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Andererseits bietet er äußerlich mit seinem durch den Sprung ins Wasser verdorbenen Anzug keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck. Er muss alles auf eine Karte setzen und sein letztes Geld in neue Kleidung investieren, getreu dem Ratschlag von Wilhelm Maltus, dass anständige Kledage die halbe Miete sei. In einem der zahlreichen einfachen Hotels oder Restaurants auf der Lower-East-Side musste es doch Arbeit für ihn geben. Weshalb hatte er es nur versäumt etwas Geld bei einer New Yorker Bank zu deponieren, als er in den letzten Monaten mehrmals Landgang in der Stadt hatte? Aber selbst wenn er genug Geld hätte, die Möglichkeit mit dem Dampfer Normandie nach Frankreich zu Rebecca zu fahren, hat sich mit dem Kriegsausbruch zerschlagen. Der französische Luxusliner bleibt bis auf weiteres im New Yorker Hafen.

      Tatsächlich hat er an diesem Tag Glück. Der Besitzer eines großen Restaurants in der Nähe des Tompkins Square, ein gewisser Pistorious Harvey, stellt ihn ohne Arbeitserlaubnis ein. Tatsächlich haben wohl seine gepflegte Erscheinung und seine Sprachkenntnisse überzeugt. Er soll in der Küche helfen, was sich als eine Tätigkeit als Tellerwäscher entpuppt. Dafür könne er eine kleine Kammer unter dem Dach bewohnen, wobei es sich um eine winzige Kammer handelt, in der es stickig und heiß ist und in der ein weiterer Mitarbeiter untergebracht ist. Warmes Wasser zum Baden gäbe es einmal pro Woche in der Badestube im Keller. Essen könne er von den Resten auf den Tellern, welche die Gäste zurückgehen lassen und wenn in der Küche etwas übrig bleibt. Zusätzlich hat Johannes durch zähes Verhandeln 50 Cent Tageslohn herausgeschlagen. Die Arbeit beginnt am späten Vormittag und geht bis spät in die Nacht, bis alles wieder für den nächsten Tag vorbereitet und gereinigt sei. Der Sonntag sei arbeitsfrei. Bei einer behördlichen Kontrolle habe er sich schnellstmöglich im Lagerraum hinter der Küche zu verstecken. Ernüchtert stimmt er schließlich den Arbeitsbedingungen zu, in der Hoffnung bald etwas Besseres zu finden, ohne zu ahnen, dass es sich bereits um einen der besseren Arbeitsplätze für Immigranten handelt. Also legt er seinen gerade erworbenen guten Anzug ordentlich zusammengefaltet in das schmale Schapp in der Kammer, den Hut obendrauf, zieht seine heruntergekommene Kleidung wieder an und macht sich an die Arbeit in der Spülküche.

      Johannes’ Zimmergenosse ist in seinem Alter, heißt Harry und kommt aus Ohio. Er arbeitet in der offensichtlich ebenfalls Mister Harvey gehörenden benachbarten Wäscherei. Harrys Dienst beginnt morgens um fünf und endet am frühen Abend, sodass sie sich kaum sehen. Dennoch scheint er ein ganz erträglicher Zeitgenosse zu sein.

      Die Arbeit in der Spülküche ist hart und anstrengend. Die Berge an schmutzigem Geschirr, Töpfen, Pfannen und anderen Küchenutensilien sind kaum zu bewältigen. Nach wenigen Tagen hat er wunde Hände von der Waschlauge. Allerdings bleibt ihm das eklige Resteessen von den zurückgehenden Tellern erspart. Als er an seinem ersten Arbeitstag sein Essen von den benutzten Tellern zusammenkratzt, tritt der Koch auf ihn zu. „Solange du anständig arbeitest, kannst du mit uns essen.“ Er deutet mit einem Kopfrucken auf den hinteren Bereich der Küche wo ein schmaler Tisch steht. Dort finden der Küchenchef, die vier Hilfsköche, drei Kellnerinnen und er selbst Platz.

      Noch in der ersten Nacht in der Dachkammer schreibt er einen langen Brief an Rebecca, bedauert, dass es keine Möglichkeit für ihn gab, nach Frankreich einzureisen, er stattdessen im letzten Moment von der Bremen in den New Yorker Hafen gesprungen sei und nun mühsam in Amerika Fuß zu fassen versucht. Er drückt seine Hoffnung aus, dass der Krieg vielleicht bald vorbei sei und für sie und ihre Mutter der Weg in die Vereinigten Staaten von Amerika frei sei. Er freue sich auf ein Wiedersehen in besseren Zeiten.

      An jedem Montagmorgen meldet Johannes sich bei der Einwanderungsbehörde, nur um einen Stempel in ein Formular zu erhalten. Seine Einbürgerung könne zurzeit nicht erfolgen, weil zum einen sehr viele Immigranten aus Europa in die Vereinigten Staaten von Amerika kommen und zum anderen, er die formalen Voraussetzungen nicht erfüllt, welche auch immer das sein mochten. Das Arbeitsverbot könne nicht aufgehoben werden. Wovon er leben sollte, interessierte auf der Behörde niemanden. Vielleicht ganz gut so, überlegt er. Von seinen zwölf Dollar Monatsverdienst kann er nichts sparen, da er nicht einmal die nötigsten Dinge besitzt, die er nach und nach beschaffen muss. Daher besteht unter den gegebenen Umständen kaum Hoffnung, aus dem Loch unter dem Dach in absehbarer Zeit wieder herauszukommen. So vergehen die ersten Wochen in Amerika in trostlosem Einerlei. Gottseidank versteht er sich mit seinen Kollegen in der Küche ganz gut, was nicht zuletzt an seinen Sprachkenntnissen liegt. Da es ihnen zu mühselig ist, seinen deutschen Namen auszusprechen, nennen sie ihn nur Joe, was ihm ganz recht ist.

