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ist es?«

      »Wie soll ich das wissen, wo's jetzt ist? Es ist ja schon mehr als ein Jahr her, daß ich ihn verlassen hab. Ich weiß, wo er's damals aufbewahrt hat. Er ist ja in vielen Dingen pingelig und säuberlich wie 'ne Katze, deshalb ist es vielleicht immer noch im Brieffach von dem alten Schreibpult im hinteren Arbeitszimmer. Kennen Sie sein Haus?«

      »Ich war bereits in seinem Arbeitszimmer«, sagte Holmes.

      »Wirklich? Da waren Sie aber schon ganz schön fleißig, wenn Sie erst heut früh angefangen haben. Vielleicht hat der liebe Adelbert diesmal seinen Meister gefunden. Das vordere Arbeitszimmer ist das mit dem chinesischen Geschirr – in dem großen Glasschrank zwischen den Fenstern. Und hinter'm Schreibtisch ist dann die Tür, die zum hinteren Arbeitszimmer führt – 'n kleiner Raum, wo er Papiere und anderen Kram aufbewahrt.«

      »Hat er denn keine Angst vor Einbrechern?«

      »Adelbert ist kein Feigling. Nicht mal sein schlimmster Feind könnt das von ihm behaupten. Er kann auf sich selber aufpassen. Für die Nacht ist 'ne Alarmglocke da. Außerdem, was gibt's dort für'n Einbrecher groß zu holen? Höchstens, daß er mit dem ganzen feinen Geschirr abhaut.«

      »Lohnt sich nicht«, sagte Shinwell Johnson im entschiedenen Tonfall des Experten. »Kein Hehler will Ware, die er weder einschmelzen noch verkaufen kann.«

      »Ganz recht«, sagte Holmes. »Nun denn, Miss Winter, wenn Sie morgen abend um fünf hierherkommen wollen, könnte ich in der Zwischenzeit darüber nachdenken, ob sich Ihr Vorschlag, die Lady persönlich aufzusuchen, nicht doch durchführen ließe. Ich bin Ihnen für Ihre Mitarbeit außerordentlich verbunden. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß meine Klienten eine großzügige Belohnung ...«

      »Kein Wort davon, Mr. Holmes«, rief die junge Frau. »Ich bin nicht auf Geld aus. Ich will diesen Mann im Dreck liegen sehen, dann hab ich alles erreicht, was ich wollte – im Dreck, und mein Fuß auf seiner verfluchten Fratze. Das ist mein Lohn. Ich bin morgen dabei oder an jedem anderen Tag – so lang, wie Sie ihm auf der Spur sind. Porky hier kann Ihnen immer sagen, wo ich zu finden bin.«

      Ich sah Holmes erst am folgenden Abend wieder, als wir erneut in unserem Restaurant am Strand speisten. Als ich ihn fragte, ob er mit seiner Unterredung Glück gehabt habe, zuckte er mit den Achseln. Dann erzählte er die Geschichte, die ich wie folgt wiedergeben möchte. Sein harter, trockener Bericht bedarf allerdings einer behutsamen auflockernden Bearbeitung, um ihn in die Ausdrucksweise des wirklichen Lebens zu überführen.

      »Die Verabredung zu treffen, war überhaupt nicht schwierig«, sagte Holmes; »das Mädchen macht sich ein Vergnügen daraus, in allen nebensächlichen Dingen eine unterwürfige kindliche Gehorsamkeit an den Tag zu legen, mit der sie versucht, ihre krasse Widersetzlichkeit in Sachen Verlöbnis wiedergutzumachen. Der General rief an, daß alles bereit sei, und planmäßig erschien auch die feurige Miss W., so daß uns um halb sechs eine Droschke vor den Toren von 104, Berkeley Square absetzte, wo der alte Kämpe residiert – eines von diesen scheußlichen grauen Londoner Schlössern, neben denen eine Kirche sich frivol ausnähme. Ein Lakai führte uns in ein großes Empfangszimmer mit gelben Vorhängen, und dort erwartete uns bereits die Lady: ernst, blaß, verschlossen – so unerschütterlich und entrückt wie eine Schneestatue auf einem Berg.

      Ich weiß nicht recht, wie ich sie Ihnen deutlich machen soll, Watson. Vielleicht lernen Sie sie noch kennen, bevor wir mit der Sache durch sind, dann können Sie von Ihrer eigenen Formulierungsgabe Gebrauch machen. Sie ist schön; aber von jener ätherischen Schönheit einer Fanatikerin, die mit ihren Gedanken in den höchsten Gefilden schwebt. Solche Gesichter habe ich auf den Gemälden der alten Meister des Mittelalters gesehen. Wie ein Unhold seine schmutzigen Pratzen auf solch ein Wesen aus dem Jenseits legen konnte, ist mir unbegreiflich. Sie haben vielleicht schon beobachtet, daß Gegensätze einander anziehen: das Geistige das Animalische, der Höhlenmensch den Engel. Einen schlimmeren Fall als diesen haben Sie noch nicht erlebt.

      Sie wußte natürlich, warum wir gekommen waren – dieser Schurke hatte keine Zeit verloren, ihr Gemüt gegen uns zu vergiften. Miss Winters Erscheinen überraschte sie ziemlich, glaube ich; aber dann winkte sie uns in unsere Sessel wie eine ehrwürdige Äbtissin, die zwei ziemlich lepröse Bettelmönche empfängt. Sollten Sie je zu Aufgeblasenheit neigen, mein lieber Watson, machen Sie eine Kur bei Miss Violet de Merville.

