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heute wirst du gehenbleiben. Gertraud Löffler
Читать онлайн.Название heute wirst du gehenbleiben
Год выпуска 0
isbn 9783749794089
Автор произведения Gertraud Löffler
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Sie hatte aufgehört zu kauen und hörbar geschluckt. Ihre dunkelgrünen Augen weiteten sich wie große Fensterläden und die Schlagader auf der rechten Stirnseite pochte.
„Willst du damit sagen, dass das hier für dich Dreck ist?“
Vorwurfsvoll hielt sie ihm ihre Semmel entgegen.
„Wo es Menschen in anderen Ländern gibt, die verhungern und für das, was hier auf deinem geschleckten Luxusboden liegt, kilometerlang laufen würden? Hallo? Das ist doch kein Schmutz! Wahren Dreck findest du woanders. Den kehren alle reichen Wohlstandsärsche auf Kosten der Armen unter den Teppich! Was glaubst du wieviel Unrat und Sauerei durch die Kanäle unserer Wirtschaftsbosse fließt.“
Bedächtig malte sie mit ihrer Linken einen imaginären Flusslauf in die Luft.
„Der Klärschlamm der Konzerne wabert direkt von Panama bis hierher und sickert in unsere Profitgesellschaft und verkrustet zu Oberflächlichkeit und Raffgier. Damit meine ich nicht nur große Firmen, sondern auch Leute wie dich mit einem Haufen Kohle!“
Pause.
Kurzes Luftholen.
Wie schaffte sie es nur immer diese druckreifen Satzketten zu basteln. Wie ein Artikel aus irgend so einem möchtegernpolitischen Revoluzzerjugendblättchen. Oh je, jetzt fing er selber schon an mit so geschraubten Formulierungen. Martin musste sie dringend stoppen. Die Moralpredigten gingen ihm langsam auf die Nerven, aber Lizzy spann den Text unbeirrt fort.
„Moralischer Dreck klebt unter den Fingernägeln! Und zwar unter den Nägeln aller angeblich sauberen Wohlstandshände mit denen tagtäglich sorgenfrei Lifestyle- Kaffee eingeschenkt wird aus Plantagen auf denen unterernährte Kinder in zerschlissenen Hosen und ohne Schuhe für einen Hungerlohn arbeiten…“
Kaum zu fassen. Diese halbverrückte junge Frau war schon wieder dabei, sich über gesellschaftliche Missstände in Rage zu reden, für die er nun wirklich nichts konnte. Es schien, als müsste er als Schuldiger für die Menschheit einstehen. Gescheiter wäre es, sie würde mal ein paar Sätze zurückspulen. Schließlich ging es hier lediglich um die Sauberkeit in seinen vier Wänden. Langsam reichte es ihm.
„Moment mal. Das einzige, was hier aktuell in dieser Küche passiert, ist, dass du Brot verschlingst, für das ich gearbeitet habe, und hier auf meinen Küchenboden krümelst.“
Endlich! Es war ihm gelungen, dem ersten Teil eine beeindruckende Lautstärke zu verleihen. Allerdings war die Energie schnell verpufft. Viel zu schnell wich in seiner Stimme das Aggressive dem Hilflosen. Konfrontation gehörte nicht zu seinen Stärken. So ein Theater nur wegen ein paar Bröseln. Er seufzte und strich sich mit den Fingern über die gerunzelte Stirn.
„Weißt du“, entgegnete er müde, „ich will nur, dass alles wieder so sauber ist wie vorher, als du noch nicht da warst. Das ist alles!“
Die Kleine sollte einfach nur akzeptieren, dass er es war, der hier wohnte und nicht sie. Seine Wohnung, seine Küche. Seine saubere Küche! Eine Moralapostelin fand er noch anstrengender als eine Elternrebellin. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um auf den Tisch zu hauen. Aber er brachte vor lauter Erstarrung keinen Ton heraus. Wehrlos klebte seine Zunge am Gaumen. Herr der Lage war eindeutig eine junge Frau. Und das in seiner eigenen Küche.
Lissy argumentierte unbeeindruckt weiter.
„Siehst du! So beschränkt ist deine kleine Welt. Sag mal, merkst du das nicht?“
Ihre Frechheit radierte ihm die Farbe aus dem Gesicht.
Sie sah ihn erwartungsvoll an, so, als ob er jetzt an der Reihe wäre, reumütig einzugestehen, dass er vierzig Jahre lang mit allem, was er bisher getan hatte, völlig auf dem Holzweg war. Reglos saß Martin in seiner eigenen Küche, die ihm bisher immer Zuflucht und Ruhepol gewesen war, und starrte wie ein Statist geradeaus. Irgendwie hatte sie ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Lizzy wiederum brachte seine Passivität eher mehr in Wallung.
