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Geschichten von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen wie Getriebene unterwegs sind. Dabei geht es immer wieder darum, dass sie auf sich zurückgeworfen werden. Die Urgeschichte von der Vertreibung Adams und Evas erzählt davon, dass der Mensch sein ursprüngliches Zuhause, sein »Paradies«, verliert (Genesis 3). In dem Moment, als Adam und Eva mehr wollen, als nur zu sein, und vom Baum der Erkenntnis essen, stehen sie nackt da. Sie verlieren ihr Zuhause. Der Mythos ist der Versuch, die Welt zu erklären, in der sich die Menschen so oft als verloren und heimatlos erfahren. Das Buch Exodus erzählt die fantastische Geschichte eines ganzen Volkes, das vierzig Jahre lang umherirrt und dabei sich selbst findet (Exodus 1–15). Der Einzug in das »Gelobte Land« ist sozusagen die Rückkehr in das verlorengegangene Paradies. Es ist eine Geschichte vom Heimkommen. Dieses Ankommen bei sich selbst war aber nur nach einer langen Zeit des Lebens in der Fremde möglich. Die Versklavung in Ägypten und der lange Weg durch die Wüste lassen sich auch wie Bildergeschichten für die innere Befreiung und die lange Reise zu sich selbst lesen. Ein Großteil der Texte in der hebräischen Bibel, dem Alten Testament, beschreibt diese Urerfahrung des Menschen, der nicht bei sich zu Hause ist und gerade dadurch auf sich selbst zurückgeworfen wird. Die literarisch produktivste Phase der Bibel war die Zeit im und nach dem Babylonischen Exil. Historisch beginnt die Exilszeit 597 v. Chr. mit der ersten Eroberung Jerusalems und des Königreiches Juda durch den babylonischen König Nebukadnezar II. und dauert bis zur Eroberung Babylons 539 v. Chr. durch den Perserkönig Kyros II. Die Jerusalemer Oberschicht war nach Babylon verschleppt worden. Eine traumatische Erfahrung, die literarisch verarbeitet und theologisch gedeutet wird.

      Theologisch bezeichnet das Exil den Verlust des von Gott verheißenen Landes. Und gerade in dieser Phase entdeckt das Volk Israel sich selbst und seinen Gott neu und kehrt nach Hause zurück.

      Schließlich denke ich noch an eine neutestamentliche Erzählung, eine Beispielgeschichte von einem, dessen Unglück damit begann, dass er nicht zu Hause geblieben ist. Es ist die Parabel vom sogenannten verlorenen Sohn, die eigentlich eine Geschichte der Heimkehr und der Entdeckung des eigentlichen Zuhauses ist (Lukas 15,11–32). Warum kreisen so viele Geschichten um das Aufbrechen und Weglaufen, um das Vertriebenwerden und Heimkehren? Immer geht es um die Entdeckung des Wesentlichen im Leben, die in diesen Erzählungen beschrieben wird.

      Ich sitze im Lockdown in meinem Zimmer, bin äußerlich zu Hause, fühle mich aber gleichzeitig wie jemand, der sein altes Leben und damit sein eigentliches Zuhause auch ein Stück weit verloren hat oder daraus vertrieben wurde. Es kommt mir an manchen Tagen vor wie ein Exil in den eigenen vier Wänden, wie eine Wüstenzeit, ohne dass ich schon wie die biblischen Autoren deutend und verstehend auf diese Zeit zurückschauen könnte. Ich stecke gerade mittendrin in der Wüste, im Exil. Ich ahne nur, dass diese Zeit »zwischen« meinem bisherigen und dem zukünftigen Leben Bedeutung hat Die biblischen Erzählungen vom Zug des Volkes Israel durch die Wüste und vom Ankommen im »Gelobten Land«, von der Heimkehr aus dem Exil machen mir Mut, dass auch meine Geschichte gut ausgehen kann. Sie können meine Widerstandskraft, meine persönliche Resilienz stärken, weil ich an ihnen ablesen kann, wie das ist, im Ausnahmezustand zu leben. Ich versuche aus diesen Geschichten zu lernen, die gegenwärtige Situation nicht nur auszuhalten oder zu überstehen, sondern im besten Fall bewusst wahrzunehmen und zu gestalten, ohne letztlich zu wissen, was mich danach erwartet. Immer wieder also kommen mir biblische Erzählungen und Bilder in den Sinn. Viele Menschen in meinem Umfeld erleben diese Zeit wie ich auch als eine Art Exil oder Wüstenzeit. Für andere erscheint der Verlust des gewohnten Lebens wie die Vertreibung aus dem Paradies. Wieder andere erleben das ohnehin harte Leben noch härter und unverstellt ungerecht.

      Ich schaue in den blanken Himmel ohne Kondensstreifen und kreise um die Frage: Was ist wesentlich?

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