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Plötzlich Rassist. Benjamin von Thaysens
Читать онлайн.Название Plötzlich Rassist
Год выпуска 0
isbn 9783347049284
Автор произведения Benjamin von Thaysens
Жанр Биографии и Мемуары
Издательство Readbox publishing GmbH
Sie erzählte mir dann von der schweren Erkrankung ihres Vaters, dass es verdammt ernst sei und er um sein Leben kämpfe. Dass ihre Mutter und sie keine Kraft mehr hätten, jeden Tag das Krankenbett zu hüten. Geschwister hat Carola nicht.
Ich hörte ihr zu, einfach nur geduldig zu. Wir telefonierten stundenlang. Ich erzählte ihr von meinen eigenen Erfahrungen, als mein Vater schwer erkrankte, machte ihr Hoffnung, sprach ihr Mut zu.
In der nächsten Zeit rief ich Carola täglich an, wollte wissen, wie es ihr ging, machte mir Sorgen um sie. Ich interessierte mich dafür, wie es um ihren Vater stand. Von da an riss unser Kontakt nicht mehr ab. Wir schrieben uns täglich SMS, E-Mails und telefonierten abends stundenlang. Wir wurden uns Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat vertrauter, ohne uns nur einmal zu treffen. Ich hatte nie zuvor so ein Vertrauensverhältnis zu einem anderen Menschen aufgebaut. Ich hatte mich immer nur um meine Karriere gekümmert, da war kein Raum für so was. Ich hatte zwar die ganze Zeit eine Partnerin, es war aber nicht so, dass ich mir eine tiefere Beziehung oder sogar Ehe vorstellen konnte. Ich war distanziert, ließ andere nicht an mich heran. Ich baute um mich eine Schutzzone auf, wie die Firewall eines Computers, die Alarm schlägt, wenn sich jemand unbefugt Zutritt verschaffen will. Meine Partnerin sah ich nicht häufig; im Nachhinein frage ich mich, was das eigentlich für eine Beziehung war.
Ich war eindeutig auf der Erfolgsspur: beruflich aufgestiegen wie ein Fahrstuhl direkt vom Keller in die zehnte Etage. Ohne Zwischenstopp. Dazu knallte Carola in mein Leben wie ein riesiges rosarotes Überraschungspaket mit Schleifchen drum. Zudem stand zu jener Zeit gerade mein beruflicher Wechsel von Bayern nach Hannover an. Meine Recherchen ergaben eine Reisedauer von anderthalb Stunden für die Strecke Hannover-Berlin, was fantastisch war. Meine bayerische Partnerin und ich trennten uns. Sie hatte mir ohnehin immer klar gemacht, aus Bayern nicht wegziehen zu wollen, sie war nun mal sehr heimatverbunden. Die Trennung verlief klar und sauber, ohne Groll und Nachtreten. Wir wünschten uns alles Gute, was wirklich von Herzen kam. Mir war dieser Einklang wichtig, denn ich bin nicht der Typ, der andere einfach so sitzen lässt, abhaut, austauscht. Da bin ich wohl durch meine Mutter geprägt, die unsere Familie damals sitzen ließ. Trotz meiner distanzierten Art legte ich immer großen Wert auf Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Kontinuität; privat und beruflich.
Ich zog also nach Hannover und arbeitete mich zunächst intensiv in meine neue Aufgabe ein. Zugleich hielt ich es für sinnvoll, nach der Trennung von meiner Ex-Partnerin etwas abzuwarten, um mich perfekt und ohne Altlasten auf Carola einlassen zu können.
Etwa drei Monate danach, Carola und ich standen immer noch im Dauerkontakt, meldete ich meinen Besuch bei ihr in Berlin an. Ich buchte Bahnticket und Hotel direkt am Ku’damm und freute mich tierisch, sie wiederzusehen. Ich hatte ein Kribbeln im Bauch, wie ein kleiner Junge vor der Weihnachtsbescherung! So was kannte ich bis dahin nicht.
Carola holte mich freitagnachmittags vom Bahnhof ab. Seitdem sind wir ein Paar, mittlerweile 14 Jahre, davon drei verheiratet.
Ich möchte keinen Tag mit Carola gegen einen Tag ohne sie eintauschen. Sie ist das Beste, was mir je passiert ist: Meine große Liebe, mein Lebensanker, mein Ruhepol! Man hört sie kaum, wenn sie zu Hause ist und durch die Wohnung schreitet, wie eine Katze auf ihren Samtpfoten. Ich mag das, es verleiht mir Ruhe und Geborgenheit. Sie ist in meiner Nähe. Sie ist immer für mich da, fühle ich tief in mir. Und ich bin für sie da. Ich würde Carola einen Arm von mir transplantieren lassen, wenn sie einen bräuchte, so sehr liebe ich sie!
Als die Standesbeamtin bei unserer Hochzeit den Standardspruch: In guten wie in schlechten Zeiten aufsagte, hatte ich keine Vorstellung davon, was schlechte Zeiten sein könnten. Jetzt weiß ich es! Und verstehe es!
Wir hatten eine wunderschöne Hochzeitsfeier, gediegen, alle waren festlich gekleidet. Später wurde es rauschende Party. Meine ganze Familie war da, meine guten alten Freunde aus der Heimat. Ich erinnere mich jeden Tag voller positiver Emotionen daran.
