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vorbei. Die Verachtung, all die Bitterkeit, die in Conrad Bargfeld gor, quoll wie Eiter aus einer entzündeten Wunde. »Die Pfaffen predigen Demut und Bescheidenheit, aber halten sich selbst nicht daran. Sie haben immer Fleisch auf dem Tisch, ihre Krüge sind voll mit den edelsten Weinen. Verlogenes Pack!«

      Johannes hielt den Atem an – wenn das jemand hörte! Er fühlte eine tiefe, nie erlebte Zuneigung. »Seit wann machst du das, Vater?«

      »Seit langem.« Conrad brach den zweiten Hasen auf.

      »Und was jagst du?«

      »Hasen. Manchmal einen Fasan. Oder ein Reh. Hin und wieder ein Wildschwein.«

      »Aber womit? Ich habe keinen Schuss gehört.«

      Sein Vater wischte das Messer an seinem Rock ab und legte es beiseite. Er hob den Sack auf und nahm einen etwa eine Elle langen zylindrischen Behälter heraus. Darin verstaut war eine Armbrust. Sie maß etwa dreißig Zoll. Ihre Wurfarme waren zu einer gebauchten Säule beigeklappt, wodurch sie sehr kompakt war.

      Conrad breitete die Wurfarme aus und fixierte sie, indem er Metallhülsen über die Gelenke zog. »Das ist eine besondere Waffe. Es gibt ganz wenige, die man einklappen kann. Ein Meisterwerk.«

      »Von wem hast du sie?«, fragte Johannes.

      »Mein Vater hat sie gemacht. Dein Großvater Gustav. Er ist kurz vor deiner Geburt am holländischen Fieber gestorben, wie du weißt. Sieh nur!« Am Ende der Säule war eine Backe, die das Anlegen erleichterte. In das unauffällig gemaserte Nussholz waren die Initialen ›G.B.‹ geritzt. »Willst du sie halten?«

      Johannes wog die Waffe in den Händen. Sie war überraschend leicht. »Aber wieso eine Armbrust?«

      »Sie ist so gut wie lautlos. Und trotzdem ist ihre Durchschlagskraft gewaltig. Mit einem einzigen Schuss kann man einen Hirsch erlegen.«

      Johannes sah seinen Vater ungläubig an.

      »Doch, mein Junge. Ein guter Schütze trifft auf fünfzig Schritt. Mit Übung schafft man zwei Schuss in der Minute, drei, wenn man sehr schnell ist. Glaube mir, für die Jagd ist das noch immer eine feine Waffe. Bloß erinnert sich niemand mehr daran.«

      »Wie zielt man?«

      »Hinter dem Bolzenhalter ist ein Visier. Man kann es aufklappen. Es geht ganz leicht.«

      »Wann kann ich sie ausprobieren, Vater?«

      »Nicht heute. Geh jetzt ins Haus! Und kein Wort zu Mutter, hörst du!«

      »Ich habe etwas zu sagen.«

      Conrad legte den Löffel aus der Hand. Endlich redete sie. Da musste die Milchsuppe warten.

      Johannes sah seine Mutter an. Dieses Funkeln in ihren Augen – was bedeutete es? Eher nichts Gutes.

      »Es ist gefährlich, dass Johannes es weiß. Das hatte ich nie gewollt, denn es bringt ihn in Gefahr. Und jetzt soll er dich auch noch begleiten.«

      Conrad fragte sich, ob das Gespräch wieder im Streit enden würde. Er hasste das, war aber auch ihre ewigen Vorwürfe leid. Wie lange sollte das noch so gehen? »Johanna, bitte. Seit einer Woche …«

      »Ich will nicht mehr streiten, Conrad«, unterbrach sie ihn. Ihr Ton hatte an Schärfe verloren. »Ich weiß, wie du dich mit deinem Bein quälst.«

      Conrad starrte auf seine Hände, die wie zum Gebet gefaltet auf dem Tisch lagen. Wie oft hatte er den Krieg verflucht? Den Scheißkrieg, der sein Bein zerstört hatte! Der ihn zum Krüppel degradiert hatte. Das Zucken der Mundwinkel verriet seine Anspannung.

      »Nimm ihn mit. Aber wehe, ihm passiert was.«

      Sie streiften durch den Henckenbusch. Das auf der anderen Seite der Alme, östlich des Guts gelegene Waldstück war das Revier von Domdechant v. Canstein. Dort durften sie nicht sein. Schon gar nicht, um zu jagen. Aber sie taten es trotzdem, denn sie waren Wilderer.