„Du bist doppelt so alt wie ich, aber dein Leben steckt unter einer Glaskugel fest. Weißt du das? Deine Küche ist ein Goldfischaquarium und du guckst nur stumm heraus.“
Vorwurfsvoll zeigte sie auf den Kühlschrank und den Rest der Einrichtung als erwartete sie eine Entschuldigung für Martins Unzulänglichkeiten von irgendeinem dieser Gegenstände.
In der Mitte ihrer Stirn grub sich ärgerlich die kleine Zornesfalte ihre Bahn. Ihre Augen funkelten angriffslustig. Die Luft in der Küche roch plötzlich stickig. Er könnte ein Fenster öffnen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Bleierne Schwere legte sich von hinten um seine Schultern und hielt ihn auf dem Stuhl fest. Das kannte er auch von seinen Attacken. Entweder schoss sein Kreislauf den Puls hoch wie eine Concorde oder er fühlte sich komplett paralysiert. Im Moment dominierte Letzteres. Wieder einmal holte ihn seine eigene Hilflosigkeit ein.
„Du ignorierst die große Not vieler Menschen auf dem Erdball, während du dich in deiner heilen kleinen sterilen Luxuswelt einschließt. In dem Kühlschrank da hinten“, sie zeigte erneut Richtung Kühlgerät, „befinden sich Unmengen klimaschädlicher Wohlstandsprodukte, die du mit deiner spritfressenden Bankerkarosse aus dem Supermarkt geholt hast. Du isst Avocado aus bewässerten Plantagen, während palästinensische Kinder verdursten, löffelst Frühstückseier, während Küken geschreddert werden. Du gehörst zu denen, die Steaks braten aus Rindern, die davor die ganze Erdatmosphäre erhitzt haben, weil sie im Laufe ihres Lebens riesige Mengen Methan pupsen!“
Dunkelgrüne Blicke trafen ihn, während sie einen Moment schwieg. Ihr Beispielschatz an ethischen Sünden der Menschheit schien unerschöpflich. Was für ein Feuerwerk ging nur in diesem Rebellenschädel ab? Sie musste das alles tagelang herbeigelesen oder zurechtgedacht haben. Das war doch nicht normal. Oder waren die alle in dem Alter so?
Die Erstarrung löste sich ein wenig. Martin richtete seinen Oberkörper auf und spannte unter dem T-Shirt seine unathletische Brust. Jahrelang hatte er sich wie ein Sportler in Gleichgültigkeit geübt, jetzt fehlte ihm eine kraftvolle verbale Gegenwehr, das ernüchterte. Aber ein Programm schien noch abrufbar. Notwehr. In Notwehr kamen ihm nun doch vereinzelt Argumente in den Sinn, die seiner Verteidigung dienen konnten. Auf Reflexe bei akuter Bedrohung war Gott sei Dank Verlass. Die Farbe im Gesicht kehrte langsam zurück, es kam Leben in seine todgepflegte Gemütslage. Es wurde auch Zeit! Auf seltsame Art und Weise gelang es Lizzy, Martin aus der Reserve zu locken. Irgendetwas in ihm bewegte sie. Als rüttle sie an einem unsichtbaren Hebel, der jahrelang verklemmt gewesen war, vielleicht sogar jahrzehntelang. Ein kleiner Spalt tat sich auf. Was das für ein Spalt war, konnte Martin noch nicht greifen. Hell und freundlich war er und für einen winzigen Moment konnte er eine aufmunternde Stimme wahrnehmen, dahinter Gelächter. Die Stimme gab ihm einen Ruck. Du schaffst das, sagte sie, wenn auch unverständlich und fremd.
„Jetzt mach mal halblang.“
Plötzlich fühlte er sich imstande, Lizzy etwas entgegensetzten. Und es klappte.
„Du hast übrigens auch gerade von meinem Luxusfleisch gegessen und mein Luxusbrötchen verschlungen. Du kaust und genießt hier meine Lebensmittel und hast ganz vergessen, dein eigenes schlechtes Gewissen zur Party einzuladen!“
Nicht aufhören, dachte Martin.
„Mit dem Finger auf andere zeigen, aber in der anderen Hand eine leckere belegte Semmel!“
Martin hatte sich schon lange nicht mehr Luft gemacht. Der Dampf unter dem Deckel war immer rechtzeitig in Lethargie kondensiert und lautlos zurück in den Topf getropft. Wie gut das tat! Der Druck auf seiner Stimme schleuderte den Ärger aus seiner Seele, genauso wie ein ordentlicher Hustenanfall die Bronchien reinigt. Die Wirkung blieb auch nicht aus. Lizzys Mund stand einen Moment offen und anstatt weiterer fletschender Anschuldigungen klappten ihre Zähne friedlich über beiden Semmelhälften zu.
Während das Mädchen schweigend zu