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wie auch immer, unser Ambrosio hat jetzt seine Vermutung ausposaunt. Was würdest du nun an Stelle des Mörders tun, wenn deine Mordlust, wie leider zu erwarten, noch längst nicht gestillt wäre?«

      »Hm«, sagte ich, »wahrscheinlich hätte ich den Ehrgeiz, dem Tenente zu zeigen, wie dumm er ist. Wenn ich schon mordete, dann bitte auch spektakulär und möglichst unter den Augen der Polizei, denn nur so kann ich aus dem Schatten der Bedeutungslosigkeit, welche mich umfängt, heraus treten und mich endlich in der Schlagzeile des ‚Corriere della Sera‘ finden:

      Wenn du mich fragst: Ich, hihihi, mordete jetzt zur Abwechslung keine fette Schwarzhaarige sondern eine schlanke Blondine oder Brünette, eine, die nichts mit dem horizontalen Gewerbe zu tun hat, weil ja ab sofort alle vollschlanken Nutten auf der Hut vor mir sind. Damit zeige ich dem Tenente, dass ich mich über ihn lustig mache. Beim Abmurksen der Süßen ginge ich ebenso vor wie bei der ‚Amsel‘, damit man und sieht, dass es derselbe Täter ist: von Ohr zu Ohr den Hals abschneiden und dann das Kleid aufschlitzen, damit der Busen bloß liegt. Der Tenente hat mich mit seinem Geschwätz herausgefordert und ich habe die Herausforderung angenommen.«

      »Genau das ist es«, sagte Volpe triumphierend, »was Ambrosio da angerichtet hat. Vielen Dank für dein ärztliches Gutachten! Du hast uns mit deiner Gabe, dich in andere hinein zu denken, das Psychogramm des Täters erstellt:

      Der Kerl will Aufsehen erregen. Er möchte im Mittelpunkt stehen. Er will sich in seiner frisch errungenen Bedeutung sonnen und alle, die ihn bislang verachtet haben, vergessen machen, dass er im bisherigen Leben nichts als ein jämmerliches Würstchen war, nicht wahr, Dottore?«

      »Genau so und habe ich es gemeint«, sagte ich stolz, »und dieser Mann hat vielleicht zwanzig oder dreißig Jahre gelebt, ohne sich das Geringste zuschulden kommen zu lassen. Aber dann hat er – den nächsten Mord mitgerechnet – zweimal gemordet und wird weiter morden, wenn man ihn nicht dingfest macht.

      Die Frage ist nun, was diese neue Haltung ausgelöst hat, warum er von einem ehrenwerten Mitbürger zur Bestie geworden ist. Leider besitze ich noch zu geringe Kenntnisse, um es zu erklären; aber dass irgendein dies auslösender Schock dafür verantwortlich zeichnet, ist bei uns Ärzten unumstritten.

      Der gestrige Mord und der von dir vorhergesagte unterscheiden sich nämlich fundamental von den gängigen Morden, bei denen der Täter beispielsweise tötet, um an Geld zu kommen oder aus Eifersucht oder, um sich zu rächen. Der Mord aus der vergangenen Nacht war in dieser Hinsicht sinnlos.

      Daher neigen medizinische Laien dazu, in dem Täter einen Geistesgestörten zu vermuten, denn er handelt entgegen all unseren alltäglichen Mordphantasien, auf die nur deshalb keine Tat folgt, weil wir die Gesetze, die allgemeine Moral oder die Strafe Gottes fürchten. Nur der Psychiater kann durch eingehende Untersuchungen feststellen, ob der Mörder verrückt ist und wodurch sein Geist umnachtet wurde.

      Meistens sind solche Mörder körperlich gesund. Es sind Menschen, wie sie uns zu Tausenden begegnen. Jeder von uns könnte eines Tages zum Mörder werden, wenn wir aus der Sinnlosigkeit und Öde des Alltags ausbrechen wollen.

      Fast alle dieser Mörder galten in ihrer Umgebung als haltlos, minderwertig und bedeutungslos. Man hat ihnen die zustehende Beachtung verweigert, man hat sie gedemütigt. Und dann brechen sie aus dem Kerker des Alltags aus und machen mit einer vermeintlich großen Tat von sich reden.

      Gaius Sallustius, Roms großer Historiker, schreibt, dass sich der gemeine Mann nicht vom Vieh unterscheide, das da seinen Lüsten ergeben sei. Nur mit einer berühmten Tat könnten wir ewigen Ruhm zu erringen.

      Doch wer schon kann Staatsmann, Feldherr der Schriftsteller werden? Ein Aufsehen erregendes Verbrechen hingegen kann jeder vollbringen. Der Mann, den wir suchen, strebt mit seinen Taten zu den Sternen. Er will, wie Sallustius es einst schilderte, zu den Göttern gehören.

      Um dies zu erreichen, muss er weiter morden. Er ist vom Wunsch getrieben, eines Tages verhaftet zu werden, denn nur im öffentlichen Prozess kann er seiner Geltungssucht Genugtuung verschaffen, nur im Licht der Öffentlichkeit. Freiwillig wird er sich jedoch nicht fassen lassen.

