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Tagebücher 1818 - 1832. Johann Wolfgang von Goethe
Читать онлайн.Название Tagebücher 1818 - 1832
Год выпуска 0
isbn 9783849616786
Автор произведения Johann Wolfgang von Goethe
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Eine neue Wendung wurde dem Schaffen des Dichters gegeben, nachdem ihm durch die Hafis-Übersetzung J. v. Hammers die Poesie des Orients eröffnet worden war; das Erlernte unmittelbar zu bedeutsamster Produktion verwertend, schrieb G. die wunderbar tiefgedachten und tiefgefühlten Gedichte des »Westöstlichen Diwan« (1819), in denen eine resolute Lebensauffassung, poetische Hingabe an Liebe und Wein, insbes. aber tiefsinnige Religiosität zum Ausdruck gelangt sind. Wichtigste Lebensanregungen boten ihm zu den wundervollen Liebesliedern des Suleika-Zyklus die glücklichen Stunden, die er in Frankfurt 1814 und 1815 mit der anmutigen und talentvollen Marianne v. Willemer und ihrem Gatten verbrachte (vgl. »Briefwechsel zwischen G. und Marianne v. Willemer«, Stuttg. 1877, 2. Aufl. 1878). 1816 wurde der Dichter durch den Tod seiner Frau tief ergriffen. 1817 legte er die Leitung des weimarischen Hoftheaters, die ihm schon lange keine Freude mehr bereitet hatte, nieder, da er unter den Intrigen der Jagemann (Frau v. Heygendorf), der Geliebten des Herzogs, viel zu leiden gehabt hatte; schließlich gab eine Äußerlichkeit den Ausschlag: der Großherzog hatte gegen Goethes Anordnung befohlen, dass ein Effektstück, »Der Hund des Aubry«, in dem ein dressierter Pudel mitwirken sollte, gespielt werde. Hierauf nahm G. grollend seine Entlassung und schied aus einer Stellung, in der er mit großem Erfolg 26 Jahre lang gewirkt hatte. Noch einmal wurde er von tiefer Liebesleidenschaft ergriffen zu der jugendlichen Ulrike v. Levetzow, mit der er 1822 und 1823 in Marienbad und Karlsbad glückliche Stunden verbrachte, und der er in seiner berühmten »Trilogie der Leidenschaft« ergreifende Verse voll jugendlicher Glut widmete. Doch mehr und mehr machte sich nun das Alter bemerklich. Die fünfzigste Wiederkehr des Tages, an dem er zuerst Weimar betreten hatte, der 7. Nov. 1825, wurde feierlich begangen, wie denn der greise Dichter vom Inland und Ausland wie ein Fürst verehrt und als der größte Mann seiner Zeit anerkannt wurde. Schwere Schicksalsschläge bewegten seine letzten Jahre: 1828 starb sein fürstlicher Freund Karl August, 1829 die edle Großherzogin Luise, 1830 Goethes Sohn August, der ihm freilich infolge seines ungeregelten Lebens viel Kummer bereitet hatte. In rastloser, immer mehr sich ausbreitender Tätigkeit suchte er der niederdrückenden Schmerzen Herr zu werden. Viel beschäftigte ihn der Gedanke der Weltliteratur, d.h. eines internationalen Austausches literarischer Meisterwerke, und wie er selbst alles Gute aus der Fremde mit Dank und Gewinn aufnahm, so übten seine Dichtungen immer gewaltigere Nachwirkung in allen Kulturländern. Die letzten Lebensjahre waren der Vollendung von »Wilhelm Meisters Wanderjahren« und des zweiten Teiles vom »Faust« gewidmet: in den ersteren bot G. ein Werk von zumeist nur wenig ansprechender Darstellung, aber außerordentlich tiefem Gehalt; einige der eingestreuten Novellen, namentlich »Der Mann von fünfzig Jahren«, sind zwar auch durch die poetische Form anziehend, aber mehr als die konkrete Darstellung wirken die gewaltigen theoretischen Erörterungen über Erziehung, Wirtschafts- und Staatsleben. Im zweiten Teile des »Faust«, der erst nach dem Tode des Dichters, 1832, erschien, wird der Held aus der kleinen in die große Welt des Staatslebens eingeführt, dann in dem 3. Akt, der Helena-Tragödie, mit der Welt der Schönheit und des klassischen Geistes vermählt, um schließlich in den letzten Akten zu rastloser, gemeinnütziger Tätigkeit glorreich fortzuschreiten. In hier und da schwer verständlichen Symbolen und Allegorien, häufig aber auch in unmittelbar tiefergreifender Darstellung führte der Dichter sein vor 60 Jahren begonnenes Meisterwerk zu glücklichstem Abschluss. Wenige Monate darauf, 22. März 1832, schied er sanft und schmerzlos aus dem Leben.
Goethes Gesamtbild.
