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ihn einige der anderen Boxer mit einem freundlichen Zunicken – immerhin! Andere sind weiterhin misstrauisch, wollen keinen Weißen in ihren Reihen. Gegenseitig begrüßen sich die Schwarzen mit: „Hey Bruder!“ und dem obligatorischen Zusammenstoßen der rechten Fäuste. Die ersten Trainings waren schwierig bis entmutigend für Johannes, weil er kaum Fortschritte machte, aber Cooper ist sehr geduldig und hat sich fest vorgenommen einen passablen Boxer aus ihm zu machen. Inzwischen verbindet die beiden eine echte Freundschaft. „Heute ist dein erster Trainingskampf, Joe!“, erklärt Cooper ihm, nachdem er sich am Boxsack warmgemacht hatte. „Meinst du, ich bin schon soweit?“, fragt er unsicher. Cooper grinst. „Leroy, du kämpfst heute gegen Joe!“ ruft er einen von jenen Boxern zu, die Johannes wohlgesonnen sind. Leroy kommt lässig und selbstsicher herangeschlendert. Er hat ungefähr Johannes’ Statur. Die beiden steigen in den Ring. „Im Kampf musst du hochkonzentriert aber niemals blindwütig sein, dennoch sportlich fair. Denk immer dran, du willst ihn besiegen.“ Leroy grinst ihn überlegen an. Cooper läutet die erste Runde ein. Leroy schlägt mehrmals unerwartet schnell zu, aber Johannes wehrt die Schläge ab, ist allerdings schon nach wenigen Sekunden in seine Ecke gedrängt. „Leroy! Mach das Weißbrot fertig!“, brüllt jemand. „Denk dran, was ich dir beigebracht habe, Joe! Denk an deinen ärgsten Feind!“, feuert Cooper ihn an. Willi Hamester, genannt Hammer, ein übler Schläger aus seiner Zeit in Hamburg, erinnert Joe. Die nächsten 30 Sekunden verlaufen in der Tat etwas günstiger für ihn. Es gelingt ihm einen harmlosen Treffer anzubringen und seine Beweglichkeit besser einzusetzen. Kurz vor Ende der ersten Runde trifft Leroy jedoch zweimal kurz hintereinander. Der zweite Treffer lässt ihn zurücktaumeln. Nach der Pause greift Leroy mit unverminderter Härte an. Die ganze Runde über ist Johannes in der Defensive. Er steckt einen weiteren Treffer ein und merkt, dass Kraft und Konzentration bereits nachlassen. „Nicht schlecht, Joe, das wird schon! Deine Chance ist die Beweglichkeit. Eine Runde noch, dann ist Schluss. Versuch ihm noch ein, zwei ordentliche Dinger zu verpassen, locker aus den Schultern!“, muntert Cooper ihn auf. Aber die dritte Runde verläuft für Johannes ebenfalls in der Defensive. Dennoch kann er weitere Treffer verhindern. Nach dem Gong gibt es Applaus und einige wohlmeinende Zurufe für ihn. Leroy bietet ihm freundschaftlich die Faust zum Abschlagen und grinst noch genauso wie vor dem Kampf. Johannes blutet an den Lippen. Cooper nimmt ihn beiseite. Leroy hätte nach Punkten klar gesiegt, in der vierten Runde wärst du wahrscheinlich zu Boden gegangen, aber deine Beweglichkeit und dein Gleichgewicht sind gut, die Deckung einigermaßen aber die Offensivkraft lässt zu wünschen übrig“, lautet das Urteil seines Trainers. „Außerdem werden wir jetzt gezielt an deiner Schnellkraft und Kondition arbeiten.“

      Erst kurz bevor Harveys Restaurant am späten Vormittag im Mai 1940 öffnet, stürzen Linda und Rose, bepackt mit Einkaufstaschen, herein. Sie tragen leichte Sommerkleider, modische Hüte und hochhackige Schuhe. „Ihr glaubt nicht, was heute in den Kaufhäusern los war?“, ruft Rose ganz aus der Puste Johannes und den beiden Hilfsköchen zu, die im Restaurant letzte Vorbereitungen vor der Öffnung treffen. „Schaut mal, meine neuen Nylonstrümpfe, seit heute gibt es die zu kaufen. Sind viel billiger und haltbarer als Seidenstrümpfe und sehen trotzdem genauso schick aus. Die Mädels haben sich fast totgetreten in den Kaufhäusern, weil heute jede Frau nur zwei Paar bekommt. Bestimmt sind die Nylons morgen ausverkauft. Aber wir haben jede gleich vier Paar ergattert, weil wir uns erst bei Macy’s an der 34th Street und anschließend gleich bei Bloomingdales angestellt haben. Bei Saks an der 5th Avenue waren sie leider schon ausverkauft. Sind die nicht schick?“ Sie dreht sich im Kreis herum, zieht ihr Kleid bis über die Knie nach oben und zeigt ihre wohlgeformten Beine in den transparent, glänzenden Strümpfen. Sie wirft Johannes einen kurzen Blick zu. Der kann die Augen nicht von ihr lassen. Die Nähte an der Rückseite der Strümpfe lassen ihre Beine endlos erscheinen. Einer der Hilfsköche stößt einen anerkennenden Pfiff aus. „Hey, ihr seht aus wie Hollywood Stars!“ Linda geht noch einen Schritt weiter, zieht ihr Kleid soweit nach oben, dass der apart verstärkte Rand ihrer Strümpfe sichtbar wird und tänzelt mit anmutigen Bewegungen durch den Raum. Die Männer kommen heran, ihnen fallen fast die Augen aus dem Kopf. Dann hören sie Harveys Stimme, wie er dem Koch Anweisungen erteilt aus dem Nebenraum. Schnell fallen die Kleidersäume wieder auf Kniehöhe. Die Frauen verschwinden eilig, um sich umzuziehen. Eine dreiviertel Stunde später stöckelt Erica Hals über Kopf herein. Harvey raunzt sie an: „Reichlich spät, Erica, das ziehe ich dir vom Lohn ab!“ „Tut mir leid, Mister Harvey, musste noch dringend etwas besorgen.“ Auch ihre Beine glänzen verdächtig.

