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Assistenzarzt Rede und Antwort stehen müssen. Und gerade an Antworten hatte er herzlich wenig anzubieten.

      *

      »Herr Doktor, sagen Sie mir endlich, was mit meinem Freund ist!« verlangte Michaela Weller mit Nachdruck. Seit zwei Tagen war sie von dieser mysteriösen Krankheit geheilt, und seitdem versuchte sie herauszubekommen, wie es Manfred Klein ging, doch bisher hatte sie nur ausweichende Antworten bekommen.

      Dr. Metzler seufzte tief auf. »Ihrem Freund geht es sehr schlecht, Frau Weller.«

      »Ich will zu ihm.«

      Doch Dr. Metzler schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht verantworten. Die Ansteckungsgefahr wäre zu groß.«

      »Das sagst du zu mir auch jeden Tag«, mischte sich Stefan Daniel ein. Seine Quarantäne hatte am Vortage aufgehoben werden können, und seitdem setzte er Dr. Metzler noch mehr zu als vorher. »Wie geht’s meinem Vater?«

      Dr. Metzler sah von Stefan zu Michaela. »Damit verletze ich meine Schweigepflicht.« Resigniert winkte er ab. »Aber ich fürchte, das ist in diesem Fall langsam egal. Ihr werdet eure Antworten bekommen.« Er wandte sich Stefan zu. »Dein Vater hat Lähmungserscheinungen an Händen und Füßen.« Dann sah er Michaela an. »Bei Herrn Klein ist es noch ein bißchen schlimmer, weil er schon zwei Tage länger an dieser Krankheit leidet. Seine Arme und sein rechtes Bein sind vollständig gelähmt, das linke Bein bis zum Knie.«

      Entsetzt starrten Stefan und Michaela ihn an.

      »Und was tun Sie dagegen?« brachte Michaela endlich hervor.

      »Nichts!« rief Stefan aufgebracht. »Er tut überhaupt nichts!«

      »Das ist nicht wahr, Stefan, und das weißt du!« entgegnete Dr. Metzler ärgerlich. »Ich würde niemals einen Patienten im Stich lassen, aber… ich weiß zu wenig über diese Krankheit… besser gesagt, darüber, wie man sie wirkungsvoll behandelt.«

      »Aber ich bin doch auch gesund geworden«, wandte Michaela ein. »Warum geben Sie Manfred nicht einfach dasselbe Medikament, das ich bekommen habe?«

      »Er bekommt es«, erwiderte Dr. Metzler. »Aber aus irgendeinem Grund schlägt es bei ihm nicht an. Ebenso bei deinem Vater, Stefan. Und ich habe keine Ahnung, woran das liegt.«

      Entsetzt starrte Michaela ihn an. »Heißt das… Manfred wird sterben?«

      Dr. Metzler zögerte, dann nickte er. »Wenn nicht noch ein Wunder geschieht…«

      »Gilt das auch für meinen Vater?« fragte Stefan mit fast tonloser Stimme.

      Dr. Metzler wandte sich ihm zu. »Ja, Stefan.« Impulsiv ergriff er die Hand des jungen Mannes. »Dein Vater ist für mich mehr als nur ein Freund, und ich würde mein Leben geben, wenn ich seines damit retten könnte.«

      Beschämt senkte Stefan den Kopf. »Es tut mir leid, Wolfgang. Ich war ungerecht zu dir, dabei hätte ich am allerbesten wissen müssen, daß gerade du einen Patienten niemals leichtfertig aufgeben würdest. Bitte verzeih mir.«

      »Ist schon gut, Stefan.« Er seufzte. »Es tut mir im Herzen weh, deinen Vater sterben zu sehen.«

      »Ich will bei ihm sein«, verlangte Stefan. »Und sag jetzt nicht, daß das nicht geht. Ich lasse nicht zu, daß mein Vater in seinen letzten Tagen und Stunden allein ist.«

      Dr. Metzler zögerte, dann nickte er. »Einverstanden, aber nur, wenn du dich ausreichend schützt. Das bedeutet, daß du nur mit Mundschutz und Handschuhen zu deinem Vater darfst.«

      »Ich nehme an, das gilt auch für mich«, mischte sich Michaela ein. »Ich werde Manfred nämlich auch nicht allein lassen.«

      »Das habe ich mir schon gedacht«, meinte Dr. Metzler. »Kommen Sie mit, Frau Weller, Sie bekommen von mir, was Sie brauchen. Und wenn Sie das Zimmer Ihres Freundes verlassen, dann müssen Sie sich im Nebenraum gründlich desinfizieren, denn im ungünstigsten Fall könnte sogar die Kleidung diese Krankheit übertragen.«

      »Es ist ein fürchterlicher Virus«, flüsterte Michaela betroffen, dann sah sie Dr. Metzler an. »Wie steht es eigentlich um Ines Holbe? Soviel ich weiß, ist sie doch auch betroffen.«

