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erfolgreich, doch an das Einkommen der Prostituierten kommt er nicht ansatzweise heran. Ihr Kundenkreis wird immer exklusiver und prominenter. Sie hatte zwar ein elegantes, aber elitäres Auftreten und wenn sich die Fotos vom Tatort und der gesamten Wohnung anschaut, war immer noch ein Rest von Bürgerlichkeit im Spiel. Womöglich war es für die Herren, die zu ihr kamen, eine Mischung aus deutscher Gemütlichkeit und prickelnder Erotik.

      Das geht auf. Rosemarie Nitribitt verdient bis zu 8 000 DM im Monat. Da sie keine Steuern zahlt und auch keinen Zuhälter aushalten muss, gehört sie zu den Top-Verdienern der jungen Bundesrepublik. Offenbar weiß keiner so gut wie sie, die Marke Sex zu vermarkten. Ihr Auftreten ist keineswegs verschämt, sondern offensiv und selbstbewusst. Sie lässt sich vor oder während des Sexes von ihren Kunden fotografieren. Häufiger lädt die noch Kolleginnen ein, um auch Gruppensex zu bieten und dabei wird gegenseitig fotografiert. Diese Fotografien werden quasi als Trophäen beim nächsten Treff wieder präsentiert.

      Die Polizei findet Unmengen von solchen Fotos im Nachlass der Prostituierten. Sie werden über Jahrzehnte weggeschlossen, um betroffene Männer zu schützen. Einige bisher unveröffentlichte Bilder zeigen Rosemarie Nitribitt, wie man sie bisher noch nicht sah, im vertrauten Umgang mit älteren Herren. Händchenhaltend bei einer Abendveranstaltung oder ganz intim zu zweit in ihrer Wohnung.

      Auch einer der prominentesten Männer seiner Zeit findet sich in der Fotosammlung. Harald von Bohlen und Halbach, einer der sechs Söhne von Gustav von Bohlen und Halbach. Aufgewachsen in der legendären Villa Hügel in Essen. Er gehört einer der reichsten industriellen Familien in Europa an. Der Krupp-Konzern ist über Jahrzehnte die bedeutendste Stahl- und Eisenschmiede. Wäre seine Beziehung zu Rosemarie damals bekannt geworden, wäre es für die Familie und die Firma ein unglaublicher Skandal gewesen, zumal er nicht einfach nur ein Freier ist.

      Nitribitt sprach den 41-Jährigen im März 1957 in der Nähe des „Frankfurter Hofes“ aus ihrem Cabrio heraus an. Nach einer kurzen Spritztour durch die Stadt hatten sie laut seiner späteren Aussage „G. V.“, also Sex. 200 DM gab er ihr danach.

      Die Nitribitt sei ihm einfach „sympathisch“ gewesen, sagte von Bohlen und Halbach später. Die Anlagen des Vernehmungsprotokolls der „Spur 32“ beweisen: Harald war verliebt. Bei den „Korrespondenzunterlagen“ handelt es sich um 19 stark romantisierte Liebesbriefe und Gedichte. Er schickte Blumen und Küsse und eine Christophorus-Plakette für ihr Mercedes-Cabrio, die sie erinnern sollte, vorsichtig zu fahren. Er schrieb seiner Postkarten mit Bergmotiven aus St. Moritz, aus Tirol, aus dem „Ritz Carlton“ in Montreal, rief sie vom Apparat seiner Mutter Bertha aus an, oder besuchte sie in ihrer Wohnung. Auf einem Foto sitzt er auf ihrem Chippendalesessel. „Seiner Seele Seligkeit“ wollte von Bohlen und Halbach für eine Nacht auf ihren „mondscheinblassen“ Brüsten dahingeben. Er schenkte Rosemarie Schmuck, Perlenohrringe, eine Pferdegruppe aus Porzellan, bald besaß sie einen Schmuckkoffer aus Leder, Schweizer Uhren, Wein aus der Kruppschen Hauskellerei.

      Aber was sie wirklich wollte, bekam sie nicht. Das Leben verläuft nicht nach „Pretty Woman“-Drehbuch. Nitribitts Spitzname „Gräfin Mariza“ ließ sie in der Hierarchie unter ihresgleichen aufsteigen - aber die deutschen Familiendynastien waren moralische Instanzen. Und Nitribitt war keine, die man heiratet. Er hat sie unterstützt, gefiel sich in der Rolle des Gönners, pflegten sehr enge Beziehungen. Aber es war eine Liebesbeziehung ohne Zukunft, den er schrieb auch: „Zum Heiraten müssen wir wohl auf dem Mond fliegen“. Von dem alleinstehenden Krupp-Spross hatte Nitribitt silbern gerahmtes Foto auf ihrem Musikschrank stehen. Sie bezeichnete ihn als ihren festen Freund. Von Bohlen und Halbach machte sich kaum Illusionen. Sein „Fohlen“, dem er „1000 Zuckerstücke ins Maul stecken“ wollte, musste er auf „Rehchen“ umtaufen, weil schon ein anderer sie „Fohlen“ rief.

      Einmal überredete Nitribitt ihn, mit ihr das Haus zu verlassen, sie gingen zu „Betten Raab“, wo er ein Muster für Steppdecken und Kopfkissen ihres Doppelbetts aussuchen sollte. Klingt, als habe Nitribitt ein wenig Nestbau betrieben. Noch vor der Angst vor Aids und der Selbstverständlichkeit der Pille sorgte von Bohlen und Halbach immer für Präservative, damit Nitribitt ihm kein Kind anhängen konnte.

