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aus der Fotosynthese müssen sie den Pilzen überlassen. Doch hat der Wald seine eigene Zeit, und so läuft die Signalübertragung recht gemütlich mit etwa einem Zentimeter pro Sekunde. Und wenn die Bäume vom Frühling über den Sommer bis in den Herbst hinein fortwährend Nährstoffe angesammelt haben, von denen die Pilze reichlich abbekommen, setzen Letztere endlich auch »Früchte« an und bilden ihre meist oberirdisch sichtbaren Fruchtkörper.

       Destruenten – die Recycling-Brigade

      Zersetzer (Destruenten) heißt die andere Art, denn sie bringt keinem Baum etwas. Ganz im Gegenteil nisten sich diese Pilze in schwächelnden oder abgestorbenen Gehölzen ein und treiben deren Zerfall voran. Damit beschleunigen sie das Recycling, den Stoffkreislauf des Waldes. Das können nur Pilze. Ohne sie würden alle abgestorbenen Bäume und Sträucher einfach im Wald liegen bleiben, sodass irgendwann einfach kein Durchkommen mehr wäre. Die organische Materie würde nie mehr dem Boden zugeführt werden, und die Pflanzen hätten keine weitere Lebensgrundlage. Die Pilze aber machen Bäume zu Humus, um neues Leben zu nähren. Sie bilden so gesehen die Schnittstelle zwischen Leben und Tod.

      Um Holz überhaupt verdauen zu können, sind entsprechende Enzyme nötig, die nur von Pilzen produziert werden. Dennoch stehen auch diese Pilze uns Menschen näher als dem Baum, auf dem sie wachsen.

      Die »Schwammerl« sind die Früchte, korrekt Fruchtkörper der Pilze. Ihre Aufgabe ist die Erschließung neuer Standorte. Der Pilz kann sich zwar auch mithilfe seiner Hyphen vergrößern und vermehren, doch Sporen können fliegen. Sie sind so winzig klein, dass man schon ein gutes Mikroskop braucht, um sie richtig sehen zu können. Wie der Pollenstaub windbestäubender Pflanzen können sie mit dem Wind auch größere Entfernungen überwinden.

       Hexenring: Der Pilz lebt unter der Erde, an seinen Rändern bildet er die Fruchtkörper.

       Die Superorganismen – Hoffnung der Zukunft

      Derzeit sind 120 000 Pilzarten bekannt, man nimmt jedoch an, dass es insgesamt 1,5 Millionen Arten gibt. Damit existieren mehr Pilz- als Pflanzenarten auf der Welt. Im Waldboden leben mehr Pilze als Bakterien und Tiere zusammen. Pilze machen vermutlich 25 Prozent der gesamten Biomasse der Erde aus.

      Sie verdauen nicht nur organische Materie, d. h. sie sind nicht nur Pflanzenfresser oder Fleischfresser, manche verdauen sogar Plastik. Oder Erdöl, das Böden kontaminiert. Der Fachbegriff ist »Soil Remediation«, Bodenheilung. Wie Algen im großen Stil Wasser entgiften, entgiften Pilze die Erde. In Tschernobyl »fressen« Pilze die radioaktive Strahlung im zerstörten Kernkraftwerk. Derzeit testet man bereits das Verhalten von Pilzen im Weltraum: Es wird untersucht, ob Speisepilze auch im All gedeihen. So könnten sie dereinst helfen, neue Planeten zu besiedeln.

       GIGANTISCH!

      Der weltgrößte Organismus ist ein Pilz: ein einziger Hallimasch, der in Oregon/USA 965 Hektar Boden – also eine Fläche von 1351 Fußballfeldern! – beherrscht und dort die Vegetation aktiv nach seinen Bedürfnissen gestaltet. Er ist 2400 Jahre alt und 600 Tonnen schwer.

       Spezialfall Flechten

      Auch Flechten werden seit ewigen Zeiten zu Heilzwecken verwendet. Die bekannteste Heil-Flechte ist die Bartflechte. Sie ist ungenießbar, hat jedoch immunstärkende und antibiotische Eigenschaften. Schon Sammler und Jäger sollen sie gegen Erkältungen in Räuchermischungen verwendet haben. Heute nützt man sie für Tees, Tinkturen oder Lutschpastillen.

