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Die Wohnung war nicht nur groß, sehr groß, sie war auch wunderschön, das heißt, sie musste einmal wunderschön gewesen sein! Eingelegte Fußböden wie in Schönbrunn, Stuckdecken in allen fünf Zimmern, eine Halle als Entree, eine riesige Küche mit anschließendem Mädchen- oder Dienerzimmer, wie man hier sagt, und auf der dem Garten zugewandten Seite eine sieben Meter lange Terrasse. Ein wahrer Traum – wenn nicht die Bombenschäden gewesen wären! Die Bombe, die im Garten gelandet war, hatte dort nicht nur einen großen Trichter hinterlassen, sondern fast alle Zimmer – mehr oder weniger – zerstört. Aus den Decken rieselte das Stroh, in den Fußböden, natürlich in den schönsten, waren riesige Löcher, die das kunstvolle Parkett zerbrochen und schwerstens beschädigt hatten – all das die Folge eines schweren Dachschadens. Dazu kam, dass die Wohnung nach der Flucht eines nazideutschen Arztes seit über einem Jahr leer stand – ohne Fenster! Man frage mich nicht, wie die Türen- und Fensterrahmen ausgesehen haben – ein Jahr lang jeder Witterung ausgesetzt! Im Vorzimmer und teilweise auch in den übrigen Zimmern lagen Schutthaufen en masse. Ich war ziemlich entmutigt, aber Franz meinte, wir würden es schon schaffen, aus dem Trümmerhaufen eine Wohnung zu machen, eben nach und nach mit vereinten Kräften.«

      Später erfuhren meine Eltern, dass im Erkerzimmer besagter Wohnung einst Johannes Brahms Klavier gespielt hatte. Sie bekamen einen Mietvertrag, der 14 Jahre unkündbar war. Allerdings mussten sich meine Eltern verpflichten, die Wohnung auf ihre Kosten zu renovieren.

      Bankkredite bekam man zu dieser Zeit nicht, jedenfalls sicher nicht meine Eltern. Allerdings kam ihnen der Umstand zu Hilfe, dass die Professionisten damals kein Geld wollten, sondern Lebensmittel oder andere nützliche Dinge. Geld hatten meine Eltern wenig, an Lebensmittel konnten sie leichter herankommen. Onkel Walter half mit seinen Verbindungen zur Landwirtschaft, und am Schwarzmarkt bekam man auch einiges. Zunächst mussten die Fenster und das Dach instand gesetzt werden. Den Schutt schafften meine Eltern mit meiner Großmutter eigenhändig fort. Die Türen lackierte meine Mutter. Das langwierigste, schwierigste und teuerste Unternehmen war die Restaurierung der Stuckdecken, der eingelegten Fußböden und des prächtigen, wertvollen dunkelgrünen Kachelofens im späteren Speisezimmer. Er reichte fast bis zur Decke, jeder Besucher bewunderte ihn. Ein ausgezeichneter Stuckateur vollbrachte wahre Wunder – das größte Problem bildeten aber die Fußböden.

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      Mein Onkel Walter Beck als Turnierreiter in Wien 1954.

      Diese materielle Kraftanstrengung hatte alle finanziellen Ressourcen meiner Eltern aufgebraucht. Meine Mutter verkaufte sogar ihre während des Krieges erworbenen, aber nie benützten funkelnagelneuen Schier mit Stahlkanten. Doch jetzt musste Geld verdient werden. Meiner Mutter gelang es, beim amerikanischen Information Service eine Anstellung als Sekretärin zu bekommen. Sie verdiente monatlich 300 Schilling, was zu dieser Zeit viel Geld war.

      Mein Vater Franz Kunz habe in Österreich nie recht Fuß fassen können, weiß ich von meiner Mutter. Onkel Walters Chef habe ihm eine gute Position in seinem Unternehmen angeboten und sich überdies dazu bereit erklärt, eine attraktive Tätigkeit in einem anderen Betrieb zu vermitteln. In beiden Fällen habe es sich aber um eine Schreibtischtätigkeit gehandelt, und die wollte mein Vater nicht. Ihm lag es mehr, viel unterwegs zu sein. Jedenfalls habe er ständig eine interessante Aufgabe gesucht, aber nie das Richtige gefunden. Die Hauptlast, die kleine Familie zu ernähren und jetzt auch noch die neue große Wohnung in der Reithlegasse zu erneuern, lag also bei meiner Mutter.

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      Das erste Foto von mir Ende Jänner 1947.