      Vor dem jungen Krupp empfängt Rosemarie Nitribitt 1957 einen weiteren Harald in ihrer Wohnung. Und der nannte sie „Fohlen“. Ebenfalls ein prominenter Industrieller. Dieser ist im Gegensatz zum Krupp-Sohn sogar verheiratet. Harald Quandt, ein Mann mit bewegter Geschichte. Seine Mutter Magda lässt sich früh scheiden und heiratet 1931 Joseph Goebbels. 1945 tötet sie sich im Führerbunker nicht nur selbst, sondern auch Haralds sechs Halbgeschwister.

      Eines Samstagabends tauchte Rosemarie Nitribitt im November 1956 im drei Stunden entfernten Bad Homburg auf dem feudalen Anwesen der milliardenschwere Industriellenfamilie Quandt auf. Sie trug ein hautenges Cocktailkleid, stellte sich dem 35 Jahre alte Harald Quandt auf der Geburtstagsparty von dessen 28-jähriger Frau als Rebecca Wolf vor, nippte am Sekt und ging wieder, denn sie lernte auf dieser Party auch Gunter Sachs kennen, was auch einen Einblick in die Partykultur dieser Zeit gibt. Rosemarie verschwand mit Gunter Sachs und kehrt am frühen Morgen zur Party zurück. Sie erzählte, wie sie die Zwischenzeit verbracht hat und das wurde beifällig zur Kenntnis genommen. Sie verkaufte sich geschickt - dem millionenschweren 24-jährigen Mathematikstudenten Gunter Sachs verrechnete sie die ersten beiden Treffen inklusive Dreier und Mundverkehr nicht, was ihm schmeichelte (ihre Freundin Irene verlangte 50 DM).

      Die Polizei schickte bei Gunter Sachs’ detailreichem Verhör über Nitribitts sexuelle Vorlieben die Stenotypistin aus dem Raum und entschärfte die erwähnten Blow-Jobs zu „Mundverkehr“.

      Im April oder Mai 1957 kam Quandt eines Abends auf die Idee, die Nitribitt aufzusuchen, sagte er später aus. Nitribitt servierte eine Flasche Sekt, dann redeten sie ungelenk über ein lustiges Buch, Quandt gab ihr 150 DM, sie zogen sich nackt aus und hatten ein sexuelles Erlebnis.

      Im Opel gabelte Nitribitt 1953 Ernst Wilhelm Sachs auf, den 24-jährigen Erben der Präzisionskugellager-Werke Fichtel & Sachs. Das schicke Gefährt sprach mehr und hochkarätigere Kunden an, das Prinzip verstand sie. Junggeselle Ernst Wilhelm Sachs, in den Nitribitt sehr verliebt war, wie sie ihrer Freundin Irene erzählte, ließ die Edelhure zwar ein paar Tage in seiner Schweinfurter Wohnung bleiben - länger aber nicht, obwohl er dort alleine lebte. Ihr Verhältnis beschrieb Sachs als „ohne jegliche ernste Absichten“. 1957 heiratete er das echte Mannequin Model Eleonora Vollweiler.

      Auch der bekannte Rennfahrer Fritz Huschke von Hanstein gehörte zu Rosemaries Kundenkreis. Er besucht sie oft und macht ihr Geschenke. Zum Zerwürfnis kommt es, als sie ihm bei einem Autorennen besucht und feststellt, dass er seine verheiratete Frau dabei hatte.

      Der Klarinettist Fatty George durfte ihren Mercedes fahren und machte sie mit dem Jazzpianisten Joe Zawinul bekannt, der ihr Kunde wurde.

      Zu ihrer Laufkundschaft zählten bald Chefredakteure und Filmemacher, Prinzen, Fürsten, Barone. Ob die Bundeskanzler Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger und ein Bruder des Bundespräsidenten Gustav Heinemann sich an „Rebecca“ erfreut haben; angeblich besaß der US-Geheimdienst Fotos von Bonner Politikern auf Nitribitts Bettkante, konnte nie bewiesen werden.

      In nur anderthalb Jahren legte die tüchtige Nitribitt aber auch im Schritttempo 42 000 km zurück. Innerhalb von nur vier Jahren etablierte sie sich als erste Edelprostituierte der Nachkriegszeit. Bald war sie so bekannt, dass eine echte Frankfurter Dame des konsularischen Corps von Männern belästigt wurde, weil sie dasselbe Mercedes-Modell in der gleichen Farbe fuhr.

      Eine Prostituierte, die in aller Öffentlichkeit ihre Freier suchte, war eine beispiellose Provokation. Mit dem Gesetz wollte Nitribitt aber nicht mehr in Konflikt geraten. Der berüchtigte Kuppeleiparagraph verbot bis 1969 selbst Eltern noch bei Strafe, unverheiratete Paare im selben Zimmer schlafen zu lassen. Ihr damals hypermodernes, mit weißen Marmorplatten verkleidetes Mietshaus am Eschenheimer Turm schien Nitribitt der ideale unscheinbare Ort für ihr Gewerbe. Es war kein schmutziges Stundenhotel, nein: Rosemarie empfing ihre Kunden im bürgerlichen, fast spießigen Ambiente, das sie „Ernstl“ Sachs’ Wohnung abgeschaut hatte.

      Rosemarie Nitribitt war weder rasend schön noch klug. Diese kindliche blonde Person, deren Leibspeise Milchreis war, strahlte eine finstere Lebensweisheit aus.

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