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sogar verboten, bekräftigt er. Wenn man Glück hatte, wurde man nur verprügelt und ein paar Tage in eine stinkende Zelle gesperrt, wenn man in einem der wenigen Hamburger Swingkeller erwischt wurde, aber wen in Amerika interessiert das schon. „Dann bring ich es dir jetzt bei!“, erklärt Rose, bei der der Alkohol bereits deutlich Wirkung zeigt, mit leicht lallender Stimme und zieht ihn hinter sich her auf die Tanzfläche. Aber Swing ist das keineswegs, was Rose ihm da beizubringen versucht. Als endlich Stairways To The Stars von Glenn Miller erklingt, schmiegt sie sich eng an ihn und lässt sich langsam und gefühlvoll über die Tanzfläche bewegen. Die Band kündigt schließlich den letzten Titel an und spielt Over The Rainbow. Johannes zieht sie enger an sich. Sie presst ihren Unterleib an ihn. Eine eindeutigere Geste konnte es nicht geben. „Ich habe die Kammer heute Nacht für mich allein. Harry ist noch in Ohio, kommt erst nächste Woche zurück“, flüstert er dicht an ihrem Ohr. „Du bist ein ganz schlimmer Junge, weißt du das?“, säuselt sie angetrunken. Sie sehen sich in die Augen. Verschworenes Einvernehmen! Johannes sieht sich kurz um. Linda trägt gerade ein großes Tablett mit Gläsern in die Küche, Harvey ist gottseidank nirgends zu sehen. Erica serviert Getränke für die wenigen verbliebenen Gäste, bevor sich ihr der Hilfskoch Rick in ähnlicher Weise zuwendet. „Lass uns verschwinden und das neue Jahr auf unsere Art einläuten, Rose-Baby“, schlägt er vor. „Meinst du wirklich, Joey-Boy“, zweifelt sie mit viel zu süßer Stimme. „Aber es wird auffallen, wenn wir die anderen hier allein weiterarbeiten lassen“, wendet sie ein. „Das wird es“, raunt er und schiebt sie sanft zum Rand der Tanzfläche. Sie kichert, ziert sich ein wenig. Er drängt sie in eine Nische neben der Garderobe, wo man sie nicht direkt sehen kann und küsst sie auf den Hals dann auf den Mund.“ „Ich glaube ich bin beschwipst“, kichert sie. „Dann sollten wir jetzt nach oben gehen und Rick und Erica zuvorkommen, sonst ist hier gleich niemand mehr und das würde dem guten Mister Harvey gar nicht gefallen“, überzeugt er sie schließlich.

      Johannes erwacht als ihn jemand heftig schüttelt. Mister Pistorious Harvey persönlich steht vor seinem Bett und brüllt, ob er den Saustall allein aufräumen soll und ob er sich vielleicht mal bequeme zur Arbeit zu kommen und wofür er ihn wohl bezahle und wenn er in zehn Minuten nicht im Restaurant erschienen sei, könne er sich als gefeuert betrachten. Dann stapft er mit schweren Schritten aus der Kammer. Johannes sieht sich um. Rose ist bereits verschwunden, nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der wütende Puritaner Harvey sie hier erwischt hätte. Johannes beeilt sich den zerwühlten Laken zu entsteigen. Er findet zwischen seiner verstreuten Kleidung einen Seidenstrumpf auf dem Boden. Die Erlebnisse der letzten Nacht ziehen an seinem inneren Auge vorbei. Er hatte Rose ausgezogen, ganz langsam, und ihren Körper mit Küssen bedeckt, dann, im letzten Moment hatte sie wieder Kontrolle über sich gewonnen und es nicht zum Äußersten kommen lassen. Schnell zieht er sich an und begibt sich eiligst in das Restaurant. Nur Linda ist dort und räumt Gläser zusammen. Sie grinst ihn vielsagend an.

      Mitte Januar wird es in New York richtig kalt. Zudem hat es kräftig geschneit. An einem der freien Sonntagabende besuchen Johannes, Rose, Linda, Lindas kleiner Bruder Victor, sowie Steve und Charly das Green Crocodile, eine preiswerte Bar am Tompkins Square. Steve ist Radiomechaniker und Charly arbeitet in einem Büro. Sie sind Freunde von Victor.

      Rose und Johannes verhalten sich distanziert seit ihrer gemeinsamen Nacht, wissen beide nicht so recht mit der peinlich ungewohnten Situation umzugehen. Sie, weil sie entschieden zu leichtfertig gewesen ist. Um ein Haar hätten sie es getan. Möglicherweise hält er sie jetzt trotzdem für ein Flittchen und wahrscheinlich hatten alle es mitbekommen – wie peinlich! Auch Joes Gewissen ist nicht rein, weil er die Situation ausgenutzt - sie im angetrunkenen Zustand zu verführen versucht hatte. Am Tag nach Neujahr hatte er diskret ihren Strumpf, den sie in seiner Kammer vergessen hatte, in ihre Manteltasche gesteckt. Sie war errötet und hatte nichts weiter gesagt. Auch heute Abend lässt sie sich nichts anmerken.