      Wenige Tage darauf trifft Johannes sich mit Lindas Bruder im Green Crocodile am Tompkins Square. Victor wirft eine Münze in die prachtvolle Wurlitzer Musikbox. Die Mechanik hinter der Glasscheibe hebt eine Schallplatte aus dem Magazin und befördert sie auf den Plattenteller. Kurz darauf erklingt In The Mood von Glenn Miller, jene Melodie, welche zurzeit ganz New York, wahrscheinlich sogar ganz Amerika vor sich hin summt. Victor ist Taxiunternehmer und hat ebenfalls erst spät am Abend Feierabend. Er scheint der einzige unter Johannes’ amerikanischen Freunden zu sein, der sich näher für die Vorgänge außerhalb der USA interessiert. „Frankreich ist verloren“, verkündet er nach einem kräftigen Schluck Bier. „Ich habe es gelesen, Hitlers Truppen haben große Teile der französischen Armee und das britische Expeditionskorps an der Kanalküste eingeschlossen. Nur noch eine Frage von Tagen bis sie zur Kapitulation gezwungen sind“, … und Hitler Paris besetzen wird. Hoffentlich können Rebecca und ihre Mutter fliehen, aber wohin? denkt er, spricht es aber nicht aus. „Wenigstens haben die Briten Churchill endlich zum Premierminister berufen“, merkt Victor an. „Wenn es Hitler gelingt, die britische Insel zu erobern, ist ganz Europa verloren.“ „Allerdings, und der englische Kanal ist an der schmalsten Stelle nicht breiter als die Chesapeake Bay.“ „Meinst du Amerika erklärt Deutschland den Krieg, wenn sie England besetzen?“ „Nein, die Amerikaner wollen nicht in einen Krieg hineingezogen werden. Möglicherweise geben wir unsere Neutralität auf und rüsten die Armee hoch, aber aktiv in den Krieg eintreten, das kann ich mir nicht vorstellen“, erklärt Victor. Nach einem weiteren Schluck Bier fragt er unvermittelt: „Was läuft da eigentlich zwischen dir und Rose?“ „Woher? … ach konnte dein Schwesterherz ihren Mund nicht halten?“ Victor grinst. „Die Spatzen pfeifen es von den Dächern.“ „Sie ist ein sehr nettes und attraktives Mädchen“, bemerkt Johannes. „Und ein sehr freizügiges obendrein!“, ergänzt Victor und grinst verschworen. Die Sache in der Silvesternacht war offensichtlich nicht unentdeckt geblieben. „Liebst du sie?“ Er zögert. „Ich mag sie sehr gern.“ „Dann geh’ doch mal mit ihr aus!“ „Ich kann ihr nichts bieten, Victor, ich bin ein armer Schlucker“, beteuert Johannes. Dass es drüben in Europa eine Frau namens Rebecca Weintraub gibt, die er liebt, hat er bisher niemandem seiner amerikanischen Freunde anvertraut. „Aber Rose glaubt an dich und sie macht sich gewisse Hoffnungen, Joe.“ „Ich weiß nicht“, entgegnet Johannes unsicher. Er denkt erneut an Rebecca, und den Brief, den er im Januar von ihr bekommen hatte. Seitdem hatte er nichts mehr von ihr gehört. „Joe, wenn du eine Amerikanerin heiratest, sollte es mit der Einbürgerung weniger Probleme geben“, reißt Victor ihn aus seinen Gedanken. „Entschuldige Victor, ich muss darüber nachdenken“, weicht er aus. „Möglicherweise ringt sich Mister Harvey ja irgendwann zu einer persönlichen Bürgschaft für mich durch und ich erhalte meine offizielle Arbeitserlaubnis und vielleicht auch meine Einbürgerung.“ „Harvey wird niemals für dich bürgen. Wahrscheinlich würde es auch gar nichts nützen. Heirat ist eine Möglichkeit, andernfalls benötigst du für die Einbürgerung ein sogenanntes Affidavit, eine persönliche Bürgschaft eines in den Vereinigten Staaten lebenden Verwandten oder einer wichtigen Persönlichkeit. Außerdem wäre Harvey ja schön blöd. Dann könnte er dich ja nicht mehr so gut ausbeuten wie bisher. Du würdest bei ihm kündigen und in einem der besseren Hotels an der 5th Avenue Arbeit finden oder sogar auf einem amerikanischen Passagierdampfer anheuern und gutes Geld verdienen.“ „Ich weiß, aber was soll ich tun? Außerdem habe ich es immer noch besser als die meisten Immigranten.

      Ich kann mich in Harveys Küche jeden Tag satt essen und habe ein Dach über dem Kopf. Und wenn er mir nicht die warme Kleidung geschenkt hätte, wäre ich im Winter wohl erfroren. Außerdem sind die Kollegen zu einer Art Familie für mich geworden.“ Victor nickt bedächtig, als ob er längst wüsste, was zu tun wäre.

      Конец

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