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stand er, obwohl er seine Beine nicht spüren konnte und sie ihn auch nicht trugen, und dann ließ er auch schon den Boden hinter sich und hing hilflos in der Luft, während schockierend heftige Schmerzen durch seinen Körper zuckten, begleitet von einem quälenden Druck.

      Die Schmerzen betäubten ihn so sehr, dass er kaum spürte, wie der heilende Stoff um die Haken gewickelt wurde. Ebenso fasziniert wie entsetzt sah er zu, wie die Fremden auch darauf flüssiges Gold gossen und damit die Stellen rund um die Haken versiegelten und stützten, sodass die Haken nicht aus seinem Fleisch gerissen wurden und ihn fallen ließen.

      Er brüllte und wand sich, zuckte wild hin und her, was den Schmerz nur noch schlimmer machte.

      Sie brachten ihm ein langes goldenes Metallstück, das so gut poliert worden war, dass er sich darin erkennen konnte.

      Ein riesiger Spiegel?

      Das ergab keinen Sinn. Nichts hier ergab Sinn!

      Ein anderer Fremder tauchte hinter ihm auf und spähte über seine Schulter hinweg in den Spiegel.

      Egard schreckte bei dem Anblick zurück und sein Entsetzen ließ ihn einen Herzschlag lang seine Qualen vergessen. Denn das Gesicht dieses Fremden verbarg sich hinter einer Maske, wenn es denn eine Maske war. Sie sah aus wie ein menschlicher Schädel, den man in das Fleisch seines Gesichts gepresst hatte.

      Egard versuchte, den Kopf zu drehen, um den Fremden anzusehen, doch der packte seinen Hinterkopf mit eisernem Griff und zwang ihn, in den Spiegel zu blicken.

      Und in diesem Spiegelbild traf Egards Blick auf den des Fremden, der ihn festhielt, ihn tiefer in das Bild hineinlockte, tiefer in diesen monströsen Mann hinein.

      Er fühlte die intime Invasion, den Fremden, der so spürbar in seinen Kopf eindrang, als würde er ihm die Finger in die Augenhöhlen stoßen. Er wand sich und schrie und schloss die Augen, aber es war zu spät.

      Denn der schädelgesichtige Augur war in ihm, in seinen Gedanken, und suchte.

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      Aoleyn streckte abwehrend und verzweifelt die Hände aus und drehte den Kopf vor Entsetzen so schnell zur Seite, dass sie die Verwandlung ihrer Arme nicht einmal bemerkte.

      Instinktiv sprang sie hoch und war bereits in der Luft, als ihr die Verwandlung auffiel. Auf einmal schwebte sie zwanzig Fuß über ihrem Angreifer, der schockiert zu ihr hochstarrte. Dann fiel sie auch schon und spannte sich vor dem Aufprall an.

      Doch sie landete weich, sprang nach vorn und begrub den goldenen Mann unter sich. Sie schlug auf ihn ein, während er am Boden lag, und bemerkte erst dann, dass ihre Arme und ihre Beine wie die eines Leoparden aussahen und nicht wie die einer Frau.

      Aoleyn zog den Kopf zurück und betrachtete den zerfleischten Fremden, der blutüberströmt und mit tiefen Wunden übersät unter ihr lag.

      Was war geschehen? Wie hatte das passieren können?

      Ihre Tätowierung, erkannte sie. Der Edelstein, der an eine Leopardentatze erinnerte, und mit dem sie ihren Körper verziert hatte, musste die Kontrolle übernommen haben. Vielleicht hatte sie ihn auch ganz unbewusst allein durch ihr Entsetzen beschworen. Ihr Überlebenswille hatte diese rasche Veränderung verlangt und so war sie geschehen, ohne dass Aoleyn sie bewusst eingeleitet hatte!

      Sie zitterte und ihre Gedanken überschlugen sich, während sie versuchte, die schockierende Verwandlung zu verstehen.

      Ihre Tätowierung? War die Verbindung wirklich so mächtig und tief gehend? Sie hatte in dieser verzweifelten Lage die Kontrolle übernommen und dadurch war Aoleyn etwas anderes geworden, etwas Animalisches und Monströses.

      Wie die Fossa.

      Sie starrte den zerfetzten Mann vor sich an, dessen Leben zusammen mit seinem Blut aus ihm wich.

