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Wolken über Gut Schönwiesen. Stefan Kretzschmar
Читать онлайн.Название Wolken über Gut Schönwiesen
Год выпуска 0
isbn 9783347048614
Автор произведения Stefan Kretzschmar
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Der Offizier ließ sich die Begleitpapiere zeigen und schaute diese prüfend durch. Als er von den Papieren aufsah, fragte er in forschem Ton: „Wer sind die beiden Burschen da?“ Dabei machte er eine kurze Kopfbewegung in Richtung der beiden jungen Männer, die sich vor innerer Aufregung und auch Angst kaum zu rühren wagten. Karlo drehte sich gemächlich um und zeigte zuerst auf den jungen Mann auf dem Kutschbock.
„Der da ist Felix, der Sohn von Max Vogelsang aus Magdeburg, und der da ist Konrad, mein Jüngster. Er soll bald mein Fuhrgeschäft übernehmen.“
„Komm da oben runter!“ rief der Offizier und blickte Felix scharf an. Dann befahl er zwei seiner Soldaten, den jungen Mann umgehend in das Wachzimmer der Grenzstation zu bringen. Oh je, das ist kein gutes Zeichen, ging es Karlo durch den Kopf, denn wen die Soldaten erst einmal in der Mangel hatten, den ließen sie auch nicht so schnell wieder laufen. Der Offizier war noch voll im Rausch vom Erfolg des gestrigen Tages, an dem die Grenzsoldaten drei Deserteure festnehmen konnten. Karlo musste sich sofort etwas einfallen lassen. Schnellen Schrittes wollte er am Offizier vorbei zum Kutschbock. Der aber stellte sich Karlo in den Weg und herrschte ihn an. Barsch wiederholte er:
„Der da oben soll sofort runter kommen!“ Felix fuhr der Schreck durch alle Glieder. Jetzt haben sie mich erwischt, dachte er. Seine Gesichtsfarbe wurde noch blasser als sie schon war. Mit zittrigen Fingern wickelte er die Zügel an die Lehne des Kutschbocks. Felix wollte gerade vom Kutschbock heruntersteigen, als ein schmetterndes, sich wiederholendes Trompetensignal hinter ihnen ertönte. Das Trompetensignal wurde immer lauter und furchteinflößender. Eine Kutsche näherte sich aus Richtung Schöningen in schnellem Tempo der Grenzstation. Mit hektischen Kommandos an seine Soldaten befahl der Offizier, sofort den Schlagbaum zu öffnen.
Karlo, der mit seinem Gespann vor dem Schlagbaum die Straße blockierte, wurde vom aufgeregt herumlaufenden Offizier aufgefordert, schleunigst durchzufahren und sofort danach mit seinem Gespann die Straße freizumachen. Karlo nutzte die günstige Situation und stieg schnell zu Felix auf den Kutschbock. Oben drückte er Felix kräftig auf die rechte Hälfte der Kutschbank. In Windeseile wickelte er die Zügel ab, nach derben Zügelschlägen und lautem Peitschenknallen zogen die Pferde mit einem kräftigen Ruck an. Konrad begriff sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Er lehnte sich an die Seitenwand des Fuhrwerks und schob mit voller Kraft, ohne nach vorn oder hinten zu schauen. Es dauerte nur wenige Minuten und das Gespann war mit Konrad, Felix und Karlo durch den offenen Schlagbaum gefahren. Sie hatten ihr Gespann gerade noch rechtzeitig hinter der Grenze an der rechten Straßenseite zum Stehen gebracht. Eine Königlich Preußische Kutsche raste in schnellem Tempo an ihnen polternd vorbei. Wer in der prunkvollen Kutsche saß, konnte keiner der drei erkennen. Es war wie ein Wunder, dass ein fast nicht für möglich gehaltener Zufall ihnen so geholfen hatte. Karlo drückte Felix die Zügel wieder in die Hände und forderte ihn auf, sofort wieder loszufahren. Karlo sprang vom unteren Fußbrett in den Schnee und lief sogleich nach vorn zu den Pferden, wo er sie beim Zaumzeug packte. Felix ließ die Zügel auf die Rücken der beiden Pferde knallen und schon setzte sich das Gespann wieder in Bewegung. Nach wenigen Metern fuhren sie durch den vor ihnen noch geöffneten Schlagbaum der Preußisch Magdeburgischen Grafschaft. Die preußischen Grenzsoldaten ließen Karlo und seine beiden Begleiter ohne weitere Kontrollen einreisen. Karlo steckte dem preußischen Offizier noch eben eine Flasche französischen Weinbrand zu.
