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in Einklang zu bringen. Es gibt keine politische Theorie, die nicht beides unternimmt.“44

      Solche Sätze klingen nicht nur schroff, sondern sie sind von geradezu dezisionistischer Schärfe und mögen manchem seiner Studierenden noch lange in den Ohren geklungen haben. Um sie zu verstehen, kann man sich an den formalen Argumentationsgang halten, der die überlangen Ausführungen zu gliedern versucht und dabei den ehemaligen Juristen entschieden hinter sich lässt; er demonstriert nämlich unmissverständlich, dass Neumann sich weder mit einem neoliberalen Freiheitspathos à la „freedom and democracy“ (Bertolt Brecht) noch mit dem negativen Freiheitsverständnis der Jurisprudenz begnügt, die in Rechtstiteln eine hinreichende Garantie für eine gute Ordnung erblickt. Wirkliche Substanz erhält der Freiheitsbegriff nach Neumann nur, wenn den Individuen und den gesellschaftlichen Gruppen tatsächliche, extensive und positive Handlungsmacht zur Verfügung steht. Neumann spricht hier vom kognitiven und vom Willenselement der Freiheit und meint damit die rationale Durchdringung der gesellschaftlichen Prozesse einerseits, die Möglichkeit ihrer aktiven und effektiven Mitgestaltung andererseits – oder genauer, da diese Mitgestaltung in der modernen Gesellschaft offenbar immer begrenzter wird, wenigstens die demokratische Kontrolle der politischen Macht.

      Aber genau hier treten die geschichtsgestaltenden Tatsachen penetrant in den Vordergrund, sie beherrschen sowohl die Wirtschaftsentwicklung wie die staatliche Organisation und laufen auf den einen neuralgischen Punkt zu: auf die offenbar unumkehrbare Zentralisierung der politischen und sozialen Macht sowie auf ihre fortschreitende bürokratische Ausformung, was, zusammen mit der generellen Technisierung aller anderen Lebensprozesse (einschließlich der Kultur), einen Zustand heraufführt, der zur hochgehängten Freiheitsidee in einen destruktiven Gegensatz tritt. So mündet die Dreierfolge der genannten Freiheitstypen am Ende des Aufsatzes folgerichtig in die Darstellung der „gegenwärtigen Krise der politischen Freiheit“45, wobei interessant ist, dass zunächst das maßgebliche Signalwort, das Neumann wenig später für die Ausmalung dieser Krise benützt, noch nicht fällt, während der Tatbestand selber schon ganz präsent ist: „Entfremdung“, d.h. die Gefährdung der politischen Freiheit durch die Isolierung der Bürger von der und durch die Politik.

      Dieser Schritt bleibt dem Vortrag vorbehalten, den Neumann im Frühjahr 1954 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Freie Universität in Berlin hält. Dieser, sein letzter Auftritt geht ohne Umschweife in die existentielle Dimension und buchstabiert aus, was in der Entfremdung steckt und sie so bedrohlich macht: „Das Ende des Zweiten Weltkriegs hat die Angst nicht aus der Welt verschwinden lassen. Sie ist, im Gegenteil, noch größer und furchtbarer geworden und beginnt, Nationen zu paralysieren und Menschen unfähig zu machen, sich frei zu entscheiden.“46 Was als Wiederaufnahme der bekannten marxistischen Metapher erscheint, erfährt jetzt eine absichtsvolle, ja programmatische Transformation.47 Neumann nimmt nämlich nichts weniger als einen methodischen Positionswechsel vor, der angesichts all dessen, was er vorher publiziert hatte, für einen qualitativen Gedankensprung steht: Hatte Neumann in seiner Interpretation des Nationalsozialismus jeden psychologischen Ansatz abgelehnt und war damit auf riskanten Abstand vom Kreis um Max Horkheimer gegangen, so holt er genau diesen Schritt jetzt nach: Er vertieft sich nicht nur in eine intensive Freud-Lektüre und findet von hier aus zur psychoanalytischen Grundlegung der Angst, sondern liefert gleich noch ein ganzes Tableau von Argumenten hinzu, auf welche Weise die genannten Gesellschaftsprozesse, also vor allem die Zentralisierung und Bürokratisierung der politischen Macht, zu Faktoren werden, die Angst und Entfremdung zum Schicksal des modernen Menschen machen.