      Die attraktive Linda, ist nicht nur Kellnerin, sondern erledigt für Mister Harvey in einem winzigen Büro ohne Fenster die Buchhaltung. Manchmal schreibt sie etwas auf einer kompakten Remington Schreibmaschine. Eines Tages bleibt sie vor Johannes’ Spültisch stehen, weil sie seine wunden, rissigen Hände entdeckt hat. Sie schüttelt den Kopf. Kurz darauf bringt sie ihm eine Salbe. „Wird Zeit, dass der alte Harvey endlich eine dieser neuen Spülmaschinen anschafft“, schimpft sie. „Willst du mich arbeitslos machen, Linda?“, entrüstet er sich. „Du kannst mehr als nur Teller spülen, Joe! Wie du neulich mit den Untertassen jongliert hast, damit kannst du im Varieté auftreten!“ Johannes sieht sie zweifelnd an. Als sie verschwunden ist, macht er sich resigniert an die Arbeit. Er hatte sich längst um andere Arbeit bemüht. Es ist hoffnungslos, ohne Arbeitserlaubnis bessere Arbeit zu bekommen.

      Dennoch nutzt Johannes die freien Morgenstunden und die Sonntage, um die riesige Stadt zu erkunden und sich nach Arbeit umzusehen. Mehrmals war er bis zur 150th Street hinaufgefahren. Dort im Stadtteil Washington Heights leben ebenfalls viele deutsche Immigranten. Allerdings waren es eher bessergestellte Aussiedler, darunter viele jüdische Familien. Als einzelner mittelloser nichtjüdischer Immigrant findet er keinen Zugang zu den dort lebenden Familienverbänden und schon gar nicht bezahlte Arbeit. Hier bin ich erst recht ein Fremder, hatte er resigniert festgestellt.

      Seitdem führt sein Weg ihn häufig nach Little Italy durch die belebte Mulberry Street, hinein ins Gewimmel der vielen Straßenhändler und kleinen Geschäfte, wo ein merkwürdiges Kauderwelsch aus Englisch, Jiddisch und Italienisch gesprochen wird, weiter über die breite Canal Street nach Chinatown, wo es in der Pell Street exotisch aus den Garküchen duftet, schließlich zur Brooklyn Bridge von deren über der Fahrbahn verlaufenden Gehsteig sich immer ein Blick auf den East River und auf die Wolkenkratzer Lower Manhattans lohnt. Dann mit der Elevated, der Hochbahn, zurück, noch schnell die Zeitung lesen bevor seine Arbeit am Spültisch in der Küche beginnt. Vor allem die Neuigkeiten aus Europa interessieren ihn. Deutschland hatte Polen nach wenigen Wochen besiegt und besetzt, zumindest den westlichen Teil. Von Osten war die Rote Armee dort einmarschiert, eine bis dahin geheime Vereinbarung des Hitler-Stalin-Paktes. Polen war von der Landkarte verschwunden, seine Städte und Landschaften verwüstet und das Volk unterjocht oder in Arbeitslager verschleppt, ohne dass England und Frankreich merklich in das Geschehen eingegriffen hatten. Auch rätselte die Weltpresse nach dem Verbleib der Bremen, die nach ihrer Abreise aus New York sechs Wochen zuvor angeblich nie in Deutschland angekommen war. Die offizielle Verlautbarung des deutschen Konsulates war: Man möge doch Winston Churchill fragen, vielleicht wisse dessen Royal Navy etwas Näheres zum Verbleib des Schiffes. Die Briten dementierten, die Bremen aufgebracht oder gar versenkt zu haben, was glaubhaft war. Wenn es ihnen tatsächlich gelungen wäre, des deutschen Schnelldampfers habhaft zu werden, hätten sie es propagandistisch ausgeschlachtet, ebenso wie die Deutschen, wenn das Schiff in der Heimat eingetroffen wäre. Die Presse spekulierte also weiter.

      Bei einem weiteren seiner morgendlichen Spaziergänge kommt Johannes durch eine wenig belebte Straße in der Nähe des East River. Penetrante Gerüche von den nahen Schlachthöfen wabern durch die verwahrlosten Straßen. Johannes biegt in eine Nebenstraße ab, um die Gegend so schnell wie möglich zu verlassen, als ihm zwei Männer den Weg versperren. „Hast dich verirrt, Rockefeller?“, fragt der größere der beiden und drückt ihn gegen eine Hauswand. Ehe Johannes sich wehren kann, haben die beiden ihm den Arm auf den Rücken gedreht und seine Brieftasche aus seinem Jackett gezogen. Der kleinere der beiden findet keine drei Dollar darin. „Verdammt! Das ist alles? Er muss noch mehr haben, bei den feinen Klamotten.“ Der größere reißt Johannes herum. Das Geräusch reißenden Textils ist zu hören. „Raus mit den Kröten! Wird’s bald!“ Er hält ihm ein spitzes Messer an die Kehle. „Ich habe nicht mehr, ehrlich, Jungs!“, stammelt Johannes.

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