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Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus, nicht erfüllt, teils weil die weltpolitische Stellung der Supermächte dies verhinderte, teils weil die Arbeiterbewegung diese weltpolitische Lage zu phantasielos zur Grundlage der eigenen Politik gemacht habe. Hier, im vorläufigen Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung gegenüber ihren eigenen Zielen, dürfte einer der tiefsitzenden Gründe für die bei Neumann festzustellende Tendenz zum politischen Skeptizismus, wenn nicht zum psychischen Pessimismus liegen, wobei beides nicht gleichzusetzen ist mit einem grundsätzlichen Umschwenken des ehemaligen Sozialdemokraten zu einer neoliberalen Auffassung von Politik und Gesellschaft. Wohl aber wird aus dieser Tendenz heraus verständlich, weshalb Neumann im Hinblick auf die von ihm in der Weimarer Republik mitbegründete und noch in den 1940er Jahren festgehaltene Konzeption der Wirtschaftsdemokratie einen bemerkenswerten Positionswechsel vollzog.

      Neumann hatte sich, worauf sein Freund Herbert Marcuse hingewiesen hat36, in den frühen 1950er Jahren an Ort und Stelle über die in der Montanindustrie installierten Versuche einer expansiven Mitbestimmung informiert – und er war entsetzt über die sich ausbreitende Apathie der Arbeiterfunktionäre und ihre mehr oder weniger reibungslose Integration in kapitalistische Interessensmuster. Aber wieder ist die daraus abgeleitete Ablehnung der Wirtschaftsdemokratie, die er doppelt – sowohl als Strategie der Arbeiterbewegung als auch unter demokratietheoretischem Gesichtspunkt – diskutiert37, nicht so sehr als ein Zurückgehen hinter früher vertretene Ziele zu verstehen, sondern als ein skeptisches Vorantasten: Die Wirtschaftsdemokratie erscheint ihm, gemessen an der Forderung einer aktivistischen Überwindung der politischen Entfremdung, als eine zu partikulare, zu konservative Form von politischer Beteiligung, auch wenn der heutige Begriff der Zivilgesellschaft noch nicht fällt.

      Die in diesen Überlegungen sichtbar werdende Aufwertung der politischen gegenüber der Wirtschaftsdemokratie verweist auf das zweite Handlungsfeld, das Neumann in der Nachkriegszeit sicherlich am positivsten besetzt hatte, in das, sozusagen kompensatorisch, sein wissenschaftspolitisches Herzblut floss. Es ist gleichzeitig dasjenige, auf dem er seinen größten Erfolg, ja sogar eine erkennbare Langzeitwirkung erlangen konnte: Neumann hat als eine der prägenden Figuren in der Gründergeneration der bundesrepublikanischen Politikwissenschaft zu gelten, er hat direkten und maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung der Berliner Wissenschaftslandschaft genommen und sich hervorgetan sowohl bei der finanziellen Ausstattung der Freien Universität im Allgemeinen als auch bei der konzeptuellen Ausrichtung der Politikwissenschaft im Besonderen. Und weil davon auszugehen ist, dass die Berliner Gründung sowohl quantitativ wie qualitativ Vorbildcharakter für die gesamte Bundesrepublik hatte, wird man den Einfluss Franz Neumanns noch multiplizieren können.38 Dies umso mehr, als es am Anfang buchstäblich um die Frage von Sein oder Nichtsein einer politischen Wissenschaft in Deutschland überhaupt ging, wurde die Politikwissenschaft doch als ein der deutschen Universitätstradition „fremder“ Importartikel, als Diktat der Besatzungsmächte diffamiert, gegen den sich der Widerstand der konservativen Professorenschaft mit besonderer Vehemenz artikulierte.

      In der geschickten Überwindung dieser Widerstände zeigte sich einmal mehr das politikpraktische Genie, das Franz Neumann aus der Gruppe der anderen Wissenschaftsemigranten heraushebt. Er war es nämlich, der die Existenzfrage für die Politikwissenschaft von Anfang an mit der Forderung nach ihrer institutionellen Selbständigkeit verknüpfte und dafür alle verfügbaren finanziellen und konzeptuellen Ressourcen mobilisierte.39 Dazu gehörte zwar auch, die Autorität der amerikanischen Besatzungsmacht für sich geltend zu machen, aber mehr noch stand Neumann für eine Haltung, die aus der negativen Erfahrung der Emigration positive Schlussfolgerungen zog, in ihm verkörperte sich eine kollektive Kraftleistung, die für die politikwissenschaftlichen Emigranten zu verallgemeinern ist: Sie alle waren erst im Verlauf der Emigration selber „gestandene“ Vertreter der „political science“ geworden und repräsentierten daher in persona eine alternative Wissenschaftstradition, die sie gegenüber ihren deutschen Kollegen mit fachlicher Autorität und politischem Selbstbewusstsein, aber auch mit Feingefühl und Geschick zu vertreten verstanden.40

