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Die Augen fest auf die Eingangstür gerichtet folgte sie den Dimensionen, die aus dem Nichts in ihr Sichtfeld drängten, ins Innere.

      Dr. Lauren Monks Praxis war im zweiten Stock. Normalerweise empfing sie ihre Patienten dort nur zu im Voraus vereinbarten Terminen. Zoe hatte zwar keinen Termin ausgemacht, aber sie hatte angerufen, um sicherzugehen, dass Dr. Monk trotzdem Zeit haben würde.

      Dr. Monk saß an ihrem Schreibtisch, mit der Tür zum Wartezimmer geöffnet, um zu signalisieren, dass gerade niemand bei ihr war. Zoe durchschritt das helle Wartezimmer, es war in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau gehalten, und ging direkt weiter in das Behandlungszimmer, wo ein altbekannter, abgenutzter Ledersessel sie erwartete. Zoe ignorierte den Sessel jedoch und blieb stehen – und mit einiger Mühe gelang es ihr, den Blick zu heben und Dr. Monk ins Gesicht zu sehen, die Zoes Blick erwiderte.

      Auch wenn man an Dr. Monks Gesichtsausdruck vielleicht etwas hätte ablesen können, Zoe war dazu nicht in der Lage. Sie nahm nur die Dimensionen des Gesichtes wahr: den Abstand zwischen den Augen, den Winkel, in dem die Augenbrauen gebogen waren, die Länge jedes einzelnen Haares – von all diesen Eindrücken war Zoes Wahrnehmung so sehr überladen, dass sie keine Kapazität mehr dafür hatte, das darunter verborgene menschliche Gesicht ebenfalls zu erkennen. Sie wusste nur, dass Dr. Monk sich seit Zoes letztem regulären Termin hier – mit dem ihre Therapie geendet hatte, weil Dr. Monk keinen weiteren Bedarf mehr dafür gesehen hatte – rein äußerlich in keinster Weise verändert hatte. Sie war die Gleiche geblieben, mit ihrem dunklen Bob, der eine befriedigend gerade Kante hatte, und demselben Schönheitsmal einen Zentimeter oberhalb ihres rechten Mundwinkels.

      „Es ist schön, Sie wiederzusehen, Zoe“, sagte Dr. Monk und erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl. Normalerweise nahm sie in den Therapiesitzungen gegenüber von dem schwarzen Ledersessel Platz, um ihren Patientinnen direkt gegenüber zu sitzen, ohne dass etwas zwischen ihnen stand. „Es ist ja schon einige Wochen her.“

      „Ich wollte keinen weiteren Termin mehr ausmachen“, sagte Zoe und verschränkte dabei straff die Arme vor der Brust. „Sie hatten ja gesagt, dass es mir jetzt besser ginge.“

      „Es ging Ihnen auch besser“, sagte Dr. Monk mit sanfter Stimme. Sie kam hinter ihrem Schreibtisch hervor, um Zoe unmittelbar gegenüberzustehen. „Aber ein Trauerfall kann auch nach einer äußerst erfolgreichen Therapie einen Rückfall auslösen. Unsere erlernten Bewältigungsmechanismen funktionieren danach eventuell nicht mehr – oder wir sehen einfach keinen Sinn mehr darin, sie überhaupt anzuwenden. Wenn jemand verstirbt, der einem sehr nahe stand, dann ist es ganz normal, noch ein wenig mehr Unterstützung zu brauchen.“

      Zoe versuchte erneut, nicht nur die Zahlen wahrzunehmen, sondern Dr. Monks darunter verborgenen Gesichtsausdruck zu erkennen, aber es gelang ihr auch diesmal nicht. „Ich dachte, ich hätte das jetzt unter Kontrolle.“

      Dr. Monks Körperhaltung entspannte sich, die Winkel ihrer Schultern flachten sich ab, wurden geschmeidiger. „Ich würde Sie bitten, einen neuen Termin auszumachen. Und zwar für die nahe Zukunft. Am besten so bald wie möglich.”

      „Okay.“ Zoe atmete tief durch. „Aber deshalb bin ich nicht hergekommen.“

      Dr. Monk nickte bedächtig. „Ich kann Ihnen ansehen, dass Sie eine ziemlich schwere Zeit durchmachen. Wie viel Schlaf kriegen Sie denn im Moment?“

      „Nicht besonders viel.“ Zoe zuckte mit den Schultern. „Ich schlafe erst spät nachts ein und stehe spät wieder auf. Alkohol hilft. Aber dann bin ich am nächsten Tag müde, weshalb ich manchmal auch tagsüber schlafe.“

      Dr. Monk nickte erneut, diesmal energischer. Viermal. „Ich vermute, dass Sie in einer schweren depressiven Episode stecken“, sagte sie. Zoe blieb nichts anderes übrig, als dem zuzustimmen; Dr. Monk kannte sie schließlich sehr gut. Sie wusste nichts über Depressionen – auch nicht, ob der Begriff überhaupt verwendet werden sollte in Fällen, in denen Traurigkeit doch eine vollkommen angemessene Reaktion war. Aber sie vertraute ihrer Therapeutin. „Am besten verschreiben wir Ihnen ein Medikament, das Ihnen dabei hilft, etwas besser damit zurechtzukommen. Ich stelle Ihnen jetzt gleich ein Rezept aus und bei unserem nächsten Termin können wir dann genauer darüber sprechen.“

