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zurück und Tamilee zog ihr Hemd aus, warf sich auf die Wunde, drückte die Eingeweide wieder hinein und versuchte, die Blutung zu stillen.

      Asba riss sich rasch zusammen, packte seinen Bruder am Arm, warf ihn sich über die breiten Schultern und lief davon. Tamilee war dicht hinter ihm.

      Die anderen Leute flohen Hals über Kopf, die meisten in Richtung Norden, einige nach Osten, aber die drei schlugen die entgegengesetzte Richtung ein und liefen nach Westen, wo die warnende Stimme erklungen war. Sie bahnten sich ihren Weg durch die Weiden, froh über die Deckung, rannten, stolperten, taumelten und liefen einfach nur weg, ohne auf die Richtung zu achten.

      Nur weg.

      Hinter ihnen gellten Schreie, anfangs mehrere gleichzeitig, dann nur vereinzelt, und sie stellten sich die letzten Momente der Dorfbewohner vor, ihrer Freunde, bevor ewige Dunkelheit sie umfing.

      Asba und Tamilee warfen nicht einmal einen Blick zurück, weil sie dafür langsamer hätten laufen müssen. Sie waren in ihrem Entsetzen gefangen, rannten um ihr Leben und um Asefs Leben, das bei jedem Schritt blutrot aus ihm herausfloss.

      Sie wussten nicht, wie weit sie gekommen waren, wie viel Strecke sie hinter sich gebracht hatten, doch die nun nur noch gelegentlich ausgestoßenen Schreie schienen inzwischen weit entfernt zu sein.

      Der Untergrund wurde rauer, es gab mehr Steine und weniger Bäume, und Asba ging taumelnd auf ein Knie.

      »Wir müssen weiter«, sagte Tamilee eindringlich. Er nickte nur, weil er zu stark keuchte, um zu antworten, und kam mühsam wieder auf die Beine.

      Sie führte ihren Freund noch weiter vom Schlachtfeld fort, hielt aber fluchend inne, als der Boden vor ihnen abfiel und sich in eine bis dahin verborgene Schlucht verwandelte, so wie man sie oft auf dem zerklüfteten Ayamharas-Plateau vorfand. Tamilee suchte nach einem Weg nach unten und entdeckte tatsächlich einige steile Pfade, aber würden sie es heil bis nach unten schaffen, solange Asba Asef auf der Schulter trug? Sie warf einen Blick auf ihre Freunde und versuchte zu erkennen, wie stark Asef noch blutete, und ob sie eine Chance hatten, den Abstieg zu bewältigen. Sie drehte sich um und wollte Asba nach seiner Meinung fragen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.

      Sie waren nicht entkommen.

      Sie entdeckte den auf einer Echse reitenden Eroberer, der von der Seite auf sie zukam, nur deshalb, weil der Schwanz der Echsen hinter einem Baum hervorragte. Die Echse steuerte direkt auf Asba zu. Ihr kam der Gedanke, dass der Reiter sie nicht bemerkt hatte.

      Asba drehte sich rasch um und duckte sich, wobei er den stöhnenden Asef von seiner Schulter zu Boden gleiten ließ.

      Tamilee sprang vor, um einzugreifen. Sie wusste, dass sie zu langsam war, deshalb packte sie den Speer in ihrer Verzweiflung an seinem stumpfen Ende und schwang ihn herum wie einen Schläger. Pures Glück sorgte dafür, dass sie den richtigen Zeitpunkt erwischte. Der Reiter tauchte in dem Moment vor ihr auf, als der Speer herumschwang. Er streifte ihn nur und wurde kaum langsamer, aber er traf den Reiter genau am Hals und die scharfe Spitze schlitzte die goldene Haut auf. Dann schlug der Speer gegen den Stamm einer Weide und wurde Tamilee aus den Händen geprellt.

      Der Reiter keuchte, griff nach seiner Kehle und drehte sich halb zu ihr um. Dabei verlor er den Halt und rutschte aus dem Sattel, sodass er auf der von Tamilee abgewandten Seite der Echse zu Boden ging.

      Tamilee sah sich um und unterdrückte einen Schrei, damit nicht noch weitere Feinde angelockt wurden. Entsetzt bemerkte sie, dass die Echse ihren Angriff auf Asba fortsetzte. Die scheußliche Kreatur brauchte dafür wohl keinen Befehl.

      Asba warf sich nach rechts, preschte in Richtung der Schlucht und winkte heftig, um die Echse von seinem Bruder abzulenken. Als Tamilee erkannte, was er vorhatte, erholte sie sich von dem Schreck und griff nach ihrem Speer.

      Sie hob ihn auf und fuhr herum, weil sie ihn werfen wollte, aber dann stockte ihr der Atem, denn ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie keine Zeit mehr hatte.

