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ausgepackt. Sie war das ganze Jahr über da.«

      Ben lachte wieder und gab zu, dass er genau das gedacht habe. Dann spazierten sie noch ein Stückchen weiter und gingen in das erste tierfreundliche Hotel, das sie fanden. Ihr erstes richtiges Bett: und es war gar nicht so sehr der Sex als das Einschlafen, die halb benebelten Gedanken, ob er einen Fehler machte, die widerstreitenden Bedürfnisse, in Panik davonzulaufen und sich ganz fallen zu lassen.

      Sie schlief als Erste ein, unbefangen wie ein Kind, wie man durch eine offene Tür tritt, und er lag da und atmete in ihr Haar, versuchte zu glauben, dass alles nach Plan laufen würde. Wenn das Liebe war, passierte es einer Menge Leuten. Es gab keinen Grund für Zweifel. Dennoch gab es diese Anomalie – wie etwas Schweres, das sie in seine Hand gelegt hatte, einen Stein, den er mit den Fingern umschlossen und in seine Tasche gesteckt hatte, ohne ihn anzusehen. Als hätte sie gesagt: »Sieh nicht hin, oder du wirst mich für immer verlieren.« Er hatte ihn in seine Tasche gesteckt. Wahrscheinlich war es nur ein Stein.

       6

      Dann erwachte sie in dem Traum. Sie spürte eine Mattigkeit, die ihr aus all ihren Träumen vertraut war; sie war Emilia und sie wollte wieder einschlafen. Draußen krähte ein Hahn, schrie mit wahnwitziger Inbrunst, weckte sie mit seinem Gezeter, obwohl seine Stimme nur gedämpft zu ihr drang. Die Hühner lebten zwei Straßen weiter. Sie waren das Hofgeflügel von Whitehall Palace. In der Ferne läuteten die Glocken zweier Kirchen, schlugen weiter und immer weiter.

      Schrittweise hörte der Traum auf, ein Traum zu sein. Auf ihrem Gesicht war echte Kälte zu spüren, echtes Morgenlicht hinter echten Lidern. Der Moment war so still und trist, wie kein Traum es sein konnte. Sie öffnete die Augen.

      Sie lag in einem zu weichen Bett, das von allen vier Seiten von Vorhängen umschlossen war. Die Vorhänge in der Nähe ihres Gesichts rochen nach Staub und Winter. Sie zog daran, sie ließen sich leicht aufziehen und gaben den Blick frei auf eine verputzte Decke und einen schmalen gemauerten Kamin, dessen Feuer zu Asche heruntergebrannt war. Der Boden war mit Binsen bedeckt: ein struppiger Teppich aus blassen getrockneten Gräsern, in dem silbriger Lavendel aufblitzte. Emilia betrachtete ihn mit körperlichem Wohlbefinden. Sie wusste, wo der Lavendel gewachsen war – im Ostgarten, wo sie ihre erste Tabakpfeife geraucht hatte. Sie erinnerte sich, wie sie in den Binsen gesessen und mit ihren Fingern die Halme geknickt hatte, um besser denken zu können. Sie erinnerte sich an eine Fülle von Dingen, die sie vorher nicht gewusst hatte, Dinge über Emilia, aus Emilias Kopf.

      Das ist der Traum, dachte Kate. Ich bin in dem Traum. Darum war ich so froh.

      Sie kämpfte sich unter den Decken in eine sitzende Haltung, und ihr Atem war dünn. Ihr Bauch war gleichzeitig gedehnt und eingedrückt, sein Gewicht heiß und lebendig an ihrem Arm. Dann erwachte ihr Inneres, ein Treten, das stumpf gegen ihre Rippen stieß. Ihre Brüste waren wund und empfindlich. Sie war schwanger. Darum war ich so froh.

      Dann hielt sie inne, um mehr zu erfahren: Es fiel ein Schnee aus Informationen, dessen Flocken sich zu einer neuen Landschaft formten. Dies war nicht der Mond. Dies war der Londoner Stadtteil Longditch. Dies war das neue Haus, von dem Tuchhändler gepachtet, das elegante Haus in der Nähe von Whitehall Palace. Die Königin weilte im Moment nicht in London; es gab eine Seuche. Deshalb war Emilias Gatte abwesend; er war mit dem Hofstaat verreist. Anders als in New York war es nicht Herbst, sondern März. Anno Domini 1593. Ein Unglücksjahr, ein Pestjahr; alle Orte der Vergnügung geschlossen, die vornehme Gesellschaft aus der Stadt geflüchtet, zumindest gab es Gottes Gnaden sei Dank keinen Krieg. Die Informationen häuften sich, und Emilia ließ es zu, fühlte sich wohl, das Kind in ihr ein lebendiger Ballast, die Decken warm.

      Als sie blinzelte und sich erinnerte, erschien auf dem Boden neben dem Ofen eine Maus. Ihre Bewegungen erschreckten sie; dann erschreckte sie ihre schiere Anwesenheit. Unheimlicherweise sah sie genauso aus wie die Mäuse, die Kates Wohnung in Brooklyn heimsuchten: eine Maus direkt aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Sie beschnupperte wichtigtuerisch die auf dem Boden verstreuten Binsen, genau wie eine Maus aus Brooklyn den Linoleumfußboden beschnuppern würde.

