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1933 bis 1950 herrschte „Funkstille“ zwischen Heidegger und Arendt. Als diese im Auftrag der „Kommission für jüdischen kulturellen Wiederaufbau in Europa“ nach Kriegsende auch nach Deutschland kommt, sehen sie sich im Februar 1950 in Freiburg erstmals wieder. Und ihre Liebe entflammt erneut – dem, was geschehen, zu Spott und Hohn.

      „Anzeichen der alten Leidenschaft finden sich nun auch wieder in den Briefen Heideggers. Am 15. Februar 1950 schreibt er: ,Wir haben, Hannah, ein Vierteljahrhundert unseres Lebens nachzuholen´. Und am 4.5. endet er: ,Du – Hannah – Du.´“

      Und Hannah Arendt – die Jüdin, Demokratin, Antifaschistin! – wird, namentlich in den USA, zur „unbezahlten Agentin“ Heideggers, wirbt für ihn, verteidigt ihn, kämpft für sein Renommee. Als Jaspers sie (1956) ersucht, den Kontakt zu Heidegger abzubrechen, ihn zumindest nicht wiederzusehen, weist sie dieses Ansinnen empört zurück.

      „1958 sollte Arendt bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Jaspers die Laudatio halten. Sie hat Zweifel und ist aufgeregt, besonders weil sie Angst hatte, Heidegger könnte das kränken, könnte dies als Parteinahme für Jaspers und damit gegen ihn deuten. Sie muss sich selbst gut zureden, ´daß ich doch einen Mund habe und sagen kann, was mir beliebt´.“ Der letzte Brief Arendts an Heidegger datiert auf den 27. Juli 1975, der Heideggers an Arendt drei Tage später. Im Dezember 1975 stirbt Hannah Arendt. Martin Heidegger überlebt sie um fünf Monate.

      Warum ich Dir von Martin Heidegger und Hannah Arendt schreibe? Weil Ihre Liebe, über alle trennenden Gräben hinweg, beweist, was Hannah Arendt selbst in „Vita activa oder vom tätigen Leben“ schreibt:

      „In der Leidenschaft, mit der die Liebe nur das Wer des anderen ergreift, geht der weltliche Zwischenraum, durch den wir mit anderen verbunden und zugleich von ihnen getrennt sind, gleichsam in Flammen auf. Was die Liebenden von der Mitwelt trennt, ist, dass sie weltlos sind, dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist.“

      DIE „KRITISCHE THEORIE DER FRANKFURTER SCHULE“: HORKHEIMER UND ADORNO

      Lieber,

      eine ähnliche Bedeutung wie die Gruppe 47 (im literarischen Betrieb der Nachkriegszeit) hatten – im Bereich von Gesellschaft und Politik – die „Kritische Theorie“, die Frankfurter Schule und Max Horkheimer, Theodor Adorno und Herbert Marcuse als deren prominenteste Vertreter (soweit ich mich erinnern kann, hast Du bei letzterem ja noch Vorlesungen an der FU gehört).

      Die Frankfurter Schule knöpfte vornehmlich an die Theorien von Marx, Hegel und Freud an; ihr Zentrum war das bereits 1924 in Frankfurt gegründete Institut für Sozialforschung, das ab 1931 von Horkheimer geleitet wurde (der nicht nur mit der Leitung des Instituts beauftragt, sondern auch zum Ordinarius für Sozialphilosophie berufen wurde).

      Horkheimer forderte vehement eine Zusammenarbeit von Philosophie, Soziologie, Psychologie, Geschichte und Volkswirtschaft; diese Disziplinen sollten interdisziplinär die Sozialphilosophie als Gesellschaftstheorie reflektieren. Zu diesem Zweck gründete er u.a. die Zeitschrift für Sozialforschung (in der amerikanischen Emigration „Studies in Philosophy and Social Science“) mit so bekannten Autoren wie Leo Löwenthal, Erich Fromm, Theodor Adorno, Walter Benjamin und Herbert Marcuse.

      Schon im März 1933 wurde das Institut für Sozialforschung aufgrund des „Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens“ von den Nazis wieder aufgelöst; über Zwischenstationen in Genf und Paris verlegte Horkheimer das Institut schließlich an die Columbia University, wo es aufgrund von Finanzierungsproblemen ab Ende der dreißiger Jahre allerdings nur noch rudimentär betrieben wurde. Horkheimer und Adorno übersiedelten an die amerikanische Westküste; dort arbeiteten sie an der „Dialektik der Aufklärung“, ihrem Hauptwerk, einer als „Philosophische Fragmente“ (so der Untertitel) bezeichneten Essay-Sammlung, welche als grundlegendes Werk der „Kritischen Theorie“ gilt. Fromm trennte sich im Unfrieden vom Institut.