      Die Echse stieß sich ab und sprang auf Asba zu, der mit einer solchen Geschicklichkeit nicht gerechnet hatte.

      Sie flog durch die Luft und Asba versuchte auszuweichen, stolperte jedoch auf dem unebenen Untergrund und ging auf ein Knie. Er versuchte, seinen Speer rechtzeitig hochzureißen, um damit das lebende Geschoss, das unaufhaltsam auf ihn zukam, abzuwehren.

      Tamilees verzweifelter Gesichtsausdruck – und auch Asbas – verwandelte sich in Verwirrung, als die Echse den Bogen, den sie mit ihrem Sprung beschrieb, nicht vollendete, sondern auf einmal mit ausgestreckten Klauen, die kein Ziel fanden, in der Luft zu schweben schien, so als hätte eine unsichtbare Hand sie gepackt. Die Echse wand sich und schlug um sich. Doch sie konnte ihren Kurs nicht beeinflussen, sondern schwebte weiter an Asba vorbei und über den Rand der Schlucht hinweg. Dort blieb sie in der Luft hängen und zischte Asba wütend an.

      Dann stürzte sie in die Tiefe, so als hätte die unsichtbare Hand sie einfach losgelassen.

      Asba drehte sich zu Tamilee um, die nur mit den Schultern zuckte und den Kopf schüttelte, denn sie konnte ihm keine Erklärung anbieten. Als Asba zu seinem Bruder zurücklief, ging sie zu dem reglos am Boden liegenden Angreifer, stellte sich über ihn und richtete ihren Speer auf seine Kehle.

      »Wer bist du?«, fragte sie scharf.

      Der Fremde starrte sie hasserfüllt und schweigend an, mit blauen Augen, die sich am Rand der blau gefärbten Bereiche auf seinem Gesicht befanden. Der rote Streifen in der Mitte zog sich über seine Nase.

      »Das ist keine Kriegsbemalung«, sagte Asba, der neben sie trat, während Tamilee und der Fremde sich gegenseitig musterten. »Eine Tätowierung?«

      Er ging in die Hocke und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er sichtlich angewidert. »Ich glaube nicht. Ich … ich glaube, das ist seine Haut.«

      »Wer bist du?«, wiederholte Tamilee.

      Der hilflose Mann versuchte, etwas hervorzubringen, anscheinend einen geknurrten Fluch, aber bei der Bewegung floss noch mehr Blut aus seiner Wunde, also erwiderte er einfach Tamilees Blick mit hasserfüllter Miene.

      »Wir müssen weg«, sagte Asba zu ihr.

      Tamilee betrachtete das verzerrte Gesicht des Fremden ein letztes Mal, dann drückte sie ihren Speer nach unten, zwischen die Finger an seinem Hals und durch die Kehle hindurch. Sie verlagerte ihr Gewicht von einer Schulter auf die andere, um die breite, ins Holz eingelassene Speerspitze zu drehen.

      Der Fremde schlug nur kurz um sich, dann zitterte er einige Herzschläge lang, seine letzten Herzschläge. Schließlich rührte er sich nicht mehr.

      »Ich weiß«, sagte Tamilee zu ihrem Freund.

      Die beiden nickten sich grimmig zu, bevor Asba zu seinem Bruder lief, ihn sanft hochhob und Tamilee folgte, die zur Schlucht ging. Sie spähte über den Rand und entdeckte die Echse am Grund. Sie lebte noch, lag jedoch zerschmettert und sich windend auf dem Rücken.

      Tamilee versuchte, sich für einen Weg in die Schlucht zu entscheiden, und blickte dann zurück zu Asba, der näher kam.

      Asef blutete erneut.

      Asef lag im Sterben.

      »Geh!«, sagte Asba zu ihr und seine zitternde Stimme verriet ihr, dass ihm das ebenso bewusst war.

      Tamilee konnte sich nicht vorstellen, dass es ihnen gelingen würde, Asef nach unten zu tragen, aber sie kletterte trotzdem zum ersten Vorsprung hinab, der sich nicht weit unter ihr befand. Von dort aus konnte sie Asba sehen und ihm herunterhelfen.

      Tamilee glitt zur Seite, hockte sich hin, dass sie fast saß, und benutzte ihre Hände, um sich auf den nächsten Vorsprung fallenzulassen. Dieser war viel schmaler und abschüssiger und die losen Steine verrutschten so sehr unter ihren Füßen, dass sie sich nur dank ihrer Hände, die sich am Gestein über ihr festhielten, aufrecht halten konnte.

      Sie verlor jedoch ihren Speer, der zuerst über den Abhang rutschte und dann in die Schlucht fiel.

      »Wie

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