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nach ein paar Tagen war Tommy wieder der Alte.‹ Baldini weiter: »Und, was stellte sich nun heraus? Nun, schon als Kind litt Tommy an einer schweren Form von Sonnenallergie. […] Die Hitze in Kombination mit den extremen Bedingungen ließ ihn oben auf dem Ventoux vom Rad fallen. Es war ein Sonnenstich, wirklich. Ich erkannte die Bilder wieder. Leider haben die Ärzte nie die richtige Diagnose gestellt. Tommy wurde falsch behandelt und das verursachte seinen Tod, nicht die Pillen. Poverino. Armer Tommy.‹«

      Die belgische Internetzeitung Skynet Nieuws meldete am Montag, dem 27. November 2006: »Mit dem Tod des spanischen Fahrers Isaac Galvez während des Sechstagerennens von Gent am Samstagabend ist die Zahl der tödlichen Unfälle bei Radrennen auf 32 gestiegen.« In der danebenstehenden Liste ist Tom Simpson als sechster Radprofi aufgeführt, der bei einem Radrennen zu Tode kam, versehen mit dem Zusatz: »1967: Tom Simpson (Eng), Straßenweltmeister, erlitt während der Tour de France auf dem Mont Ventoux eine Ruptur der Koronararterie infolge von Hitze und Doping«.

      Alec Taylor, Teamchef der britischen Nationalmannschaft bei der Tour ’67, will die Beobachtung gemacht haben, dass Simpson mehr leiden konnte als seine Kollegen. Und auf seinem Grab auf dem Harworth Cemetery in North Nottinghamshire steht: »Sein Körper schmerzte, seine Arme wurden müde, aber er weigerte sich aufzugeben.« Simpson ist in seiner Rüstung gestorben. Und, wer weiß, vielleicht hätte er selbst es nicht anders gewollt, wenn er bewusst vor der Wahl gestanden hätte…

      Schon kurz nach der verhängnisvollen Etappe wird eine einfache Gedenktafel an der Stelle platziert, an der heute das endgültige Denkmal steht. Übersetzt lautet der Text, der darauf zu lesen ist: »Zu Ehren seines Vaterlandes – Mont Ventoux. Tom Simpson, ›der Spatz‹, der in den höchsten Sphären seines geliebten Sports schwebte, fiel hier am Donnerstag, dem 13. Juli 1967, nieder. Mit dieser Gedenkplatte möchte The British Professional Cycle Racing Association die Erinnerung an den herzzerreißenden, tödlichen Kampf bewahren, den er lieferte, um die Tour de France zu gewinnen, und die Legende lebendig halten, dass ›Major Tom‹ unser Idol im Exil ist. Diese Tafel wurde von Mitgliedern des International Cyclists Saddle Club (London) im Namen von Radsportlern aus aller Welt aufgestellt.« Hinter der Gedenktafel werden eine Lebensbeschreibung von Simpson und ein Buch über die Tour de France in einen Gesteinsblock eingelassen.

      In der Zwischenzeit ist auch bereits eine weitere Initiative vorangekommen, die sich seit einiger Zeit entwickelt hat. Unmittelbar nach Simpsons Tod haben die Leser des britischen Radsportmagazins Cycling begonnen, Geld für ein endgültiges Denkmal zu sammeln. Insgesamt bringen sie mehr als 13.000 britische Pfund zusammen, zu dieser Zeit eine beträchtliche Summe.

      Am 14. Oktober 1969, einem klaren, aber eisig kalten Tag, ist es so weit: Eine Ansammlung von Menschen begibt sich fröstelnd zu einem Gedenkstein, der noch unter einem Union Jack verborgen ist. Helen, die Witwe von Tom Simpson, sein Freund und Teamkollege Barry Hoban, sein Teamleiter bei der Tour ’67 Alec Taylor, ein gewisser Monsieur Vermelinger im Namen der Tour-de-France-Direktion, Bedoins Bürgermeister Artilland und der Rest der Gesellschaft haben große Mühe, im steilen Gelände des Ventoux dem starken Mistral zu trotzen.

      Artilland legt Blumen am Fuße des Monuments nieder und bittet Barry Hoban, das Denkmal zu enthüllen. Hoban nimmt die Flagge an sich und setzt den Gedenkstein den Launen des Ventoux aus. Die Gesellschaft schweigt minutenlang andächtig und lässt die Worte der Inschrift auf sich wirken.

      A LA MEMOIRE DE TOM SIMPSON

      MEDAILLE OLYMPIQUE CHAMPION DU MONDE

      AMBASSADEUR SPORTIF BRITANNIQUE

      DECEDE LE 13 JUILLET (TOUR DE FRANCE 1967)

      SES AMIS CYCLISTES DE GRANDE BRETAGNE

      »Wenn die Kinder groß sind, werde ich sie auf jeden Fall mit hierhernehmen«, sagt Helen Simpson noch. Dann begibt sich die Gesellschaft zurück nach Bedoin; auf dem Ventoux selbst ist es zu beengt für Ansprachen.

