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Gesicht gezogen hatte. Seine Haut war glatt und blass wie straff aufgezogenes Pergament, und durch die fadendünnen Lippen schien kaum Blut zu fließen. Dafür war im rechten Auge, neben der eisgrauen Iris, ein roter Fleck.

      Er rammte Johanna ein Knie in den Unterleib. Ein harter, geübter Stoß.

      Sie hing in ihren Fesseln und japste.

      Eine blitzschnelle Bewegung brachte ihr einen Schnitt bei, der vom linken Lid über die Nase zum rechten Mundwinkel verlief. Blut sickerte aus der Wunde, die sie für immer entstellen und auch die letzte Ahnung ihrer verblühten Schönheit ausradieren würde.

      In Johannas Kehle formte sich ein Schrei. Sie schluckte ihn herunter. Sie war stark.

      Die ehrbaren Leute aus Wewer hielten den Atem an. Einige bekreuzigten sich. Kinder sahen zu ihren Müttern auf. Eine knisternde Spannung lag in der Luft. Sogar Tölpel, die ewig kläffende Promenadenmischung der Schönbecks, gab Ruhe. Nur die Hühner gackerten unverdrossen weiter.

      »Raus mit der Sprache! Wo ist dein Sohn?«, brüllte Ludwig v. Hashagen. »Wo ist der Teufel?«

      Johanna brachte keinen Ton heraus wegen des Leders an ihrem Hals. Sie röchelte.

      Der Oberforstmeister zog an dem Riemen, damit er nicht mehr so hart auf den Kehlkopf drückte. »Wo ist er, Satansfotze?«

      »Ich … ich … weiß es nicht.«

      V. Hashagen ging zu Conrad, der in einer Lache aus Blut und Erbrochenem lag. Er trat ihm ins Gesicht. Nase und Oberkiefer brachen mit einem grässlichen Knacken.

      Johanna gewährte dem Mob nicht mehr als ein unspektakuläres Ächzen.

      Die Leute antworteten mit ›Ahs‹ und ›Ohs‹.

      Der Oberforstmeister drehte sich zu seinem Freund um, aber der Geheimrat verfolgte die Szene mit verschränkten Armen. Er machte nicht die geringsten Anstalten, irgendetwas zu unternehmen. Es war nicht seine Art, sich die Hände schmutzig zu machen. Dafür gab es Spezialisten.

      Der Mann im grauen Mantel übernahm wieder. Er betrachtete sein Werk. Wie ein Maler, der mit etwas Abstand zur Staffelei jeden noch so kleinen Makel sucht, irgendeine Unvollkommenheit, ruhten seine Augen auf der Gefesselten. Er genoss den Augenblick. Dass sich alle Augen auf ihn, den Maestro, richteten. Dass sich jeder fragte, welchen Pinselstrich er als Nächstes anbringen würde. Und er allein die Antwort kannte und verstand, welche Nuancen fehlten für ein vollkommenes Arrangement. Er schlug Johanna ins Gesicht und riss an ihren Haaren. Alle sollten sehen, wie der rote Lebenssaft aus ihrer gebrochenen Nase pulsierte.

      Das Publikum goutierte es.

      Der Meister ließ die Haare los, und Johannas Kopf kippte nach vorn. Eine Strähne strich Blut über Kinn und Lippen. Mit durchgestrecktem Rücken, das Kinn angehoben, umkreiste er den Schandpfahl. »Hübsch bist du, Teuerste«, flötete er. »Ach, so hübsch.« Verbale Interaktion war wichtig. Sie schuf eine Verbindung zwischen Künstler und Werkstück und erhöhte die Dramatik.

      Ganz Wewer hing an seinen Lippen.

      »Wie sie dich angaffen, die Lüstlinge. Du bist ja fast nackt. Ich wette, sie würden dich am liebsten … na, lassen wir das. Es sind Frauen und Kinder anwesend.«

      Als niemand damit rechnete, hieb er seinen Dolch in Johannas Arm. Der Stich durchtrennte die Bizepssehne und zerstörte den Muskel.

      Bevor Johanna schreien konnte, spielte ihr Körper seinen letzten Trumpf aus: Sie verlor das Bewusstsein.

      Ende der Präsentation.

      Die Mundwinkel des Meisters zuckten. Wenige Sekunden später gefror sein Gesicht wieder zur Maske. Er hielt der Frau den Dolch an die Kehle und sah sich zu seinen Auftraggebern um.

      Atemlose Stille.

      ›Töte sie!‹ ›Los, stich die Bargfeldschlampe ab!‹ ›Die Ketzerin hat es nicht besser verdient!‹

      Anton Breitenbach verlor das Gleichgewicht. Zu seinem Glück landete er in einem Misthaufen.