Wir verbrachten jedes Wochenende miteinander. Sie zeigte mir Berlin, brachte mir Kunst und Kultur näher. Ich entwickelt großes Interesse für die Kunst, Marc Chagall wurde zu meinem Lieblingsmaler. Wir gingen Tanzen, erlebten ausgelassene Abende und besuchten Theatervorstellungen im Schlossparktheater gleich um die Ecke. Durch Carola lernte ich ganz andere Seiten im Leben kennen, die mir bis dahin verborgen geblieben waren.
Aber auch ich brachte Einflüsse in Carolas Leben, die sie vorher nicht kannte. Neben meiner Arbeit war mir Sport wichtig: Wir gingen zum Fußball. Immer wenn mein Lieblingsverein, der HSV in Berlin spielte, machten wir uns auf ins Olympiastadion. Wir besuchten auch die Handballspiele der Füchse Berlin, jubelten, schrien, feuerten an, waren ausgelassen wie tobende kleine Kinder. Wir gingen gemeinsam Joggen. Carola trainierte unter meiner Anleitung Atemtechniken und wurde eine gute Ausdauersportlerin. Sie mag es jetzt, sich auszupowern, wenn sie erschöpft vom Job nach Hause kommt.
Nach ein paar Monaten nahmen wir uns eine gemeinsame Wohnung in Berlin; eine schöne Altbauwohnung mit hohen Wänden und alten Holzdielen, die knarzten. Wir mögen dieses Morbide, es hat in unseren Augen Charme. Ich hatte jetzt richtige Anker im Leben: Carola und unsere gemeinsame Wohnung. Zum ersten Mal verspürte ich ein Gefühl von Angekommensein, von Zuhause. Auch mein Jobwechsel nach Rheinland-Pfalz änderte daran nichts: Berlin blieb unser Lebensmittelpunkt. Wir mussten zwar etwas längere Reisezeiten in Kauf nehmen, ließen uns davon jedoch nicht beeindrucken. Wir empfanden diese Brüche – mal Berlin, mal Worms, wo ich von nun an arbeitete – als Bildungsreisen. Es gab für uns überall etwas Spannendes zu entdecken. Wir waren neugierig. Wir hatten uns. Das war das Wichtigste.
***
Fünf Jahre später verließ Carsten Otterpohl das Unternehmen. Unserer Aktiengesellschaft, der er vorstand, wurde von einem internationalen Finanzkonzern übernommen; eine feindliche Übernahme, wie es in der Wirtschaft heißt. Carsten Otterpohl stemmte sich zunächst energisch der Übernahme entgegen, war am Ende jedoch gegen die Finanzkraft der Gegenseite machtlos. Er verließ das Unternehmen umgehend, ging mit Anfang sechzig in den Ruhestand und nahm verschiedene Aufsichtsratsposten an. Er ließ es fortan ruhiger angehen. Aus seiner Sicht verständlich, aber ich fand es schade, er war schließlich eine grandiose Führungspersönlichkeit und hatte einen tadellosen Ruf in der Branche. Wir sahen uns nun nicht mehr täglich, sondern nur noch höchstens vierteljährlich zu Managementmeetings. Einzelgespräche zwischen uns gab es fast nicht mehr, nur vereinzelnde Telefonate. Ich war, seit ich die Position in Worms angenommen hatte, mein eigener Herr, musste lediglich ihm Bericht erstatten beziehungsweise seine Assistenten, ähnlich wie ich früher einer von ihm war. Direkten Kontakt hatten wir also nicht mehr viel, was von ihm gewollt und gefördert wurde. Ich war mit dieser Situation zufrieden, konnte endlich völlig frei agieren, was schon immer mein Ziel war.
Der Konzern wurde dann ausgedünnt, von den neuen Inhabern filetiert und zerschlagen. Mein Unternehmen hielt sich lange im Konzern, denn ich produzierte sehr gute Ergebnisse und brachte den Investoren reichlich Ertrag ein – bis ich nach drei weiteren Jahren merkte, dass es mir nun genauso erging wie vielen Kollegen, die längst das Unternehmen verlassen hatten: Jetzt war ich an der Reihe, mein Unternehmen stand zum Verkauf. Der Grund erschloss sich mir nicht, zumindest nicht aus Unternehmersicht; aus Sicht eines Finanzhais hingegen schon: Die Kuh bringt mehr ein, solange sie fett ist.
Carola und ich tauschten uns aus und suchten nach Lösungen. Diese Situation bot die beste Gelegenheit, gemeinsame Wege zu gehen und das Reisen einzustellen, fanden wir. Es war Zeit, unser Nomadenleben zu beenden und eine Zukunftslösung zu kreieren, die es uns ermöglichte, jeden Tag miteinander zu verbringen. Die gemeinsamen Wochenenden und Urlaube in Lissabon, am Gardasee, auf Sizilien, Sardinien oder den tollen Nordseeinseln Amrum und Langeoog waren zwar immer super, aber auf Dauer zu wenig für uns. Wir diskutierten uns die Köpfe heiß, bis wir nach etlichen Wochen des Suchens und Abwägens eine Marschroute vereinbarten, wo es für uns hingehen sollte: Die erste Priorität war Berlin, dort war unser Lebensmittelpunkt. Die zweite Priorität war Meer oder Berge, Hamburg oder Bayern. Hamburg ist eine wunderbare Stadt, die mochten wir beide, in Bayern wiederum könnte ich an alte Zeiten anknüpfen, hatte noch viele Bekannte in der Region. Zudem lebt Carolas Onkel dort, zu dem