      Dann war sie wieder Kate, erstaunt. Die Maus kroch über den Fußboden, unleugbar lebendig. Sie war echt. Sie lebte und sie war echt.

      Dies war nie ein Traum gewesen. Es war die Vergangenheit.

      Draußen im Flur war ein Schritt zu hören, eine Pantine, die auf Holz schlurfte. Die Maus erlitt einen flackernden Anfall von Angst und flitzte unter eine bemalte Truhe. Emilia richtete sich auf, verstand zum einen, zum anderen tat sie es aus Gewohnheit. Sie rief nervös (und fühlte ihre Absicht, fühlte sie in ihrem Hals, war überrascht von ihrer tiefen und melodischen Stimme): »Mary, bist du das?«

      Der Schritt hielt inne. Einen Atemzug lang war Emilia sich bewusst, dass sie nicht ganz Emilia war. Dann dachte sie an das, was sie sagen musste. In der seltsamen Art, die Träumen anhaftet, rief sie: »Sei so gut, komm und entzünde das Feuer, mein Kind. Es ist hier kalt wie der Mond.«

      Sie hörte, wie ein Holzeimer abgestellt wurde, den eigenartig hohlen Hall des Wassers. Die Tür öffnete sich und Mary trat ein. Sie war ein winziges Mädchen von etwa dreizehn Jahren mit rosafarbenem Gesicht. Sie hatte eine schmuddelige Haube auf, doch sie trug ein sauberes Kleid mit weiten Röcken, pfauenblau. Auf Kate wirkte sie wie ein Schulmädchen in einem Kostüm für eine Theateraufführung. Emilia verdross die schmuddelige Haube, ein nie enden wollendes Ärgernis. Mary nestelte mit rußgeschwärzten Fingern daran herum; sie gehörte zu der ewig schmutzigen Sorte Dienstmädchen.

      Mary knickste, so schnell, dass es wie ein Stolpern aussah, ging dann zum Herd und förderte mit dem Schürhaken unter der Asche eine dickflüssige Glut zutage, die orange aufflammte, unberechenbar wie eine Schlange. Sie legte einige Zweige in das Leuchten, mit solch eleganter Fingerfertigkeit als vollführe sie ein Kunststück. Sofort wuchsen Zungen an den Seiten empor, und Mary hob zwei Scheite auf und legte sie in die Flammen. Der Geruch des Feuers breitete sich aus, vermischt mit Marys lebendigem Gestank, doch seine Wärme war noch nicht zu spüren; und nun erkannte Emilia auch ihren eigenen Körpergeruch, die Überreste des Parfums, vermischt mit Schweiß und dem säuerlichen Geruch der Flüssigkeit, die aus ihren Brüsten drang. All das war echt.

      Darin keimte Bedeutsamkeit auf, die an ihr nagende Eingebung, dass es etwas gab, das Emilia tun musste. Es hatte mit dem Rahmen der Szene zu tun, mit ihrer Form. Sie war hier, um … es lag ihr auf der Zunge. Es hatte nichts mit dem Baby oder der Seuche zu tun. Auch nicht mit der Königin. Sie hatte es ihr ganzes Leben lang gewusst. Es war … sie wusste es, fast.

      Währenddessen betrachtete sie Marys schmutziges Gesicht mit einer besitzergreifenden Zuneigung, die Emilias ureigenste Empfindung war, Kate hatte dergleichen noch nie gefühlt. Und nun erwiderte Mary den Blick, hob störrisch ihr Kinn und sagte: »Wie es Euch beliebt, doch ist der Mond nicht kalt.«

      Für einen kurzen Moment war Emilia überrumpelt. Sie antwortete vorsichtig: »Wie nun – der Mond ist nicht kalt?«

      »Madam, Ihr sagtet, es ist so kalt wie der Mond. Doch ist der Mond näher bei Gott. So wird er schon warm sein. So dachte ich, Madam.«

      »Ach, Gott ist also warm? Er wärmt den Mond?«

      »Sicherlich. Gott ist gut. Und sehr groß. Er kann alle Himmelsgefilde erwärmen.«

      Emilia lachte überrascht, und Mary glühte geradezu vor intellektueller Selbstzufriedenheit, schwankte leicht auf ihren Fersen vor und zurück. Mary war – das fiel Emilia nun wieder ein – eine große Denkerin, die unglücklich war, wenn sie ihre Reden nicht halten durfte. Aus diesem Grund hatte man sie aus dem Haushalt der Hunsdons, wo ihr Geschwätz nicht toleriert worden war, hierher geschickt.

      Mit zunehmendem Ernst sagte Mary jetzt: »Es ist die Hölle, die kalt ist. Mein Bruder sagt, die Hölle sei heiß vom Höllenfeuer, doch ich sage, es muss eine kalte Flamme in der Hölle sein, die brennt, und doch keine Wärme gibt. Ich weiß, dass ein Priester einmal dergleichen sagte. Es ist also nicht nur meiner Einbildung entwachsen. Es ist die wahre Lehre, Madam.«

      »Welch melancholischer Gedanke«, sagte Emilia.

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