      Je länger er sein Spielchen mit der Polizei treibt, desto größer ist sein Triumph, wenn er vor dem Richter steht. Manche dieser Leute atmen auf, wenn man sie endlich einsperrt. Herostratos brannte vor über 2.500 Jahren den Tempel zu Ephesos nieder, wohl wissend, dass ihn das den Kopf kosten würde, aber er wollte berühmt werden und ist es bis heute geblieben.«

      »Gut«, sage Freund Volpe und legte die Fingerspitzen aufeinander, »wenn das so wäre, ließe er sich mit seiner Geltungssucht zur Strecke bringen. Man müsste eine Scheinverhaftung vornehmen und einen Schauspieler die Verbrechen des wirklichen Mörders offen vor der Kamera gestehen lassen. Dann wäre er um den Ruhm gebracht und könnte einen Fehler machen.«

      »Ja«, sagte ich, »das wäre eine Möglichkeit. Es gab vor Jahr und Tag einen Verbrecher, der sogar einen Brief an die Presse schrieb, als man den Falschen verhaftet und aufgrund fehlgedeuteter Indizien verurteilt hatte.«

      »Wie würde unser Mörder also reagieren, wenn ein anderer an seiner Stelle ins Gefängnis geworfen würde?«

      »Er sähe sich gezwungen, sofort einen neuen Mord zu begehen, koste es, was es wolle.«

      »Ich denke, du hast recht. Vielen Dank für dein medizinisches Gutachten. Ich weiß jetzt einiges mehr über den Täter, vorausgesetzt, es kommt in der heutigen Nacht zum nächsten Mord.

      Doch jetzt lass uns essen. Das hält Leib und Seele zusammen. Ich habe zur Feier des Tages aus dem schräg gegenüber liegenden ‚Ristorante da Angela‘ ein tüchtiges Mahl bestellt, und wie ich höre, kommt der Bote mit den Schüsseln gerade die Treppe herauf. Vergessen wir also, dass es zu einem zweiten Frauenmord kommen wird. Ambrosio dürfte die Polizeistreifen verdreifacht haben, aber der Mörder wird ihn überlisten. Morgen Vormittag sollte der Tenente hier einschneien und uns hängenden Kopfes um Hilfe bitten.«

      Nachdem wir die Cena genossen hatten, begaben wir uns zur Ruhe. An richtiges Schlafen war freilich nicht zu denken. Kaum nämlich war ich eingenickt, da träumte ich schon vom Mörder, der sich mit dem Messer in der Hand über irgendwelche Frauen stürzte, und ich wachte, vom Grauen geschüttelt, wieder auf.

      Auch Volpe fand keine Ruhe, obwohl er sich doch sonst eines besonders gesunden Schlafes erfreute. Mehrfach erhob er sich und tigerte unruhig auf und ab, wie ein Jagdhund, der Witterung aufgenommen hat, aber im Käfig eingesperrt ist, denn was würde wohl in einer der rund 500 Meter Luftlinie von Volpes kleinem Palazzo entfernt gelegenen Gassen geschehen?

      Er verlegte das Frühstück aus der Küche ins Wohnzimmer, wo Giovanni einen runden Tisch aufgestellt hatte. Drei Korbsessel standen um ihn herum. Wir nahmen Platz. Der dritte blieb unbesetzt. Gerade wollte uns der Butler das Essen auftischen, als es unten gegen die Türe polterte und jemand die Klingel im melodischen Dreiklang ertönen ließ. Volpe betätigte den Summer und wenige Augenblicke später stampfte Tenente di Fusco herein, um sich wortlos in den verbliebenen Sessel fallen zu lassen.

      Er sah übernächtigt aus: Ringe unter den Augen; flackernder Blick; stoßweiser Atem; Lippen zusammen gepetzt; Mundwinkel auf dem Schlüsselbein ruhend; Körper stechend nach Schweiß stinkend; Kleidung unordentlich; Schuhwerk schmutzig; ein Bild des Jammers. Der Tenente öffnete mehrfach den Mund, um ihn wieder zu schließen. Volpe sah eine Weile belustigt zu ihm hinüber. Schließlich sagte er:

      »Lieber guter Ambrosio! Sieh zu, dass du erst einmal mit uns frühstückst, denn dann wirst du wieder zu Kräften, zur Besinnung kommen. Dr. Petrescu und ich wissen schon, was geschehen ist. Wir haben dich erwartet.«

      »Niemand kann das wissen, einmal abgesehen von den unmittelbaren Zeugen«, murrte der Tenente tonlos.

      »Gemach, gemach!«, sagte Volpe, »erst die Colazione, dann der Katzenjammer! Lang‘ zu!«

      Ambrosio ließ sich das nicht zweimal sagen. Auf einem silbernen, Tablett lagen nämlich frisch geröstete, mit Ananas belegte und mit Käse überbackene Brotscheiben; daneben entkernte Pflaumen und Pfirsiche; ein großer

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