      Seit diesem Tag liest jeder, der vorbeikommt, die goldenen Lettern, passiert jeder Radfahrer diesen Ort mit gemischten Gefühlen. Seit diesem Tag ist der Mont Ventoux, der bereits von sich aus eine so eigentümliche, geheimnisvolle Ausstrahlung besitzt, noch um einen Mythos reicher, den Mythos des Gentleman-Rennfahrers, der zum ersten Doping-Toten der Tour wurde.

       Simpson Memorial

      Gent 1996. Simpsons Tochter Joanne hört den befreundeten Sänger Helmut Lotti in einem Radiointerview erzählen, dass er und seine Frau den Mont Ventoux hinauffahren wollen. »Das kann ich auch!«, schießt es ihr durch den Kopf. »Ich werde es 1997 machen, dann jährt sich der Todestag meines Vaters zum dreißigsten Mal.« So wurde das Tom Simpson Memorial geboren: Joanne Simpson macht sich auf, um »boucler la Boucle«, wie sie selbst es formuliert. Der Kreis soll sich schließen, sie will vollenden, was ihr Vater nicht vollenden konnte.

      Sie kauft sich ein Rad, beginnt mit dem Training und steht am 13. Juli 1997 in Sault, am Fuße des Berges aller Berge. Spontan hat sich eine bunte Begleiterschar formiert. Barry Hoban, inzwischen seit fast 28 Jahren Helens Ehemann, ist ebenso mit von der Partie wie Vin Denson, ebenfalls ein ehemaliger Teamkollege von Tom. Joannes Cousin Chris Sidwells, Autor von Simpsons Biografie Mr. Tom, fährt ebenfalls mit, genau wie Thomas, der 13-jährige Sohn ihrer Schwester Jane. Ein australischer Rugbyspieler, der eigens zu diesem Anlass angereist ist, einige Freunde aus Gent und ein paar belgische Touristen, die zufällig von dem Plan gehört haben, komplettieren das kleine Peloton.

      Die Gruppe fährt in aller Ruhe mit dem Rad hinauf; der Rest der Familie steht auf Höhe des Denkmals und feuert Joanne an, als sie vorüberkommt. Joanne fährt weiter und vollendet in der Tat, was ihr Vater damals nicht vollenden konnte: Sie erreicht den Gipfel. Nach einem Moment der Ruhe macht sie kehrt. Auf dem Weg zurück zum Denkmal kommt sie an einem Dudelsackspieler vorbei, der »Amazing Grace« spielt.

      Am Denkmal angekommen, brechen sich die Emotionen Bahn. Helen reicht ihrer Tochter einen Becher aus Toms Trophäenschrank. Sie hat etwas eingravieren lassen:

      JOANNE

      FOR ACHIEVING YOUR GOAL IN CLIMBING THE MONT VENTOUX ON THE

      30TH ANNIVERSARY

      OF DADDY’S DEATH

      13TH JULY 1997

      HE WOULD HAVE BEEN SO PROUD

      »Joanne, du hast dein Ziel erreicht, den Mont Ventoux am 30. Todestag deines Vaters zu erklimmen. Er wäre so stolz auf dich gewesen.«

      Es werden Blumen niedergelegt und die Töchter befestigen eine Metallplakette am Gedenkstein. Darauf steht:

      »THERE IS NO MOUNTAIN TOO HIGH…«

      YOUR DAUGHTERS: JANE & JOANNE

      JULY 13TH 199712

      Am 13. Juli 2002, rund eine Woche bevor die Tour de France den Ventoux ansteuert, bezwingt Joanne Simpson den Berg erneut. Aber diesmal ist das Unterfangen nicht in Sault gestartet. »So viel zu trainieren, nur um 26 Kilometer bergauf zu fahren, das ist mir zu blöd. Beim nächstes Mal werde ich in Gent aufbrechen und dann werden wir der Tour ein Motto geben«, hatte sie sich 1997 geschworen. »Eine Tour gegen das Doping, das den Tod meines Vater mit verursacht hat. Die Menschen müssen der Wahrheit ins Auge blicken. In fünf Jahren werde ich wieder hier stehen.«

       Treppe

      Die folgenden Jahre haben ihr jedoch deutlich gemacht, dass es keinen Zweck hat, alte Wunden aufzureißen, dass die Welt nicht bereit ist, dass die Menschen – mitunter bewusst – lieber den Kopf in den Sand stecken. Sie will keinen Kreuzzug beginnen, nicht als »Doña Quichotte« von Gent enden. Dennoch muss sie etwas tun gegen dieses Gefühl der Machtlosigkeit, das sich ihrer in dieser Frage bemächtigt hat. Deshalb gibt sie dem Tom Simpson Memorial 2002 letztlich ein weniger direktes, aber doch verwandtes Motto: Sie will mit der Tour das nötige Geld zusammenbringen, um das Denkmal am Ventoux aufzuwerten. Schließlich erfüllt es immer noch seine Funktion: Es hält die Erinnerung an Tom Simpson lebendig und somit auch die Aufmerksamkeit für die Gefahren des Dopings. Eine

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