      Zoe nickte und ahmte dabei den Rhythmus nach, den sie bei ihrer Ärztin beobachtet hatte: Eins, zwei, drei, vier – und stopp. „Ich mache noch diese Woche einen Termin aus.“

      Dr. Monk zögerte, biss sich auf die Unterlippe. Sie tippte sich mit ihrem Kugelschreiber auf die Haut neben der Lippe, in der anderen Hand hielt sie das noch unausgefüllte Rezept. „Wie viel trinken Sie zur Zeit?“, fragte sie .

      Zoe zuckte erneut mit den Schultern. „So viel wie nötig ist, um die Zahlen zu betäuben.“

      Zoe sah, wie der Umfang von Dr. Monks Augen sich vergrößerte. Die Haut hob sich mit ihren Augenlidern, die Winkel der Krähenfüßchen, gerade so an ihren Augenwinkeln sichtbar, änderten sich. „Also gut.“ Sie kritzelte mit einer schnellen Handbewegung etwas auf das Rezept, dann ging sie zu ihrem Schreibtisch und kramte in einer der Schubladen herum. „Also, ich möchte, dass Sie dieses Rezept einlösen, aber ich denke auch, dass sie etwas brauchen, um das Problem sofort in den Griff zu bekommen. Hiermit können Sie die Zwischenzeit überbrücken.“

      Sie richtete sich mit einem Tablettenstreifen in der Hand auf, deren Silberfolie das durch die großen Fenster hereinströmende Licht reflektierte. Sie streckte die Hand aus, um Zoe die Tabletten hinzuhalten und Zoe nahm sie mit einer mechanischen Bewegung entgegen.

      „Beginnen Sie heute Abend mit der Einnahme“, fuhr Dr. Monk fort. „Zu jeder Mahlzeit eine – morgens, mittags, abends. Nicht auf nüchternen Magen nehmen. Und bitte keinen Alkohol mehr trinken, okay? Davon sollten die Zahlen ebenfalls betäubt werden. Sollte man aber nicht mit Alkohol kombinieren. Geht das in Ordnung?“

      Zoe nickte. „Ich fange heute Abend damit an“, sagte sie.

      Dr. Monk atmete zögerlich durch. „Was haben Sie jetzt als nächstes vor? Hätten Sie Zeit für eine Therapiesitzung?“

      „Ich fahre zur Arbeit“, sagte Zoe.

      „Sie sind wieder im Dienst?“, Dr. Monk klang erschrocken.

      „Nein. Meine Suspendierung ist gestern abgelaufen, aber ich bin nicht zum Dienst erschienen.“ Zoe atmete ebenfalls durch. „Ich muss allerdings mit meinem Chef reden.“

      Dr. Monk nickte. „Okay. Dann machen Sie das. Aber ich möchte Sie möglichst bald wieder hier sehen.“

      „Verstanden.“ Zoe machte sich auf den Weg zum Ausgang, die Tabletten hielt sie immer noch fest in der Hand. Sie traute sich nicht, sich noch einmal nach Dr. Monk umzusehen, denn die Zahlen krabbelten wie Ameisen über ihr Gesicht und Dr. Monk war sich ihrer Existenz noch nicht einmal bewusst.

      Wieder im Auto angekommen, schnappte sich Zoe eine der Wasserflaschen, die sie im Türfach lagerte, und spülte damit eine der Pillen herunter. Sie konnte damit nicht warten. Um es durch ihr Gespräch mit Maitland zu schaffen, war sie jetzt auf ihre Unterstützung angewiesen.

***

      Das J. Edgar Hoover-Gebäude hatte eine beruhigend komprimierte und geometrische Form, mit allerhand gerade Linien im unauffälligen Grau des Betons. Das gefiel Zoe, genau wie das Layout des Gebäudes: alles war symmetrisch angeordnet, mit identischen Designs auf den einzelnen Stockwerken, sodass man im Zweifel immer raten konnte, wo man langgehen musste. Das beruhigte sie ein wenig. Während sie darauf wartete, dass die Tablette ihre Wirkung auf die Zahlen entfaltete, hatte sie es so immerhin nur mit solchen Zahlen zu tun, die nicht ganz so störend waren.

      Sie hatte damit gerechnet, eine Weile warten zu müssen, aber nachdem sie dreimal an die Tür geklopft hatte, an der SAIC Leo Maitlands Name stand, forderte er sie unverzüglich auf, einzutreten.

      Zoe hatte also keine Zeit, nervös zu werden und griff sofort nach der Türklinke, drückte sie herunter und betrat den Raum. Das war auch besser so, dachte sie. Sie war es gewohnt, voller Anspannung draußen warten zu müssen und sich in der ganzen Zeit immer wieder zu fragen, weshalb sie wohl diesmal ermahnt werden würde, aber so konnte sie direkt eintreten und mit dem Gespräch beginnen.

      „Agent Prime.“ Maitland richtete

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