      Dr. Metzler nickte. »Frau Holbe liegt seit gestern im Koma. Ich fürchte, für sie gibt es ebenfalls keine Hoffnung mehr.«

      *

      Valerie Doschek sprach auf das Medikament sehr gut an. Ihre Anfälle wurden mit jedem Mal leichter, so daß sie sich schon nach wenigen Tagen auf dem Wege der Besserung befand. Doch der kleine Tobias machte Dr. Metzler große Sorgen. Das Baby kämpfte mit dem Tod, und als bei ihm ebenfalls erste Lähmungserscheinungen auftraten, war der Chefarzt einem Zusammenbruch nahe.

      »Ich kann nicht mehr«, schluchzte er verzweifelt, als er völlig zusammengesunken im Ärztezimmer an seinem Schreibtisch saß. »Zwei junge, lebenslustige Menschen, Robert und nun auch noch das Baby… ich kann nicht mehr…«

      So fand ihn der Oberarzt der Klinik, Dr. Gerrit Scheibler, der bis vor kurzem mit Manon Carisi im Labor gearbeitet hatte. Noch immer versuchten sie das Rätsel um die Wirksamkeit des japanischen Medikaments zu lösen, doch bis jetzt waren sie keinen Schritt weitergekommen. Jede Spur, die sie verfolgt hatten, war im Sande verlaufen.

      »Wolfgang, du mußt schlafen«, meinte Dr. Scheibler mit sanfter, beruhigender Stimme. »Seit zwei Tagen und Nächten bist du jetzt schon wieder ununterbrochen auf den Beinen. Es nützt niemandem, wenn du dich hier aufreibst.«

      Mit gequältem Blick sah Dr. Metzler auf. »Wie soll ich schlafen können, wenn Robert im Sterben liegt? Und das Baby hat auch schon Lähmungserscheinungen. Gerrit, ich bin am Ende. Noch nie habe ich mich als Arzt so hilflos gefühlt.«

      Dr. Scheibler widersprach dem Kollegen ernst. »Durch dein Wissen und Können hast du bereits vielen Menschen das Leben gerettet, und du hast verhindert, daß sich die Krankheit weiter ausbreiten konnte. Seit fast zehn Tagen sind in ganz Bayern keine Krankheitsfälle mehr aufgetreten. Das ist dein Verdienst, Wolfgang.«

      »Ja, aber Robert wird sterben«, erklärte Dr. Metzler niedergeschlagen, »und ohne ihn werden weder Steinhausen noch die Waldsee-Klinik jemals wieder so sein wie vorher.«

      *

      Dr. Daniels Arme waren mittlerweile vollständig gelähmt. Stefan und Karina, die nach dem alarmierenden Anruf ihres Bruders unverzüglich aus Freiburg hergekommen war, wechselten sich am Krankenbett ihres Vaters ab.

      »Ich habe nicht damit gerechnet, daß ich so früh würde gehen müssen«, erklärte Dr. Daniel, als seine beiden Kinder einmal gemeinsam bei ihm waren. »Aber es läßt sich eben nicht mehr ändern.« Unwillkürlich mußte er daran denken, daß er nun die Hochzeiten seiner Kinder nicht mehr erleben würde, daß er nicht mehr Großvater werden würde und daß seine Praxis leerstehen würde, bis Karina ihren Facharzt in der Tasche hatte – sofern es überhaupt jemals soweit kommen und sie nicht vorher ihren Verlobten

      Jean Veltli heiraten würde.

      »Mach dir keine Sorgen, Papa, ich werde deine Praxis übernehmen«, versprach Stefan, als hätte er die Gedanken seines Vaters erraten.

      »Das wolltest du doch nicht, Stefan«, wandte Dr. Daniel ein, obwohl er über das Angebot seines Sohnes gerührt war. »Deine ganze Laufbahn… du wolltest doch immer Mikrochirurg werden.«

      Doch Stefan schüttelte den Kopf. »Nein, Papa. Ich werde die Praxis in deinem Sinn weiterführen.«

      Tränen der Rührung stiegen Dr. Daniel in die Augen, zu gern hätte er seinen Sohn jetzt berührt, doch das war unmöglich. Seine Arme und Hände gehorchten den Befehlen seines Gehirns nicht mehr. Und dann wurde er ganz unvermittelt wieder von einem dieser schrecklichen Anfälle überfallen. Es war der schlimmste seiner Art, und er dauerte fast eine Stunde.

      Unwillkürlich ergriffen sich Stefan und Karina bei den Händen, dann lehnte sich Karina plötzlich an ihren Bruder und brach in Tränen aus.

      »Er darf nicht sterben«, stieß sie schluchzend hervor. »Er darf es nicht!«

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