       Geotropismus bei Baumpilzen: Pilze richten ihre Hüte immer nach oben und unten aus. Wenn der Wirtsbaum umfällt, entstehen die seltsamsten Formen.

       Ethnomykologie – die Kulturgeschichte der Pilze

      Die Ethnomykologie ist – wie die Ethnobotanik – ein Teilbereich der Völkerkunde. Die Begriffe stammen aus dem Griechischen: »éthnos« für Volk, »mykes« für Pilz und »logos« für Lehre – also die Lehre vom Pilzwissen der Völker. Das Pilzwissen des Menschen ist älter als die Menschheit selbst. Anders gesagt: Die Menschen haben den kompetenten Umgang mit Pilzen aus ihrer Zeit als Primaten mitgenommen, denn das Pilzwissen der Tiere ist unbestritten. Und warum sollten die frühen Menschen ihr Wissen im Zuge der Menschwerdung vergessen haben?

      Das Mycel der Pilze ist mit unserer Kultur eng verflochten, ihre Verwendung durch den Menschen schon seit Urzeiten belegt: Auf der ganzen Welt gibt es Ritzzeichnungen und Höhlenmalereien von Pilzen, z. B. auf den Megalithen im englischen Stonehenge. Pilze wurden vielfältig genutzt: zum Essen, Trinken, Heilen, Feuermachen, Rauchen, Räuchern, Lieben, Färben, Zaubern, Töten, als Mückenschutz und natürlich zu religiösen Zwecken. Es ist gut möglich, dass Pilze den Menschen die Spiritualität erschlossen haben.

      Die Menschheit lässt sich klar in Pilzliebhaber und Pilzverächter gliedern. Eindeutig mykophil, also »pilzfreundlich«, sind Italien, Skandinavien, Russland und das Baltikum, als mykophob hingegen gelten England und die USA. Den pilzliebenden Völkern haben wir hinsichtlich der Verwendung von Pilzen einen immensen Erfahrungsschatz zu verdanken.

       PILZE UND DAS FEUER

      Viele verschiedene Pilze wurden einst zum Feuermachen verwendet, darunter vor allem verholzende wie der Echte Zunderschwamm, der Falsche Zunderschwamm bzw. Gemeine Feuerschwamm, der Rotrandige Baumschwamm, der Flache Lackporling und der Lärchenschwamm, aber auch der Birkenporling sowie Stäublinge und andere Boviste.

       Mann im Eis

      Er ist einer der berühmtesten Österreicher der Welt: »Ötzi«, ein Wanderer, der in der späten Jungsteinzeit (ca. 3200 Jahre v. Chr.) bei der Überquerung der Ötztaler Alpen ums Leben gekommen ist. Seine Leiche wurde im Gletscher hervorragend konserviert, bis das Eis im Ausnahmesommer 1991 schmolz und er von Bergwanderern entdeckt wurde.

      Bei ihm wurden Birkenporlinge und Zunderschwamm gefunden. Ihre Heilwirkung deckt sich mit den Leiden, die an der Mumie festgestellt wurden; er hatte sie also nicht nur als Zunder dabei. Der Fund belegt zweifelsfrei, dass Menschen in Europa schon vor mehr als 5200 Jahren Pilze zu Heilzwecken nutzten. Leider wurde dieses Wissen hier im Westen für lange Zeit vergessen.

       Die Pilze der Indianer

      Aus Nordamerika liegt ein reicher Fundus an Heilpilzwissen der Ureinwohner vor. Die Ökosysteme der »Americas« (Nord-, Mittel- und Südamerika) sind viel artenreicher als jene Europas, denn dort verlaufen die großen Gebirgszüge in Nord-Süd-Ausrichtung. Während der Klimaverschiebungen im Laufe der Erdgeschichte konnten daher die Arten ungehindert – je nach Bedarf – nach Norden oder Süden ausweichen, während Europas Flora und Fauna nach Norden hin vom Meer und nach Süden hin von den Alpen begrenzt wurde. Bei jeder gröberen Klimaveränderung gingen uns Arten verloren. Unter den Pilzen der Indianer sind einige, die auch in Europa vorkommen, z. B. Zunderschwamm, Rotrandiger Baumschwamm, Schwefelporling, Zinnobertramete.

      

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