      Tölpel kläffte.

      Alles gierte nach dem Höhepunkt.

      Da trat der Geheimrat vor. »Wir sind hier fertig. Schafft sie in die Stadt, und legt sie in Ketten, bis sie etwas ausspucken.«

      Die Menge grummelte. Man hatte sich mehr erhofft.

      Carl Adrian warf einen genervten Blick auf seine Uhr. Er winkte den Soldaten herbei, der sein Pferd hielt. Höchste Zeit für die schönen Dinge des Lebens.

      Anna, die goldblonde Magd, wartete.

       Kapitel 8

      Die Kinder aus Wewer standen Spalier. »Hu-ren-sohn! Huren-sohn!«, brüllten sie aus Leibeskräften. »Bargfeld ist ein Hu-ren-sohn!« In jeder Silbe lag der Hass ihrer Eltern. Er hatte auf sie abgefärbt. Sie schenkten ihn dem Ausgestoßenen zum Geburtstag. Dem zehnten.

      Johannes, das Geburtstagskind, ging schneller, den Blick auf den Boden geheftet. Er umklammerte seinen Schatz: Eisenstifte, ein Dutzend. Dem Hufschmied stibitzt.

      Das Rudel klebte an seinen Fersen.

      »Deine Mutter macht die Beine für jeden breit«, krähte die neun Jahre alte Anna. Sie war die Tochter von Wilhelm und Anna Düker, alteingesessenen, fleißigen Bauersleuten.

      »Sie sind Ketzer«, gab Franz Balke, ein achtjähriger Karottenkopf, im Brustton der Überzeugung bekannt. »Deine Eltern sind Ketzer.«

      »Sie kommen in die Hölle«, brüllte Jost Drolshagen. »Sagt mein Großvater. Und der war Feldscher im Krieg.«

      Johannes zuckte zusammen. In die Hölle? Mutter sagte immer, das mit der Hölle wäre Unsinn. Und das viele Beten auch. Vater war alles egal.

      Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Tobias etwas hinter seinem Rücken verbarg. Das verhieß nichts Gutes, denn Tobias Morhagen war der Schlimmste. Er war fast elf, ein Jahr älter als Johannes, aber trotzdem kleiner. Und so dumm, dass es allen wehtat. Aber wenn es darum ging, den ›Scheißbargfeldhurensohn‹ zu erniedrigen, konnte er überraschend einfallsreich sein.

      Johannes maß die Entfernung zum Wald ab. Bis dahin musste er es schaffen. Dort war er im Vorteil und hatte sein Schloss, die Baumbude, für die er die Nägel brauchte.

      ›Klatsch‹ – Volltreffer. Mitten ins Gesicht.

      Die Kinder schütteten sich aus vor Lachen. Es war ein unbeschwertes, helles Kinderlachen. Wie Strolche nun einmal lachen.

      In Johannes Ohren klang es wie Fauchen und Zähnefletschen. Während Tobias Anerkennung für seinen Wurf erntete, versuchte er zu begreifen, was geschehen war. Schließlich verriet ihm der Gestank, was in seinem Gesicht klebte. Er brach in Tränen aus und rannte nach Hause.

      »Friss Scheiße, Johannes Bargfeld!«, brüllte ihm Friedrich Happe, ein sommersprossiger Bengel mit Segelohren, hinterher. Er grunzte wie ein Schwein, und alle machten mit.

      »Schweinebengel, heul’ doch, heul’ doch, heul’ doch!«, skandierte das Rudel.

      Johannes riss die Augen auf. Über ihm gähnte ein Astloch. Lachte es ihn aus? Verhöhnte es ihn?

      Ein widerlicher Geschmack war in seinem Mund, und er musste würgen. Das half, um wach zu werden und festzustellen, dass es nur Wildschweindreck war – die Tränen hatten ihn auf die Lippen gespült.

      Dass es ein Traum war, nur ein Traum.

      Der schlimmste aller Träume.

      Er hatte Hunger. Eine Weile kaute er auf einem Holzspan herum – vielleicht würde das seinen knurrenden Magen etwas milder stimmen. Der aber ließ sich nicht täuschen und protestierte weiter. Zu lange war ihm feste Nahrung verwehrt worden.

      Er musste etwas Essbares auftreiben. Auch, wenn es riskant war. Wegen der Soldaten. Vor allem wegen der Hunde. Er kletterte vom Baum und lauschte in den schon am frühen Morgen gewittrig dampfenden Wald.

      Keine

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