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verlangte Eva unnachgiebig, »Hop oder Top?« Die zusammengekniffenen Augen und der schmale Mund ihres Gegenübers sagten ihr, das sie fast am Ziel war. Sie zog einen 50,- und 20,- Euroschein aus der Hosentasche und hielt sie auffordernd hoch. »Den Fuffi gibt es fürs Hineinsehen, den anderen, wenn der Deckel zubleibt.« Seine Entscheidung war schnell gefallen, hastig griff er nach den Geldscheinen. Eva wich ihm geschickt aus, »Ts, ts, ts, so nicht.«

      »O.K., aber wenn des da drin gut is, bekomm ich die 70,- Mäuse.«

      »Aufmachen, dann sehen wir weiter.«

      Nach zähem Ringen gelang es Eva, den Inhalt des Kartons zu sichten, fand noch weitere Feldpostbriefe, einen Füllfederhalter, alte Postkarten und ein angefangenes, im Laufe der Jahre stockig und mit Wasserflecken durchzogenes Tagebuch. Für dieses Sammelsurium war sie bereit, die 70,- Euro zu zahlen und kaufte den Nachlass im Karton.

      Nach einigen Versuchen gelang es ihr, die eigenwillige Handschrift des Verfassers, immer flüssiger zu lesen und deren Inhalt verstehen. Sie fertigte für ihre weiteren Recherchen eine Kopie an, mit genügend Platz, um ihrerseits Notizen einzufügen. Verschiedene Wörter konnte sie nur im Zusammenhang des Satzes erkennen, der Zahn der Zeit hatte sein Übriges getan und teilweise ganze Silben ausgelöscht.

      In den Briefen fand Eva den bereits gehörten Sturmvogel wieder, und weitere Informationen zu den Personen der Vierer Gruppe. Die Namen von Rolf-Kaspar, Albert, Feodor und Ernst sowie andere Details zu ihren Familien unterstrich sie mit einem Textmarker.

      Alberts Frau hatte einen Sohn geboren, Rolf-Kaspars Schwester geheiratet, Ernsts Vater war verstorben und sein Bruder galt als vermisst. Zu Feodor gab es keine weiteren Angaben.

      Sie durchdachte die verschiedensten Möglichkeiten, ›Das Gruselmärchen von der Schling hatte sich aufs Neue bestätigt. Ebenfalls die drei Namen der Gruppe. Wer von ihnen hatte Otto erschlagen oder war es ein gemeinschaftlicher Mord? Was würde ich unternehmen, um ein Geheimnis, beziehungsweise die Lage eines Schatzes zu bewahren, wenn mir der Zugang über sehr viele Jahre verwehrt ist? Hinterlasse ich schriftliche Aufzeichnungen für meine Nachkommen? Welche Maßnahmen ergreife ich, wenn mein fortgeschrittenes Alter die Bergung nicht mehr zulässt? Ab wann bereite ich meine Kinder darauf vor?‹ Dies waren Familiengeheimnisse der besonderen Art und mit Sicherheit gab es weitere davon.

      ›Grabe tief genug und Du findest in jeder Familie eine Leiche im Keller, egal welcher Art‹, hatte Chris immer gesagt, wenn sie sich wunderte, was er alles fand. ›Wie zum Kuckuck hängt der Pilot Paul Wenzel in der Geschichte?! Ordentlich begraben, wie es einem Hauptmann würdig ist.‹

      Eva klappte das muffig riechende Büchlein zu, für heute hatte sie genug Vergangenheit gelesen, Moritz würde sicherlich in der nächsten Stunde zurückkommen und sie wollte einen schönen Nachmittag mit ihm verbringen. Sie vermisste seine leidenschaftlichen Umarmungen und ihr vertrautes Zusammensein sehr. Außerdem brauchte er dringend eine Aufgabe, die ihn forderte, das Bisherige, rein und raus aus den Kartoffeln, machte ihn nur strubbelig im Kopf. Tom hatte sich ebenfalls angesagt, vielleicht besaß er als Mann mehr Einfluss auf ihn. Morgen war auch noch ein Tag, an dem sie wieder in die Kriegs- und Nachkriegsjahre eintauchen konnte.

      Zeitig stand Eva auf, die Morgendämmerung kroch über die Häuser und im Osten verhieß der zarte rosa Schimmer einen sonnigen Tag. Heute hatte sie die Suche nach dem ungewöhnlichen Vornamen Rolf-Kaspar geplant. Mit einer großen dampfenden Tasse voll heißem Früchte Tee nahm sie an ihrem Schreibtisch platz. Irritiert durchblätterte sie die Briefe aus dem Schuhkarton. Das muffig riechende Tagebuch war nicht zu finden, gestern lag es noch ganz oben drauf. Sie stutzte, merkwürdig, nun fand sie es als unteres in dem gesamten Stapel. ›Hatte das Gespräch mit Tom gestern doch nichts gebracht? Schade, ich war überzeugt, er würde sich für sein Buch entscheiden. Lag sein Interesse jetzt doch wieder auf Reportage und er hat deswegen neugierig in meinen Unterlagen gelesen? Warum fragte er mich nicht? Diese Heimlichkeit war neu in seinem Verhalten,‹ überlegte Eva, ›Hat er dies spontan und aus Interesse gemacht oder befand er sich immer noch auf der Suche nach einer Aufgabe?‹ Irritiert schüttelte sie ihren Kopf. ›Ich muss Chris anrufen, ob er bereits etwas ausgegraben oder den Hinweis auf einen Goldfund erhalten hatte.‹