      Zwar versucht er an dieser deprimierenden Diagnose noch gewisse Differenzierungen anzubringen: „Man kann vielleicht sagen, dass das total repressive System depressive und Verfolgungsangst, das halbwegs freiheitliche Realangst institutionalisiert“48, heißt es in „Angst und Politik“, und in den posthum publizierten „Notizen zur Theorie der Diktatur“49 findet sich der Versuch, den Unterschied zwischen diktatorischen und demokratischen Systemen stärker zu machen und selber noch einmal sozialpsychologisch zu erklären. Doch hellt sich das Gesamtbild, zumindest was die politische Gegenwartsdiagnose betrifft, dadurch nur wenig auf: Neumanns Weltbild schien sich zuletzt einer düsteren Geschichtsphilosophie anzunähern, die gewisse Ähnlichkeiten mit den apokalyptischen Befürchtungen aufwies, wie sie von Horkheimer und Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ ausformuliert und zum Wendepunkt der eigenen Theorietradition erklärt worden waren.50 Hatte Neumann in den 1940er Jahren gegenüber solchen Generalisierungen offensichtlich noch Distanz gehalten, so wurde sein plötzlicher Unfalltod mit nur 54 Jahren für seine ganze Generation zum Fanal. Was lebensgeschichtlich absolut sinnlos erscheintder Autounfall auf einer schnurgeraden Schweizer Landstraße –, setzte auch dem „political scholar“ einen tragischen Endpunkt.

       V. Nachwort: Der „Behemoth“ als wirkungsgeschichtliches Stiefkind

      Dennoch: Blickt man aus der Mitte der 1950er Jahre auf die wechselvolle politisch-intellektuelle Biographie Franz Neumanns zurück, so tritt über alle Brüche hinweg ein Kontinuum hervor, das man in der stets erneuerten Verknüpfung von kritischer Theorie und politischem Engagement erblicken kann. Der Idealtypus des „political scholar“, könnte man resümieren, war das Ergebnis eines realtypischen Prozesses, der von der eher rechtstechnischen Praxis des Gewerkschaftsfunktionärs über das theoretisch ambitionierte Exil der 1930er Jahre in eine angestrengte Phase der Politikberatung führte, um schließlich in das spektakuläre Format des amerikanisch-deutschen Politikprofessors zu münden. Dennoch wird man Neumanns Stellung in der Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts nicht aus seinen späten Fragmenten begründen wollen, sondern aus dem Buch, das aus der breiten Masse der Emigrantenliteratur allein deswegen herausragt, weil es die erste Gesamtdarstellung des Nationalsozialismus, seiner „Struktur und Praxis“ war.

      Wie also stand der Autor Neumann zu seinem „Behemoth“, wie ist er selbst mit seinem Vermächtnis umgegangen? Hat er für sein „magnum opus“ eine nachhaltige Wirkung erwartet oder zumindest eine längerfristige Perspektive gesehen?

      Ich werde in den abschließenden Überlegungen einen Fauxpas begehen, den sich ein seriöser Historiker eigentlich nicht leisten darf: Ich werde nach etwas fragen, das Neumann nach 1945 nicht getan hat, und ich werde weiter über die Gründe spekulieren, die dieses Nicht-Tun bewirkt oder sogar erzwungen haben könnten. Die Freiheit dafür glaube ich mir nehmen zu können unter Berufung auf eine schmerzgeplagte Selbstreflexion, die Neumann sich offenbar nur privat gestattete und die dafür umso radikaler ausfiel. Die Formulierungen stammen aus seinen letzten Lebensmonaten und sind bekannt, auch beziehen sie sich weder direkt auf den „Behemoth“ noch auf seine theoretische Lebensleistung. Dennoch lohnt es sich, sie noch einmal ausführlich zu zitieren, nicht nur weil ihr Pathos zur Verallgemeinerung einlädt, sondern weil sich Neumann hier zu einer seltsamen Umkehrung der gewohnten Kausalität von Handlungsmotivation und Schuldzuschreibung bekennt, die man einem rationalistischen Charakter, der er lebenslang gewiss war, eigentlich nicht zutrauen möchte:

      „Warum ich das Land so liebe und doch so verabscheue“, schreibt er an Helge Pross, die junge Soziologin aus Deutschland, zu der er sich nach der Trennung von seiner zweiten Frau offenbar hingezogen fühlte. „Vielleicht ist es ein Schuldgefühl, das ganz tief sitzt: Wie oft habe ich mir nach 1933 die Frage vorgelegt, wo meine Verantwortlichkeit für den Nationalsozialismus eigentlich steckt. Denn ich glaube an kollektive Schuld – aber dann kann ich mich ja davon nicht ausnehmen ...Wir, die wir in Opposition zu der Reaktion standen, waren alle zu feige. Wir haben alle kompromittiert. Ich habe ja mit eigenen Augen gesehen, wie verlogen die SPD in den Monaten Juli 1932 bis Mai 1933 war (und nicht nur damals) und habe nichts gesagt. Wie feige die Gewerkschaftsbosse waren – und ich habe ihnen weiter gedient. Wie verlogen die Intellektuellen waren – und ich habe geschwiegen. Natürlich kann ich das rational rechtfertigen mit der Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus, aber im Grunde genommen war Angst vor der Isolierung dabei. Dabei hatte ich große Beispiele: Karl Kraus, Kurt Tucholsky. Und ich habe immer in der Theorie den sokratischen Standpunkt für richtig gehalten, dass der wahre Intellektuelle immer und gegenüber jedem politischen System ein Metöke, ein Fremder sein muss. So habe ich also mitgemacht beim Ausverkauf der Ideen der sogenannten deutschen Linken ...“51

      Eine tiefenhermeneutische Interpretation

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