      In den frühen fünfziger Jahren kehrte dieses nach Frankfurt zurück; Leiter des Instituts wurde nunmehr Max Horkheimer. Außer ihm waren nur Adorno und Pollock heimgekehrt; beide erhielten eine Professur an der Frankfurter Universität; Horkheimers Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie übernahm 1964 dann Jürgen Habermas. Habermas und Oskar Negt gelten (in Abgrenzung zur „Älteren Kritischen Theorie“ Horkheimers und Adornos) als Repräsentanten der „Jüngeren Kritischen Theorie“.

      Die (ältere wie jüngere) „Kritische Theorie“ analysiert die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft, indem sie deren Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen aufdeckt und die den jeweiligen Herrschaftsverhältnissen zugrundeliegende Ideologien entlarvt; Ziel der Kritischen Theorie ist ein Vernunft geleitetes Gemeinwesen mit mündigen Menschen und Bürgern.

      Die Kritische Theorie ist als eine praktische Philosophie zu verstehen, die auf gesellschaftliche Veränderungen und eine zunehmende Selbstbestimmung des je Einzelnen zielt. Insofern unterscheidet sie sich sowohl von den positivistischen (also bejahenden, bestätigenden, gesellschaftliche Fakten als Gegebenheiten hinnehmenden) Fachwissenschaften als auch von der (idealistischen) theoretischen Philosophie, wie diese in der „bürgerlichen Wissenschaft“ anzutreffen sind.

      Ziel der Kritischen Theorie als praktischer Philosophie ist die Erforschung der menschlichen Praxis, also der konkreten Lebenstätigkeit und -wirklichkeit des Menschen; in aristotelischer Tradition umfasst die Praktische Philosophie die Disziplinen Ökonomie, Politische Philosophie, Staatsphilosophie, Rechtsphilosophie und Ethik; der Definition von Kant gemäß handelt die Praktische Philosophie von dem, was sein soll, wohingegen die theoretische Philosophie sich mit dem beschäftigt, was ist.

      Die Begrifflichkeit „Kritische Theorie“ geht auf Horkheimer und dessen programmatischen Aufsatz von 1937 „Traditionelle und kritische Theorie“ zurück.

      Neben der „Dialektik der Aufklärung“ (von Horkheimer und Adorno) sind Adornos „Minima Moralia“ für die „Kritische Theorie“ grundlegend; die „Minima Moralia – Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, 153 Aphorismen und Essays, reflektieren die conditio humana, also die Bedingungen des Menschseins (in kapitalistischen und faschistischen Lebensverhältnissen); der Name ist eine Wortspielerei mit den (Aristoteles zugeschriebenen) „Magna Moralia“, also mit der „Großen Ethik“.

      Adornos Schrift ist keine Lehre „vom guten Leben“ im Sinne traditioneller Philosophie, vielmehr enthält sie Gedanken darüber, dass es im (nachliberalen) Kapitalismus und Faschismus nicht möglich ist, ein „richtiges Leben“ zu führen: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ ist zur Sentenz geworden, zur sprichwörtlichen Redewendung, zum geflügelten Wort.

      Dieses Gedankengut der Kritischen Theorie wurde von den (gegen Beharrung und Restauration, gegen die spießige Moral der Adenauer-Ära, gegen den „Muff von tausend Jahren unter den Talaren“, gegen den noch fruchtbaren Schoß, aus dem das faschistische Ungeheuer kroch) aufbegehrenden Studenten in den sechziger Jahren mit Begeisterung aufgenommen; Intellektuelle waren links und dagegen (gegen was auch immer); Konservative waren tumb, hatten nicht die gewaltigen Veränderungen verstanden, die sich, offensichtlich, weltweit vollzogen.

      Diese Meinung und Haltung jedenfalls war in den späten Sechzigern und in den Siebzigern angesagt, sozusagen politisch korrekt.

      ERNST BLOCH UND „DAS PRINZIP HOFFNUNG“

      Lieber Reinhard,

      ich erinnere mich gut an den Fackelzug, den wir Tübinger Studenten im August ´77 – in alter akademischer Tradition – anlässlich des Todes von Ernst Blochs veranstalteten.

      Um jenen Mann zu ehren, der Stalin noch in den fünfziger Jahren als einen „wirklichen Führer ins Glück“ bezeichnete, der sich in den dreißiger Jahren für die stalinistischen Säuberungen aussprach und der die Moskauer Schauprozesse verteidigte, was zum Bruch mit Adorno führte.

      Den Mann zu ehren, der in der DDR zum Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften, zum Träger des Nationalpreises, sozusagen zum „Staatsphilosophen“ avancierte,

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