      Am Rande einer Lichtung hielten sie an. Conrad war ein erfahrener Jäger. Er warf einige Blätter hoch – sie mussten das Wild gegen die Brise aus Südost angehen, damit ihr Geruch sie nicht verriet.

      Der Wind stand günstig.

      Sie legten sich ins Gras. Das nasse Grün benetzte Johannes’ Gesicht und verscheuchte das letzte Fitzelchen Müdigkeit. Bald drang die Bodenfeuchte durch seine Kleider. Das störte ihn nicht. Es dämpfte die Aufregung.

      Vorbei die Zeit der Übungsschüsse. Endlich war es soweit! Endlich durfte er zeigen, was er gelernt hatte. Und was er von Anfang an konnte – zu seines Vaters Erstaunen und zu seinem eigenen. Die Armbrust im Anschlag, einen zweiten Bolzen griffbereit, streifte er den Rand der Lichtung ab. Aber da war nichts.

      Sein Nacken schmerzte. Er hob den Kopf. Ein, zwei Zoll nur, doch Conrad hieb ihn gleich unsanft in die Seite. Reumütig ging er wieder in Deckung.

      Da – am südlichen Ende der Lichtung! Zweige knackten. Laub raschelte.

      Dann wieder Stille. Nur der Wind flüsterte.

      Johannes hörte seinen Herzschlag. Ob er die Tiere vertrieb? Ein schneller Blick nach links.

      Sein Vater legte einen Finger auf die Lippen.

      Plötzlich wechselte ein starker Bock auf die Lichtung. Ein herrliches Exemplar mit rostrotem Fell, einer weißen Blesse über der Nase und drei Sprossen an jeder Stange. Stünde der Wind günstig, könnte das Tier seine Jäger wittern, doch die Natur versagte ihm diesen Dienst. Damit verhängte sie sein Todesurteil. Der Bock senkte den Kopf und begann zu äsen.

      Rauschen in den Ohren.

      Vater nickte.

      Die Schussbahn war frei, das Wild stand im perfekten Winkel auf fünfzig Schritt. Johannes hob die Armbrust. Er atmete flach, hielt die Luft an und zielte. Ohne Visier, wie immer. Er peilte das Ziel über den Schaft an.

      Er streichelte die Abzugsstange.

      Der Bolzen zischte los.

      Als das todgeweihte Tier das auf sich zurasende Flugobjekt bemerkte, war es schon passiert. Das Geschoss schlug hinter dem Schulterblatt ein. Es zerstörte Herz, Lunge und Aorta. Der Bock bäumte sich auf und sprang mit gesenktem Haupt davon. Am Ende der Lichtung stieß er gegen einen Baum, brach zusammen und verendete.

      Ein kurzer Todeskampf.

      Conrad nickte – so war es gut.

      Die Jäger liefen zu dem Kadaver. Der Bolzen war bis zur Befiederung eingedrungen. Er saß punktgenau.

      Ein Meisterschuss.

       ZWEI –DIE JAGD–

       Kapitel 6

      Seine Lungen brannten. Die Fingerspitzen kribbelten. Ein metallischer Geschmack im Mund. Und Schmerzen – wie Messer zwischen den Rippen. Eine Erinnerung an Libori. An Jakob und seine Schläger. Vor zehn Wochen.

      Er musste es aushalten, musste sie abhängen. Wie damals, das Kinderwolfsrudel aus dem Dorf. Doch diesmal war der Einsatz höher. Diesmal waren Männer mit Gewehren hinter ihm her. Entschlossen, ihn zu töten. Den Wilderer, der Jakob v. Hashagen auf dem Gewissen hatte.

      Das Kläffen kam näher.

      Zweige peitschten. Er riss die Arme hoch. Und doch fand eine Brombeerranke den Weg in seine Wange.

      Das Gelände stieg an. Am höchsten Punkt einer Kuppe blieb er stehen. Er stemmte die Arme in die Seiten. Seine Brust drohte zu zerspringen.

      Lichter tanzten durch den Wald.

      Der Graben der Imbsenburg zu seinen Füßen. Er stand auf den Überresten. ›An der Burg‹ kannte er sich aus. Hier hatte er früher Verstecken gespielt – gegen die Dorfkindermeute. Unfreiwillig.

      Er stürmte den Hang hinunter. Stolperte. Fiel. Rappelte sich auf und rannte weiter. Durch den Burggraben, dahin, wo das tiefste Schwarz war. Sein Schienbein knallte gegen etwas Hartes. Es

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