      Die Gründung der Politikwissenschaft in Westdeutschland war in theoretischer wie institutioneller Hinsicht ein komplexer und langwieriger Prozess, doch wurde die „Demokratiewissenschaft“ in West-Berlin rasch zum Vorbild dafür, wie Wissenschaft und Demokratie auch in Deutschland in ein konstruktives Verhältnis zueinander kommen konnten.41 Für diese wissenschaftspolitische Wende kam Franz Neumann nichts weniger als eine Schlüsselrolle zu: Der eigentliche „Clou“ seines Vorgehens in Berlin war eine Art von Doppelstrategie und bestand darin, auf der einen Seite der wiedererrichteten „Hochschule für Politik“ durch verstärkte Forschungsaktivitäten eine solide wissenschaftliche Grundlage zu verschaffen, auf der andern Seite aber die Freie Universität dazu zu zwingen, der Politikwissenschaft eine institutionelle Bleibe zu geben, und zwar als selbständige Disziplin. Diese Strategie ist alles in allem erfolgreich gewesen, wenn man von internen Turbulenzen personeller wie konzeptueller Art einmal absieht und eine gewisse zeitliche Verzögerung abrechnet: Das „Institut für Politische Wissenschaft“ wurde 1958 und die „Hochschule für Politik“ 1959 regulärer Bestandteil der Freien Universität, und zwar als gut ausgestattete, selbständige und miteinander kooperierende wissenschaftliche Einrichtungen.42

      Versteht man die Ablehnung der Wirtschaftsdemokratie als die negative Seite des „political scholar“ und die Gründungsimpulse für die bundesrepublikanische Politikwissenschaft als seine positive Seite, so ergibt sich daraus gleichwohl keine ausgewogene Gesamtbilanz. Diesen Eindruck erhält man jedenfalls, wenn man den Versuch unternimmt, aus Neumanns Publikationen selber, aus den anlassbezogenen Vorträgen und den theoretischen Entwürfen so etwas wie den roten Faden herauszupräparieren. Das ist keineswegs einfach zu bewerkstelligen, haben doch auch die ausführlicheren Aufsätze erkennbar fragmentarischen und skizzenhaften Charakter und lassen sich nur schwer zu einem konsistenten Gesamtbild oder gar einer geschlossenen Theorie zusammenfügen. Dennoch ist es möglich, eine durchgehende Tendenz auszumachen, die freilich als eine in sich widersprüchliche Konstellation erscheint. Wenn Neumann zeit seines Lebens eine eher technizistische Auffassung von Theorie und Methode hatte, so verstärkte sich in den 1950er Jahren der Gegenpol: Der späte Neumann zeigt ein intensives Interesse an der politischen Theorie und besonders an ihrer Geschichte, was sich vor allem in seiner kontinuierlichen Lehrtätigkeit an der Columbia University niedergeschlagen hat.

      Stellt man all diese Faktoren in Rechnung, so lassen sich die Leitmotive identifizieren, die Neumann gegen Ende seines Lebens umgetrieben haben müssen. Und verknüpft man sie angesichts seines plötzlichen und tragischen Unfalltodes im Herbst 1954 zu einem Denkfaden, dann kann man daran vielleicht sein eigentliches Vermächtnis festmachen. Dieser Denkfaden ist brüchig und reißt so abrupt ab wie der Lebensfaden seines Autors, aber er lässt am Ende doch erkennen, dass hier ein theoretisch hochambitionierter Kopf alles andere als optimistisch auf seine Zeit, jedenfalls nicht erwartungsfroh in die Zukunft blickte. Was sich vielmehr in den Vordergrund drängte, waren bedrohliche Tatsachen, in denen sich persönliche Erinnerungen mit aktuellen Beobachtungen wissenschaftlicher Art überlagerten und zu einem pessimistischen Geschichtsbild zu verdichten schienen. Dem entspricht beim späten Neumann eine Art von hintergründigem Denkzwang, der von einem apriorischen Gegensatz zwischen Macht und Freiheit ausgeht und – auf dem Umweg einer wenig ermutigenden Empirie – schließlich in die Akzentuierung von Entfremdung und Angst mündet. Und genau so lauten auch die Titel der Schriften aus den letzten beiden Jahren: „Zum Begriff der politischen Freiheit“ (1953) sowie „Angst und Politik“ (1954).

      Der erste dieser Aufsätze ist explizit theoretisch angelegt und greift ein grundsätzliches Problem des politischen Denkens auf, das seinen Platz im Kanon der modernen Fächer noch zu finden hat. Einleitend konstatiert Neumann daher: „Die Soziologie befasst sich vielfach nur mit der Beschreibung des Faktischen; die politische Theorie mit der Wahrheit. Die Wahrheit der politischen Theorie ist die Freiheit. Daraus ergibt sich ein grundsätzliches Postulat: Da keine politische Ordnung die politische Freiheit vollkommen verwirklichen kann, muss die politische Theorie immer kritisch sein. Eine konformistische politische Theorie ist keine Theorie.“43 Was aus der Geschichte des politischen Denkens altbekannt klingen mag, ist für Neumann ein nach wie vor ungelöster Konflikt, wenn nicht sogar ein unlösbarer Widerspruch: „Das Problem der politischen Philosophie und ihr Dilemma

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