      ›Nun, Sir‹, sagte sie, mit einer Stimme wie der Wind von einem Eisberg, ›Ihr Name ist mir vertraut. Wie ich höre, sind Sie gekommen, um meinen Verlobten, Baron Gruner, zu verleumden. Es geschieht einzig auf Bitten meines Vaters, daß ich Sie überhaupt empfange, und ich mache Sie schon im voraus darauf aufmerksam, daß alles, was Sie sagen werden, mich auch nicht im leisesten beeindrucken kann.‹

      Sie tat mir leid, Watson. Einen Augenblick lang empfand ich für sie so, wie ich für meine eigene Tochter empfunden hätte. Ich bin nicht oft beredsam. Ich gebrauche meinen Kopf, nicht mein Herz. Aber ich habe auf sie wahrhaftig mit aller Wärme eingeredet, die ich aufbringen konnte. Ich malte ihr die scheußliche Lage einer Frau aus, der der Charakter eines Mannes erst aufgeht, nachdem sie seine Gattin geworden ist – einer Frau, die sich den Liebkosungen blutiger Hände und wollüstiger Lippen unterwerfen muß. Ich ersparte ihr nichts – die Schande, die Furcht, die Pein, die Hoffnungslosigkeit des Ganzen. All meine glühenden Worte vermochten auf jenen Elfenbeinwangen nicht einen Hauch von Farbe und in jenen abwesenden Augen nicht einen Schimmer von Erregung hervorzurufen. Ich dachte daran, was der Halunke über posthypnotischen Einfluß gesagt hatte. Man konnte wirklich glauben, daß sie hoch über der Erde in einem ekstatischen Traum lebte. Dennoch waren ihre Antworten nichts weniger als unentschieden.

      ›Ich habe Ihnen geduldig zugehört, Mr. Holmes‹, sagte sie. ›Der Eindruck auf mich ist genau wie vorausgesagt. Es ist mir bekannt, daß Adelbert, daß mein Verlobter ein stürmisches Leben hinter sich hat, in dem er sich bitteren Haß und höchst ungerechte Schmähungen zuzog. Sie sind nur der letzte einer Reihe von Leuten, die mir ihre Verleumdungen vorgebracht haben. Möglicherweise meinen Sie es gut, obwohl ich höre, daß sie ein bezahlter Agent sind, der ebenso bereit gewesen wäre, für den Baron zu arbeiten wie gegen ihn. Jedenfalls möchte ich, daß Sie ein für allemal begreifen, daß ich ihn liebe und daß er mich liebt und daß die Meinung der ganzen Welt mir nicht mehr bedeutet als das Gezwitscher der Vögel draußen vor dem Fenster. Wenn sein edler Charakter jemals einen kurzen Augenblick zu Fall gekommen ist, wurde ich vielleicht eigens gesandt, um ihn zu seiner wahren und stolzen Höhe aufzurichten. Mir ist nicht klar‹, hierbei richtete sie ihren Blick auf meine Begleiterin, ›wer diese junge Lady sein mag.‹

      Ich wollte eben antworten, als das Mädchen wie ein Wirbelwind dazwischenfuhr. Wenn sich jemals Flamme und Eis von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, dann in den Gestalten dieser beiden Frauen.

      ›Ich werd Ihnen sagen, wer ich bin‹, rief sie mit vor Leidenschaft verzerrtem Mund und fuhr aus dem Sessel hoch – ›ich war seine letzte Mätresse. Ich bin eine von hundert, die er verführt und benutzt und ruiniert und auf den Kehrichthaufen geworfen hat, so wie er's mit Ihnen auch machen wird. Ihr Kehrichthaufen ist dann wahrscheinlich schon mehr 'n Grab, und vielleicht ist das auch am besten so. Ich sag Ihnen, Sie närrisches Weib, wenn Sie diesen Mann heiraten, wird er Ihr Tod sein. Ob's dann 'n gebrochenes Herz ist oder 'n gebrochenes Genick – irgendwie packt er Sie schon. Ich red hier nicht aus Liebe zu Ihnen. Es schert mich keinen Pfifferling, ob Sie leben oder sterben. Ich red aus Haß auf ihn und um ihm eins auszuwischen und um's ihm heimzuzahlen, was er mir angetan hat. Aber das ist auch einerlei, und Sie brauchen mich gar nicht so anzugucken, meine feine Lady; Ihnen mag's nämlich noch dreckiger gehen als mir, bevor Sie's hinter sich haben.‹

      ›Ich zöge es vor, solche Dinge unerörtert zu lassen‹, sagte Miss de Merville kalt. ›Lassen Sie mich ein für allemal sagen, daß mir aus dem Leben meines Verlobten drei Vorfälle bekannt sind, bei denen er in Beziehungen mit intriganten Frauen verwickelt wurde, und daß ich seiner aufrichtigen Reue über etwelche Übeltaten, die er begangen haben mag, versichert bin.‹

      ›Drei Vorfälle!‹ schrie meine Begleiterin. ›Sie Närrin! Sie unsagbare Närrin!‹

      ›Mr. Holmes, ich bitte Sie, diese Unterredung zu beenden‹,

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