      Am 2. Jänner 1947 kam ich um 18.40 Uhr im Rudolfinerhaus in der Billrothstraße 78 im 19. Bezirk zur Welt. Der 2. Jänner war in der Geschichte der Geburtstag vieler interessanter Persönlichkeiten: Schauspieler Josef Kainz (1858), Hotelbesitzerin Anna Sacher (1859), Bildhauer Ernst Barlach (1870), Karmelitin Theresia von Lisieux (1873) oder Philanthrop Folke Bernadotte Graf von Wisborg (1895), der Präsident des Schwedischen Roten Kreuzes war und von jüdischen Extremisten ermordet wurde, als er im Auftrag der Vereinten Nationen im Palästina-Konflikt vermittelte. Im »Wiener Kurier« (herausgegeben von den amerikanischen Streitkräften für die Wiener Bevölkerung) vom 2. Jänner 1947 wurde auf Seite 1 groß vermeldet, eine amtliche britische Stelle habe am Silvesterabend die Richtlinien bekannt gegeben, die vom Außenministerrat für die Ausarbeitung des Staatsvertrages über Österreich festgelegt wurden. Weniger als zwei Jahre nach Kriegsende wurde also bereits konzeptionell am Staatsvertrag gearbeitet. Das Erfolgserlebnis der Unterzeichnung des Staatsvertrages sollte freilich noch acht Jahre auf sich warten lassen. Ein anderer Artikel in erwähnter Ausgabe des »Wiener Kurier« unter dem Titel »Mit Johann Strauß ins Neue Jahr« bezog sich auf das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker unter Leitung von Josef Krips. Die hymnische Kritik von Peter Lafite zeigte, dass sich auch das Kulturleben wieder zu normalisieren begann. An anderer Stelle rezensierte der »Wiener Kurier« unter dem Titel »Das erste Faschingskonzert« eine Veranstaltung der Wiener Konzerthausgesellschaft, in deren Rahmen der von Emmy Loose, einer guten Freundin meiner Mutter, prächtig gesungene »Frühlingsstimmen«-Walzer am Nachmittag des Neujahrstages lebhafte Zustimmung fand.

      Ich besuchte den Kindergarten im Kloster auf der Döblinger Hauptstraße und wurde bald Ministrant in der Pfarre St. Paul in der Döblinger Vormosergasse. Ein Ministrantenkollege war übrigens Alexander Christiani, der Jahrzehnte später ein Spitzendiplomat unseres Landes werden sollte. Auch die Brüder Paul und Stefan Schulmeister waren Ministranten. Paul Schulmeister war später ein exzellenter Außenpolitik-Journalist im ORF, Stefan Schulmeister machte sich einen Namen als Wirtschaftsforscher. Beider Vater war der legendäre »Presse«-Chefredakteur und Herausgeber Otto Schulmeister. Für die Betreuung der Ministranten zuständig war der Kaplan Wolfgang Flasch, von dem wir viel Interessantes über die christliche Soziallehre erfuhren. Die Beschäftigung mit diesem Thema hat mich schon früh für gesellschaftspolitische Fragen interessiert.

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      Als Ministrant (erste Reihe, Dritter von rechts) bei der Fronleichnamsprozession 1956.

      In der Reithlegasse 6 wohnte ich mit meinen Eltern und meiner Großmutter Melitta im 1. Stock, wo auch das Büro des von Aussig nach Wien übersiedelten Briefmarken-Auktionshauses Julius Kunz untergebracht war, die Arbeitsstätte meiner Mutter nach ihrem Ausscheiden aus amerikanischen Diensten. Auch Julius Kunz logierte mit seiner Frau Martha in dieser sehr großen Etage. Ihn habe ich als liebenswürdigen älteren Herrn in Erinnerung. »Onkel Julius«, wie ich ihn nannte, verwöhnte mich mit kleinen Geschenken und lud unsere Familie sonntags immer in ein Restaurant zum Mittagessen oder nachmittags zu einem Heurigen ein. Ganz genau erinnere ich mich an ein Sonntagsessen im Hotel Sacher, bei dem sich plötzlich alle Restaurantbesucher von ihren Plätzen erhoben, als ein würdiger Herr mit weißem Bart den Raum betrat. Das war 1951 und der würdige Herr war der eben als Nachfolger von Karl Renner zum Bundespräsidenten gewählte Theodor Körner. Dieser sozialdemokratische Aristokrat – er war ein Edler von Siegringen – war im Ersten Weltkrieg 1917/18 Generalstabschef der 1. Isonzo-Armee, wurde in der Ersten Republik General des Bundesheeres, gehörte der Führung des sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbundes an und wurde am 13. April 1945, noch während der letzten Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges, Wiener Bürgermeister.

      Im Erdgeschoß der Reithlegasse 6 wohnte die Familie des legendären Chirurgen Professor Georg Salzer. Auch dessen Vater Hans Salzer, der mit einer Cousine der Geschwister Wittgenstein verheiratet war, machte sich einen Namen als international bekannter Lungenfacharzt und Chirurg. Professor Georg Salzer war ebenfalls Lungenspezialist und galt als begnadeter Operateur. Er hatte ein großes medizinisches Ethos und behandelte Patienten gratis, wenn diese kein Geld hatten. Seine Frau Elisabeth, eine Zahnärztin, wurde zu einer engen Freundin meiner Mutter, und sein Sohn Heinz, der ein paar Monate jünger ist als ich, ist bis heute mein bester Freund. Wie einige seiner Geschwister wurde auch er Arzt. Zuletzt war er Gynäkologie-Primarius am Wiener Wilhelminenspital mit einem hervorragenden Ruf in Fachkreisen. Heinz ist Protestant und hat im Kindesalter widerwillig bei den Messen ministriert, die ich in einer Art von religiösem Wahn als Bub in vollem Priesterornat

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