Ausgestattet mit dem ungewöhnlichsten anschaulich gegenständlichen Denken und lebendigster Regsamkeit des Gefühls, gelangte G. zu der Größe und Neuheit seines Schaffens, insbes. durch den mit Inbrunst erfassten Gedanken von der in allen Erscheinungen der Welt lebendig wirkenden Kraft der Natur oder Gottes. Frühzeitig, durch Rousseau, mehr aber noch durch Spinoza, dessen »Ethik« er 1773 kennen lernte, angeregt, suchte er die Natur als ein Ganzes zu begreifen und nicht nur das einzelne Erschaffene, sondern die in allem wirkende Kraft, die lebendige Bewegung, das rastlose Werden und Wachsen zu würdigen. Von früher Jugend an tiefbewegt durch die Geheimnisse des religiösen Glaubens, mit denen er bis an sein Ende immer weiter gerungen hat, gelangte er doch schon in jungen Jahren zu der Erkenntnis von der Überlegenheit der pantheistischen Anschauungsweise. Gott und die Welt sind ihm eins; mit poetischer Andacht erkennt er in den einzelnen Erscheinungen Manifestationen »jenes Urlichts droben, das unsichtbar alle Welt erleuchtet«. Selten ist daher ein so törichtes Wort ausgesprochen, wie das von dem »großen Heiden« G. Er war in Wahrheit ein tief religiöser Mann, wenn freilich dem orthodoxen Bekenntnis beider christlicher Konfessionen oft grollend abgeneigt (vgl. Filtsch, Goethes religiöse Entwickelung, Gotha 1894; Keuchel, Goethes Religion u. Goethes »Faust«, Riga 1899; Vogel, Goethes Selbstzeugnisse über seine Stellung zur Religion, 3. Aufl., Leipz. 1903).
Im inneren Zusammenhang mit diesen Grundanschauungen steht Goethes Beschäftigung mit den Naturwissenschaften (vgl. Steiner, Goethes Weltanschauung, Weim. 1897); sein Streben ging dahin, das Geheimnis der wirkenden göttlichen Kraft allseitig zu erschließen. Das zeigen schon seine hymnenartig begeisterten Aufsätze »Die Natur« und »Der Granit«; mehr aber kommt es zum Ausdruck in den Arbeiten zur Naturwissenschaft im allgemeinen und in den Spezialuntersuchungen auf dem Gebiete der Botanik, der Morphologie, Mineralogie, Meteorologie und insbes. der Farbenlehre. In den Arbeiten zur Naturwissenschaft überhaupt hat G. als ein Vorläufer Darwins den Gedanken einer organischen Entwickelung der Natur von einfachen zu immer vollkommeneren Gebilden mit Klarheit ausgesprochen und verteidigt. Ihm ist der einheitliche Zusammenhang alles Erschaffenen deutlich geworden, wenn freilich er die Darwinschen Erklärungsgründe und Gesetze von der Zuchtwahl, Anpassung und dem Kampf ums Dasein nicht herangezogen und erschlossen hat. Von diesem Standpunkt aus erblickte er in dem Blatte das ursprünglichste Organ der Gewächse und entwickelte die durchaus anschauliche Idee einer Urpflanze (vgl. Bliedner, G. und die Urpflanze, Frankf a. M. 1901); von diesem Standpunkt aus machte er die Entdeckung, dass der Schädel als Fortbildung der Wirbelsäule aufzufassen sei, und indem er die regelmäßig sich fortsetzende Entwickelung von den niederen Tieren zum Menschen im Auge behielt, erkannte er, dass der Zwischenknochen (os intermaxillare), den man bisher beim Menschen nicht beobachtet hatte, auch bei diesem in Resten sich erhalten habe, und dass also die von früheren Anatomen aufgestellte Behauptung, in dem Fehlen dieses Knochens zeige sich der Unterschied zwischen Mensch und Tier, zu Unrecht gemacht worden sei. Wenig Anerkennung hat Goethes umfangreiches Werk über die Farbenlehre (1810) erfahren, in dem er die von Newton aufgestellte Theorie bekämpfte. Dagegen zeugen die geologischen und auch die, namentlich von G. in seinem Greisenalter gepflegten, meteorologischen Studien wiederum von der Lebendigkeit seiner fruchtbringend selbständigen Betrachtung.
Wie Goethes naturwissenschaftliches Denken mit seinem religiös-philosophischen zusammenhängt, so hat es auch auf sein poetisches Schaffen ebenso stark wie bedeutsam zurückgewirkt. Ihm schien es die höchste Aufgabe, die menschliche Seele in ihren mannigfaltigen Typen nach den in der Wirklichkeit geltenden Gesetzen, gleichsam im Sinne der schaffenden Natur, von innen heraus neu erstehen zu lassen; er will dem Erdgeist das Gesetz seines Schaffens ablauschen und im Sinn und Auftrag der natura naturans eine neue Welt bilden, gleich seinem Prometheus. Aber nicht das Gewordene, sondern das Werdende ist ihm immer der vorzüglichste Gegenstand seines Interesses. Indem er die treibenden Kräfte erkennt und erfasst, hält er sich frei von aller