      Der Vorname Rolf-Kaspar war sehr markant. Eva kämpfte sich durchs Internet, hatte zwei verschiedene Treffer im Umkreis von 150 Kilometern, einer davon, quasi direkt vor ihrer Haustür, versprach sehr interessant zu werden und erschien ihr momentan ganz besonders vielversprechend. ›Soll ich Chris noch einschalten, um weitere Informationen zu diesem ungewöhnlichen Namensträger zu erhalten?‹, überlegte sie, ›Nein, erst mal sehen wie das Ergebnis meiner eigenen Suche ausfällt‹, entschied sie.

      Ihr Treffer in Schwalbach erwies sich als korrekt. Hier lebte noch eine Familie Mertens, die den markanten Vornamen weitergegeben hatte. Eva nahm erst einmal telefonischen Kontakt auf, und bevor Frau Mertens am anderen Ende auflegen konnte, schob sie erneut die Dokumentation in den Vordergrund und bat sie um Mithilfe. Das Zögern ihres Gegenübers gab Eva die Chance, näher auf ihr Vorhaben einzugehen und sie bat darum den ehemaligen Soldaten sprechen zu dürfen, falls er noch lebte.

      »Mein Vater ist bereits Anfang 1994 verstorben«, entgegnete sie zurückhaltend.

      »Meine Anteilnahme. Entschuldigen Sie, das habe ich nicht gewusst«, Eva machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach.

      »Vielleicht können Sie mir weiterhelfen, ich suche Zeitzeugen, oder deren Kinder und Enkel, die möglicherweise Geschichten aus diesen Jahren wissen und mir davon erzählen. Es geht mir rein um den Inhalt, ich verwende keine Namen«, versicherte sie. Frau Mertens zögerte, Eva spürte ihren Zwiespalt, »Verzeihen Sie, ich bin eine völlig Fremde am Telefon, die Sie ausfragt, ich kann verstehen, wenn Sie nicht mit mir sprechen möchten, aber vielleicht haben Sie einen Namen oder einen Verein, den ich kontaktieren könnte.« Stille am anderen Ende der Leitung.

      »Hallo? Sind Sie noch dran?«

      Frau Mertens senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, »Warten Sie, verraten Sie auf keinen Fall, das ich Ihnen die Information gegeben habe. Es ist zwar schon alles sehr lange her, aber mein Bruder will nicht, das ich mit jemandem darüber rede. Volker-Kaspar trifft sich immer Mittwochs in der Lindenschänke mit Gleichgesinnten. Sie sind alle die Söhne von Ehemaligen und diskutieren über die unwahrscheinlichsten Zukunftsmodelle, wenn der Krieg anders ausgegangen wäre. Ich glaube dort erhalten Sie die gesuchten Informationen.«

      »Das ist großartig, ich danke Ihnen. Wir Frauen müssen doch zusammenhalten«, blitzschnell überlegte Eva, ob es respektlos wäre Frau Mertens nach vorhandenen Briefen oder Ähnlichem zu fragen. »Verzeihen Sie, ich möchte nicht unverschämt erscheinen aber befinden sich in Ihrem Besitz vielleicht noch Feldpostbriefe oder andere Aufzeichnungen?«

      »Hm, mein Bruder hat seine Hand auf diesen Dingen. Er rückt auch nicht ein Zipfelchen davon raus, geradeso als wäre es der Heilige Gral.« Jetzt kam sie richtig in Fahrt, vergaß alle Vorsicht und die Angst vor ihrem Bruder. »Immer wieder sage ich ihm, er solle endlich die Vergangenheit ruhen lassen, der Krieg ist über 70 Jahre her, du bist 67 und wir leben heute im Jahr 2017. Lass‘ los und geb‘ letztendlich Ruhe. Begrab‘ die Geister der alten Zeit.« Der Damm war gebrochen, es war unmöglich, ihren ausgelösten Redefluss zu unterbrechen, Eva sagte lediglich, »Ja, aha, Hm, Ach?«

      »Reicht es nicht, dass Vater bei einem seiner nächtlichen Streifzüge auf dem ehemaligen Flugplatz zu Tode gestürzt ist? Willst du genau wie er an den alten und verfluchten Geschichten festhalten? Doch was macht mein sauberer Herr Bruder? Geht jeden Mittwoch in die Lindenschänke und bespricht die große Politik, was wäre wenn. Sagt mir, ich hätte eh keine Ahnung und sei zu einfältig, um die Bedeutung und die Wichtigkeit begreifen zu können. Diese Art Wissen würde nur vom Vater auf den Sohn weitergegeben. Nur wenn kein Sohn mehr zur Verfügung stünde, müsste bedauerlicherweise eine Tochter eingeweiht werden. Ich solle mich lieber um meinen Weiberkram kümmern und ihm als Mann die Entscheidungen überlassen. Pah, was er sich einbildet. Ungeheuerlich, anmaßend und wie vor 160 Jahren, gerade so als hätten wir Frauen heute nix zu sagen.«

      Eva wurde hellhörig, sie war auf der richtigen Spur. Frau Mertens lieferte unwissentlich

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