die Gesellschaft der Männer, denn sie fühlt die Flecken ihrer frühesten Jugend so tief, daß sie ihre Enkelin, und das ist bei Sappho keine schwere Aufgabe, entfernter von jeder Berührung mit unserem Geschlecht hält, als es die ägyptische Sitte gestatten würde. Meine Freundin selbst bedarf des geselligen Verkehrs so nothwendig, wie ein Fisch des Wassers, wie ein Vogel der Luft. Alle Fremden besuchen sie, und wer ihre Gastfreundschaft einmal gekostet hat, der wird, wenn es ihm seine Zeit erlaubt, niemals fehlen, so oft die Fahne einen Empfangsabend verkündet. Jeder Hellene von irgend welcher Bedeutung besucht dieses Haus, denn hier wird berathen, wie man dem Hasse der Priester begegnen könne, und wie der König zu dem oder jenem zu bereden sei. Hier trifft man stets die neuesten Nachrichten aus der Heimath und der ganzen übrigen Welt, hier findet der Verfolgte ein unantastbares Asyl, denn der König hat seiner Freundin einen Freibrief gegen alle Belästigungen der Sicherheitsbehörde32 gegeben hier hört man die Sprache und Lieder der Heimath, hier wird berathen, wie Hellas von der wachsenden Alleinherrschaft33 befreit werden kann; dieses Haus ist mit einem Worte der Knotenpunkt aller hellenischen Interessen in Aegypten und von höherer politischer Bedeutung, als selbst das Hellenion, die hiesige Tempel- und Handelsgemeinschaft34. In wenigen Minuten wirst Du die seltene Großmutter, und vielleicht auch, wenn wir allein bleiben, die Enkelin sehen, und schnell begreifen, daß diese Menschen keinem Glücke, sondern ihrer Trefflichkeit Alles verdanken. Ha, da sind sie! Jetzt gehen sie dem Hause zu. – Hörst du die Sklavinnen singen? Jetzt treten sie ein. Laß sie sich erst niederlassen, dann folge mir, und beim Abschiede will ich Dich fragen, ob Du bereust, mit mir gegangen zu sein, und ob Rhodopis nicht eher einer Königin gleicht, als einer freigelassenen Sklavin.«