      »Nein!«, knurrte Aoleyn und zwang ihre Gliedmaßen, wieder zu denen einer jungen Frau zu werden. Sie beschwor sofort den Wedstein und verlangte nach seiner Heilmagie, die es ihr erlauben würde, den Fremden zu retten.

      Sie wusste, dass sie die Gelegenheit zur Flucht hätte ergreifen sollen – die anderen Feinde hielten sich in der Nähe auf und hatten den Lärm bestimmt gehört. Aber sie blieb und rief nach der Magie. Er war ein Feind. Er hatte versucht, sie umzubringen. Sie wusste, dass sie das Recht hatte, ihn zu töten.

      Sie wusste das, aber es interessierte sie nicht. Nicht dieses Mal, nicht, wenn etwas in ihrem Inneren, das sie nicht verstand, aber fürchtete, an ihrer Stelle gehandelt hatte. Sie blieb und brachte immer neue Wellen der Magie hervor. Sie änderte den Fokus des Wedsteins und benutzte ihn, um ihren Geist vom Körper zu lösen und in den des Verwundeten zu versetzen, von ihm Besitz zu ergreifen.

      Ein Schwall von Worten und Bildern ergoss sich in ihren Verstand.

      Xoconai.

      Scathmizzane.

       Goldene Tempel … Kuppelpyramiden … ein gewaltiger Talkessel, der am Meer endete …

      So viele Bilder drangen auf sie ein. Nein, sie taten etwas anderes. Diese vielen Bilder informierten sie. Sie kehrte in ihren Körper zurück und atmete tief durch. Sie hörte, wie sich andere näherten. Sie musste hier weg.

      Der Mann atmete nun wieder, lag aber reglos und halb bewusstlos vor ihr. Er war kein Goblin, das erkannte sie nun, wenigstens nicht äußerlich.

      »Das ist keine Farbe«, flüsterte sie mit einem Blick auf die roten und blauen Markierungen auf seinem Gesicht.

      Aber er war ein Mensch, das wusste sie nun. Eine Art Mensch, doch mehr konnte sie in diesem Moment nicht herausfinden. Und sie konnte auch nicht bleiben. Sie musste darauf hoffen, dass sie genug getan hatte, um ihn zu retten, um ihrer selbst willen, nicht nur um seinetwillen.

      Sie beschwor den Mondstein in ihrem Bauchring und flog davon.

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      Der erschöpfte und ausgelaugte Egard verlor sich selbst in seinem Spiegelbild, das ihn von der anderen Seite des Todes wie Egards goldener Geist zu verhöhnen schien. Es schwebte vor ihm, während er ein wenig an seinen Haken zuckte, und eine Weile lang glaubte der durch die Schmerzen halluzinierende Mann, dass er dort sei, in dem Spiegel und nicht mehr in seinem Körper, als balanciere er auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod.

      Das Gefühl wurde stärker, als Egard erneut das zweite Abbild im Spiegel bemerkte, ein Skelett oder einen hinter ihm schwebenden Schädel. Er hatte keine Angst. Seine Qualen waren so groß, dass er nicht mehr imstande war, Furcht zu empfinden.

      Der Schädel ragte hinter seiner rechten Schulter hervor. Eine Hand, die aus Fleisch bestand und nicht nur aus Knochen, wurde gehoben und an seine Wange gepresst, und eine zweite legte sich auf die andere Wange, sodass beide seinen Kopf festhielten.

      Der Schädel summte oder stöhnte oder etwas dazwischen.

      »Pixquicauh«, sagte Egard, obwohl er das nicht beabsichtigt hatte und auch nicht wusste, was dieses Wort bedeutete.

      Dann wurde Egard plötzlich und entsetzlich klar, dass er nicht mehr allein war, weder in diesem Raum noch in seinem eigenen Geist. Dieses Ungeheuer, was auch immer es war – Pixquicauh? – starrte ihn aus den Augenhöhlen des Schädels an und drang in seine Seele ein.

      Er fühlte diese Präsenz und erinnerte sich erst da, dass er diese Erfahrung schon einmal gemacht hatte. Das Ungeheuer fragte ihn aus, durchsuchte ihn und holte sich die Antworten, bevor er sie geben konnte. Dieser Missbrauch ging tiefer und war schmerzhafter als die acht Haken, die man ihm ins Fleisch geschlagen hatte, denn das Ungeheuer riss nicht nur seinen Körper auseinander, sondern seine Identität.

      Er zitterte und wand sich, um den Eindringling loszuwerden.

      Doch der blieb und lächelte hinter seiner Maske.

      Egard

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