Als sie die Grenze etwa zwei Kilometer hinter sich gelassen hatten, sagte Karlo zu Konrad: „Jetzt können wir auf den Kutschbock klettern, es geht nur noch geradeaus.“ Die drei saßen nun nebeneinander auf dem Kutschbock und Karlo bemerkte erleichtert „Was für ein Glück, dass im richtigen Moment diese hoheitliche Kutsche durch die Grenzposten mit schneller Fahrt gejagt war. Es wäre wohl sonst das Ende eurer Flucht gewesen.“ Die Landstraße hinter der Grenze im Preußischen war weiter gut zu befahren. Die beiden Pferde zogen den Planwagen zügig und kraftvoll voran. Karlo wollte nun gern wissen, wer Felix und Konrad waren und woher sie kamen. Felix begann als erster zu erzählen:
„Ich bin der Sohn vom Goldschmiedemeister Albert Steinbach aus Kassel. Ich habe bei meinem Vater auch das Goldschmiedehandwerk erlernt.“
„Ich bin der Konrad aus Kassel, wohne aber jetzt schon viele Jahre in Goslar. Mein Vater Moritz Landauer ist Förster bei der Gräflichen Forstverwaltung in Goslar. Ich habe alles gelernt, was zur Holzgewinnung im Forst gebraucht wird. Wir beide sind die besten Freunde, die es auf der Welt gibt“, setzte Konrad seine Rede fort. „Wir kennen uns schon von Kindheit an. Unsere Familien sind befreundet, unsere Väter waren im Krieg in derselben Einheit. Felix verweilte oft als Kind und Jugendlicher bei uns Landauern im Forsthaus. Wir liebten es, zusammen in den Wäldern herumzustreichen und haben gemeinsam so manches Abenteuer erlebt.“
Es wurde für einen Moment still auf dem Kutschbock, nur das Knirschen des Schnees unter den Rädern und das Schnaufen der beiden Pferde durchdrang die Stille des frühen Tages. Jeder der drei sann so vor sich hin, bis der Fuhrmann aufblickte und mit tiefer Stimme zu erzählen begann. „Ich betreibe in Querum, nahe bei Braunschweig, ein Fuhrwerksunternehmen. Ich habe noch drei Gespanne, aber bis jetzt noch keinen, der das alles einmal übernimmt. Gustav, mein Ältester, ist bei den Soldaten und Georg hat in eine Bäckerei in Braunschweig eingeheiratet. Er ist dabei, die Bäckerei von seinem Schwiegervater zu übernehmen. Zwei meiner Töchter sind nach ihrer Heirat zu ihren Ehemännern und Schwiegereltern gezogen. Die eine nach Wolfenbüttel und die andere nach Salzgitter. Ja so ist das, wo die Liebe eben hinfällt. Die letzte Hoffnung, die ich noch habe, ist Luise, mein Sonnenschein. Einer von Euch wäre mir schon recht…“ fügte er verschmitzt lächelnd hinzu. „Also, solltet ihr mal in die Nähe von Querum kommen, dann fragt einfach nach Karlo. Dort kennt jeder jeden.“ Karlo fasste mit der Hand hinter sich und zog einen Beutel hervor. Er wickelte das Stofftuch auf, nahm das Messer, welches im Tuch mit eingebunden war, in die Hand und schnitt damit ein Brot in drei gleich große Teile. Karlo trennte auch von der Wurst drei große Stücke ab und gab Felix und Konrad je ein Teil. Die beiden hatten mächtigen Hunger, das Knurren ihrer Mägen war schon ab dem Grenzübergang zu hören. Alle drei ließen sich das Frühstück schmecken. Die Sonne schickte ihre ersten wärmenden Strahlen auf die Erde. Karlo griff erneut nach hinten und zog eine Flasche Wein aus einer Kiste. Karlo und Konrad nahmen ein, zwei kräftige Schlucke, nur Felix nippte ein wenig an der Flasche. Er wusste, dass er nicht viel Alkohol vertrug und dann noch mit fast leeren Magen, das würde ihm bestimmt nicht gut tun.
Nach einigen Stunden gemächlicher Fahrt, schwenkte Karlo mit seinem Fuhrwerk plötzlich von der Straße in einen breiten Feldweg nach rechts ab. „Wir fahren zu den Frenzels, die haben einen Bauernhof mit Wirtschaft. Ich mache bei den Frenzels immer Rast, bevor ich ins Brandenburgische weiter fahre.“
Felix und Konrad schauten Karlo fragend an. „Ins Bandenburgische, wir dachten Sie fahren nach Magdeburg?“
„Tut mir leid, dass ich euch das noch nicht gesagt habe. Aber es wird sich bei den Frenzels schon eine Lösung finden, da machen viele Fuhrleute Rast.“
Es dauerte nur eine knappe Stunde und ein großes Bauerngehöft war zu sehen. Sie fuhren durch einen riesigen zweiflügeligen runden Torbogen. Als das Gespann auf dem großen Hof anhielt, standen dort bereits zwei Pritschenwagen und ein Planwagen.
Die Pferde der Gespanne waren ausgespannt und im Pferdestall untergebracht. Die drei stiegen vom Kutschbock und Karlo übergab die Zügel einem Knecht vom Bauernhof. Gemeinsam liefen sie über den Hof, öffneten die breite Tür zur Wirtschaft, gingen hinein und blieben vor der Theke, wo die Wirtin gerade einen Krug Bier füllte, stehen. Die Wirtin schaute zu den Neuankömmlingen auf.
„He, Karlo, das ist ja eine Überraschung, schön, dass du wieder bei uns reinschaust.“ Sie strahlte dabei übers ganze Gesicht. Die Wirtin eilte mit dem vollen Krug zum Nachbartisch, stellte ihn ab und kam schnellen Schrittes zu den dreien zurückgelaufen. Sie umarmte Karlo freudig, sodass er fast etwas errötete.
„Nicht so stürmisch Paula, lass mich am Leben, was sollen denn meine zwei Begleiter von mir denken“, sagte Karlo lachend zur Wirtin.
„Nehmt Platz.“ Sie zeigte dabei auf einen Tisch am Fenster, von wo aus man auf den verschneiten, kaum geräumten Hof schauen konnte. Die Wirtin kam an den Tisch, an dem