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ihre Freunde sicher längst weitergezogen waren, aber die Angst blieb. Wenn man sie gefangen genommen und umgebracht hatte, dann war Aoleyn allein, wirklich und wahrhaftig allein. Als die junge Frau daran dachte, wirkte diese Vorstellung auf einmal erschreckend real und legte sich kalt und schwer auf ihre Schultern.

      Diese Gedanken begleiteten sie und wurden bei jedem Schritt dunkler. Wo waren sie?

      »Keine Kampfspuren«, flüsterte sie mehrmals vor sich hin, aber diese Litanei klang hohl. Sie hatte die Feinde gesehen, so viele und so brutal. Sie hatte ihren Gott gesehen und den Drachen, auf dem er ritt.

      Sie hielt an einem Aussichtspunkt inne, warf einen verzweifelten Blick nach Norden, nach Osten und sogar zurück nach Westen. »Wo seid ihr?«, flüsterte sie.

      Das war eine gute Frage. Aoleyn zog einen kleinen Gegenstand aus ihrem Beutel. Sie hielt ihn hoch, beschwor seine Magie, spähte hindurch und schickte ihren Blick in die Ferne. Zuerst nach Westen, dann nach Norden und schließlich nach Osten zum Fuß des Bergplateaus.

      Aoleyn atmete erleichtert auf, als sie die Flüchtlinge endlich entdeckte. Sie hielten sich zwischen den Felsbrocken am Fuß des Berges auf, waren den Hang schon hinabgestiegen, sodass sie die Wüstenebene erreicht hatten.

      Sie steckte den Gegenstand wieder in den Beutel, beschwor ihren grünen Malachit und den Mondstein und lief mit langen Sprüngen, die sich teilweise in einen Flug verwandelten, geradewegs auf das Lager zu, anstatt den gewundenen Pfaden zu folgen, denen die Flüchtlinge gefolgt waren, vorbei an den zahlreichen Schluchten und Felsen. Trotzdem waren sie sehr gut vorangekommen und Aoleyn nahm an, dass ihr Freund Talmadge die Führung übernommen hatte.

      Sie landete und legte den Rest der Strecke, der über ebenes Gelände führte, zu Fuß zurück. Ihre Usgar-Magie vor den Uamhas zur Schau zu stellen, war nicht gerade angebracht. Ihr unverformter Schädel sorgte ja schon für eine gefährliche Kluft zwischen ihr und ihnen.

      Vorsichtig und mit gesenktem Kopf betrat sie das Lager und warf den anderen nur hin und wieder flüchtige Blicke zu, um sich zu vergewissern, dass deren mürrische Miene nicht in Gewalt umschlug. Es gab hier keine Usgar und nur drei andere, die nicht zu den Seestämmen gehörten. Und noch einen vierten, einen jungen Mann, dessen Kopf nicht im Säuglingsalter gestreckt worden war, und den sie nach einem Moment entdeckte.

      »Bahdlahn«, hauchte sie, als sie auf ihn zulief, und wie seine Züge sich aufhellten, als er sie sah, wie er die Arme ausbreitete, um sie fest zu umarmen.

      »Ich hatte gedacht, dass du vor Einbruch der Nacht zurückkommen würdest«, sagte er atemlos. »Ich dachte … ich hab schon befürchtet, dass …«

      »Psst«, bat Aoleyn und legte ihm den Finger auf die Lippen. »Ich hatte viel zu tun.« Während sie mit ihm sprach, ging ihr Blick an Bahdlahn vorbei zu einer Frau, die ebenfalls keinem der Seestämme angehörte, allerdings schon seit einiger Zeit bei einem lebte. Die dunkelhäutige, schwarzhaarige Frau hockte auf einem Rollbrett und zog sich mit den Händen über den steinigen Untergrund.

      »Talmadge wird sich freuen, dich zu sehen«, sagte Khotai. »Und wenn du nur halb so viel Macht besitzt, wie er sagt, dann sollten wir wohl alle froh über deine Rückkehr sein.«

      Aoleyn grinste, als sie zu Khotai hinuntersah, einer Frau, die sie auch während ihrer Zeit in der Höhle nicht vergessen hatte. Auf den ersten Blick und wenn man sie nicht kannte, wirkte Khotai bemitleidenswert, denn das Seeungeheuer hatte ihr ein Bein abgebissen und das andere verkrüppelt. Ihre Hände wirkten nun ebenfalls kaputt, denn seit dem Jahre zurückliegenden Angriff nutzte sie ihre Finger, um sich über den Boden zu ziehen.

      Die Frau erwiderte Aoleyns fröhliches Lächeln jedoch nicht, sondern runzelte die Stirn, und Aoleyn erkannte, dass die verkrüppelte Frau ihre Reaktion und den Blick, denn Aoleyn auf sie warf, für herablassend hielt.