      Die Männer reden eine Zeitlang über die letzten Baseballspiele der New York Yankees, die jüngste Schlappe gegen die Red Sox, und dass die großen Zeiten der Yankees wohl nicht mehr wiederkommen seit der großartige Babe Ruth seine Karriere beendet hat. Dann wenden sie sich den Ereignissen in Europa zu und ob Frankreich und England tatsächlich Deutschland mit ihren Landstreitkräften angreifen werden. Bisher hatte die Royal Air Force nur ein paar deutsche Kriegsschiffe vor Wilhelmshaven angegriffen und dabei die Hälfte ihrer Flugzeuge verloren. Zudem hatten sie damit begonnen ein britisches Expeditionsheer in Frankreich zu stationieren. Die Franzosen und die Deutschen beschossen sich gelegentlich über den Rhein hinweg. Die Presse nannte das Sitzkrieg. Hitlers U-Bootwaffe hingegen wurde allmählich zu einer ernsthaften Bedrohung für die Briten. Dutzende von Handelsschiffen hatten die Deutschen inzwischen versenkt und angeblich waren sogar ein britisches Schlachtschiff und ein Flugzeugträger deutschen Torpedos zum Opfer gefallen. Die überseeischen Versorgungswege der Briten sind trotz ihrer überlegenen Flotte ausgesprochen gefährdet.

      „Amerika sollte den Briten rechtzeitig helfen, sonst erobert Hitler ganz Europa“, wirft Victor ein. „Nein Amerika darf sich nicht in diesen Krieg hineinziehen lassen“, beteuert Charly. „Wenn Roosevelt könnte, würde er den Briten helfen, aber das ist im Kongress wohl kaum durchsetzbar. Hoffentlich setzen die Briten endlich Neville Chamberlain, diesen Zauderer, ab und Winston Churchill als Premierminister ein. Der würde Hitler schon im Zaum halten“, bewertet Victor die Situation. „Gut möglich, aber wenn die Deutschen mit ihren U-Booten die Versorgung der Insel blockieren, kann Churchill auch nichts machen.“ „Wir sollten auch die Japaner nicht vergessen. Die Schlitzaugen breiten sich in China immer weiter aus und sind zudem mit Deutschland verbündet“, merkt Victor an. Letztendlich kann Amerika nichts passieren, von den einen trennt uns der Atlantik und von den anderen der Pazifik und auf die Rohstoffe aus anderen Ländern sind wir auch nicht angewiesen“, erklärt Charly. Verhaltenes Lachen. Man prostet sich zu. „Auf unser großartiges Amerika!“

      „Joe wird jetzt übrigens Boxer“, meldet Linda sich unvermittelt. „Tatsächlich?“, fragt Victor interessiert, „wo trainierst du?“ „In Harlem, habe dort im letzten Jahr einen Boxtrainer kennengelernt.“ „Einen Neger?“ „Ja.“ „Das sind ziemlich gute Boxer, trotzdem wäre ich vorsichtig dort in Harlem“, warnt Steve. „Ach, Cooper ist in Ordnung, ich habe doch seinen kleinen Sohn vor ein paar Wochen aus dem Harlem-River gezogen und vor dem Ertrinken gerettet“, berichtet Johannes. „Cooper? Etwa Cooper Mocala?“, fragt Victor. „Ja, kennt ihr ihn?“ „Klar kennt man den in New York. Das war mal ein richtig guter Boxer, ist vor drei oder vier Jahren nach einer Verletzung aus dem Profisport ausgestiegen.“ „Glückwunsch, wenn Mocala dein Trainer ist.“ Als sie sich kurz darauf alle verabschieden, hält Johannes Roses Hand ein wenig zu lange fest und wirft ihr einen fragenden Blick zu. Sie lächelt schüchtern, entzieht ihm ihre Hand, hakt sich bei Linda ein und geht mit ihr davon.

      „Post für dich, Joe“, ruft Linda ihm durch den Küchenlärm zu und reicht ihm ein Couvert. Johannes Herz schlägt bis zum Hals, eine französische Briefmarke. Mit zitternden Händen reißt er das Couvert auf. Der Brief ist in fast fehlerfreiem Französisch geschrieben, unverkennbar Rebeccas winzige Schrift. Sie habe sich sehr über seinen letzten Brief gefreut, sei aber umso trauriger, dass sie nun durch den Atlantik getrennt seien. Vielleicht sei der Krieg ja bald vorbei, obwohl in Paris eine große Sorge vor einem deutschen Angriff zu spüren sei. Ihr Französisch sei inzwischen ganz passabel. Mutter gehe es nicht gut, alles sei zu aufregend für sie. Sie wohnen immer noch in einem Hinterhof der Rue Pastourelle im dritten Arrondissement und leben von der Hand in den Mund, weil viel Geld für den Arzt und die Medikamente für Mutter gezahlt werden musste. Ein paar Francs habe sie durch Gelegenheitsarbeiten in einem jüdischen Geschäft verdienen können. Um dauerhaft davon zu leben, reicht es bei weitem nicht. Sie vermisse ihn so sehr und hoffe auf ein baldiges Wiedersehen in besseren Zeiten. Johannes ist sehr ergriffen, was Linda nicht entgeht. „Schlimme Neuigkeiten?“, fragt sie. „Nein, ganz im Gegenteil.“ Mehr erzählt er ihr nicht. Gleich am Abend schreibt er Rebecca einen weiteren Brief, diesmal ebenfalls auf Französisch, erwähnt, dass die Normandie noch immer im New Yorker Hafen läge, seit Kriegsausbruch nicht mehr in Fahrt gekommen sei. Wer weiß, vielleicht würde er eines Tages mit diesem Schiff den Atlantik überqueren und zu ihr kommen – oder sie zu ihm.

      Mit eiserner Disziplin zieht Johannes sein Boxtraining

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