      Aoleyn griff rasch in ihre Tasche, um nach einigen bestimmten Kristallen zu suchen. Sie hielt die Öffnung ins Sonnenlicht, damit sie die Farben der Kristalle ausmachen konnte. Dann packte sie nach einer Handvoll, schloss die Finger darum und lauschte mit geschlossenen Augen dem Lied Usgars.

      »Ah, Usgar-Hexe!«, schrie eine Frau und wich so schnell von ihr zurück, dass sie stürzte. Andere stimmten mit ein.

      Aoleyn ignorierte den Chor verängstigter Rufe und konzentrierte sich auf das Lied. Sie öffnete die Augen und hielt Khotai, die sie ebenso wie Bahdlahn verwirrt ansah, die leere Hand hin.

      Khotai musterte sie, ohne sich zu rühren.

      »Nimm meine Hand«, sagte Aoleyn.

      Khotais Augen wurden schmal.

      »Bitte?«, fragte Aoleyn flehentlich und wackelte auffordernd mit den Fingern.

      Ohne Aoleyn aus den Augen zu lassen, streckte sich Khotai vorsichtig hoch und ergriff Aoleyns Hand.

      Dann schwebte sie auch schon nach oben und ihr verbliebenes Bein streckte sich unter ihr aus. Sie stand da oder schien dazustehen, obwohl ihr Bein den Boden nicht berührte. Die Menschen in der Nähe keuchten verblüfft bei diesem Anblick, aber nicht Bahdlahn, der nur breit lächelte, schließlich waren die Wunder, die Aoleyn vollbringen konnte, für ihn nicht überraschend.

      »Bahdlahn«, sagte Aoleyn, sah aber weiterhin Khotai an. »Besorg mir eine Decke, aus der wir ein Kleid machen können, und zwei Lederriemen, zwei Gürtel.«

      »Was hast du vor?«, fragte Khotai leise.

      »Ich möchte die Kristalle, die ich in der Hand halte, in einen Gürtel einsetzen. Einer, der dich in die Lage versetzen wird, das hier selbst zu tun.«

      »Mach dich nicht über mich lustig …«

      »Folge mir«, sagte Aoleyn und trat einen Schritt zur Seite.

      Khotais Bein zuckte und dann schwebte sie auch schon neben der anderen Frau her.

      »Beeil dich, Bahdlahn!«, rief Aoleyn dem jungen Mann nach, der bereits in der Menge verschwand.

      Aoleyn ging ein Stück voran, dann bat sie Khotai, die mühelos mitgehalten hatte, die Führung zu übernehmen, und folgte der schwebenden Frau.

      »Wenn das nicht so funktioniert, wie du versprichst, hole ich mir deinen Kopf«, warnte die wilde To-gai-ru, aber Aoleyn lächelte nur selbstbewusst.

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      Aydrian und Talmadge entging die Aufregung nicht, als sie in Sichtweite des Flüchtlingslagers kamen. Sie wechselten einen besorgten Blick und liefen Seite an Seite den letzten Hügel vor dem Lager hinauf. Sie wurden nervös und ihre Gesichtsmuskeln spannten sich an, als sie das Wort Hexe gleich mehrfach hörten.

      »Was hast du uns da gebracht, Talmadge, du Narr?«, rief ein Mann. Er ging sogar drohend auf ihn zu, aber eine starke Frau packte seinen Arm, zog ihn zurück und stellte sich vor ihn.

      »Es ist gut, dass du wieder hier bist«, sagte Catriona aus Fasach Crann zur Begrüßung.

      »Was ist hier los?«

      »Deine Usgar-Freundin Aoleyn ist zurückgekehrt«, erklärte Catriona und warf einen Blick über ihre Schulter. »Sie führt ihre Magie vor.«

      »Sie besitzt die gleiche Magie wie ich«, erwiderte Aydrian, der die Sprache der Einheimischen mittlerweile gut beherrschte. »Die Magie, die so viele von deinen Leuten geheilt hat. Die Magie, die es mir erlaubt hat, über das Wasser zu dem gekenterten Boot zu gehen, um …«

      »Du bist kein Usgar«, unterbrach ihn Catriona barsch. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Talmadge zu. »Komm mit und sieh dir das an.«

      Sie führte die beiden durch einige kleine Gruppen und an den Felsen vorbei, die überall auf dem kleinen Plateau lagen, bis zu einem Kreis aus Zuschauern, die Schulter an Schulter standen.

      In der Mitte saßen Aoleyn und Khotai. Die To-gai-ru band gerade ein improvisiertes Kleid zusammen, während Aoleyn eine Art dünne Schnur mit zwei Lederriemen

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