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Читать онлайн.»Wird aber auch Zeit! Wo bleibst du so lange?«, murrte Agnes.
Elli ließ sich auf den Steinblock neben ihr fallen und atmete geräuschvoll aus. »AchGottachGott Agnes, du weißt, wie schwer’s ist, mich aus’m Haus zu stehlen! Kaum von Herwarts da, muss ich in die Schankstube!«
Sie konnte es nicht leiden, wenn Elli ihr widersprach.
»Soll ich dich jetzt bemitleiden? Ist doch nur ein Katzensprung von eurer stinkenden Schenke hierher!«
Die Schildwirtschaft Zum Zoller, geführt von Ellis Vater, lag neben dem westlichen Zollhaus, gegenüber vom unteren Freihof.
»Nun sag schon, wo ist Friedgard?!«
»Weiß ich’s?«
»Sie suchen ihn den ganzen Tag!«
»Und?«
Dumme dumme Elli! Nie würde die das begreifen, nie! Das Kribbeln in ihrer Magengrube war nicht auszuhalten. »War er zum Mittagsmahl zu Hause?«
Elli zuckte nur die Schultern.
Agnes war versucht, diese Kuh zu packen und zu schütteln. Sie bezähmte sich und rieb sich stattdessen über die engen weißen Ärmel ihrer Schaube.
»Der Baumann musste genäht werden«, wechselte Elli aufgeregt zum Tagesgespräch. »Der war bis Mittag nicht bei sich, aber überleben wird er’s, sagen sie.«
»Weiß ich!«, fauchte Agnes. »Mein Vater hat den Gäßler kommen lassen und ihn zur Sau gemacht, weil er nicht richtig achtgegeben und den Baumann nicht gefunden hat.«
»Pah! Das Fass auf zwei Beinen. Der gibt sich in der Schankstube wieder mal die Kanne. Ich ekle mich vor dem mit seinem zerfransten Bart, der aussieht wie toter Fuchs.«
Agnes mochte Gäßler ebenfalls nicht. Keine zwei Stunden zuvor hatte er bei ihnen in der Stube gestanden, gerade als sie mit dem Mittagsmahl fertig waren. Verschlafen und nach Bier stinkend hatte er ihres Vaters Zorn über sich ergehen lassen müssen. Geschah ihm recht! Ihr Vater hatte sie hinausgescheucht, aber sie war draußen vor der Tür stehen geblieben in der Hoffnung, etwas über Friedgard zu hören.
Wenn sich ihr Vater nur dazu verstehen wollte, mit Friedgards Vater zu sprechen. Sie hatte schon einige Male Andeutungen gemacht, aber ihr Vater ging einfach nicht darauf ein. Er mochte Heinrich Herwart nicht. Sie wusste nicht, wie sie es anstellen sollte, die beiden wegen Heiratsverhandlungen an einen Tisch zu bekommen. Ein weiteres Kümmernis neben jenem, dass Friedgard sich ihr gegenüber so zögerlich verhielt. Er grüßte, er plauderte mit ihr, wenn sie sich nach dem Kirchgang trafen, aber sonst?
»Der Überfall auf Baumann ist das Gespräch, kannst dir ja denken!«, erklärte Elli und guckte wichtig. »Der Gäßler sagt …« Sie sprach nicht weiter. Tat so, als müsse sie an ihrer fleckigen Schürze etwas richten.
Agnes ärgerte sich darüber. Elli wollte, dass sie fragte. Aber das würde sie nicht. »Sag’s mir oder lass es!«, schnaubte sie.
Elli nahm’s ihr krumm. Sie zog eine beleidigte Schnute und zuckte die Schultern. »Wenn du nicht wissen willst, was er über die Heilmännin sagt«, meinte sie schnippisch.
Die Heilmännin? Was hatte die schon wieder damit zu tun? Agnes suchte in ihrer Erinnerung nach dem, was Gäßler und ihr Vater geredet hatten. Gäßler beteuerte, der Lehrer habe noch nicht da gelegen, als er auf seiner letzten Runde am Ortsausgang nach Reilingen längs gekommen sei. Wie bemüht er gewesen war, zu zeigen, dass er sich keiner Nachlässigkeit schuldig gemacht hatte! Pah! Dieser Holzkopf. Ihr Vater hatte Gäßler befohlen, zukünftig die Augen besser aufzusperren und ihm alles zu berichten, was ihm zu Ohren käme. Und die Finger von zu viel Bier zu lassen. Was noch? Dass er die Schöffen informieren musste. Durch Baumanns Verletzung ging man von einem Überfall aus, auch wenn der Lehrer bis zum Mittag noch nichts zum Hergang hatte äußern können, da er noch immer nicht recht bei Bewusstsein war. All das hatte sie gehört, und sie war gespannt, was Baumann aussagen mochte, wenn er zu sich kam. Als ihres Vaters Weib nach ihr rief, musste sie das Lauschen aufgeben und in der Küche mithelfen. Sie hörte nur noch, wie sich Gäßlers Stimme veränderte und er ungewohnt selbstsicher etwas erklärte, das sie nicht mehr verstand.
Elli machte Anstalten, aufzustehen. »Hab mir die Zeit jetzt sowieso gestohlen und wenn ich keine Abreibung will, sollt ich besser heim.«
Der Trotz in Ellis Stimme war Agnes unerträglich. Sie biss sich auf die Unterlippe und kickte die Fersen gegen den Stein. Was auch immer die Heilmännin damit zu schaffen hatte – sie würde es herausbekommen, auch ohne Elli. Sollte sie doch gehen.
Elli war aufgestanden und starrte auf sie herab. Agnes spürte den Blick auf sich obwohl sie nicht aufsah. Der Drang, nach dem Dolch zu greifen, riss an ihr, zusammen mit jenem, Elli zu schlagen.
»Agnes?«
Elli setzte sich wieder.
»Komm, jetzt schau nicht so böse. Ich mein’s ja nicht so. Agnes?«
Agnes hörte das ängstliche Zittern in Ellis Stimme und Befriedigung durchrieselte sie. Noch immer sah sie sie nicht an. Ein Bild kam in ihr auf. In ihrer Vorstellung zog sie den Dolch, hantierte damit vor Ellis schreckgeweiteten Augen, ritzte sie, ein wenig hier, dann dort … und Elli flehte sie an, damit aufzuhören, nie wieder wolle sie ihr widersprechen, immer ihr zu Willen sein, wenn sie nur aufhörte. Aber sie würde nicht aufhören!
Da spürte sie Blut auf den Lippen, ein süßer, metallener Geschmack, und Ellis Hand, die sich vorsichtig auf ihren Arm legte. Sie sah auf.
»Agnes!« Elli wollte unbedarft klingen, aber Agnes hörte ihre Furcht. Das befriedigte sie.
»Hast dir auf die Lippe gebissen. Hier – wisch’s ab.« Sie reichte ihr ihren Schürzenzipfel.
Agnes wischte Ellis Hand beiseite und leckte mit der Zunge über die Unterlippe. Dann zog sie ein Gesicht, dass Elli erleichtert auflachte. »Erschreckst mich immer so! Jetzt hör aber zu, ich muss mich wirklich eilen.«
»Rede halt.« Und sie zog den Dolch aus der Scheide an ihrem Gürtel und hielt ihn Elli unter die Nase. Die zuckte davor zurück und war erneut verunsichert. Agnes lächelte, als sie den Dolch mit einer gekonnten Bewegung aus dem Handgelenk heraus in die Luft warf, der Dolch sich drehte und sie ihn nicht am Griff, sondern an der Schneide wieder auffing.
Elli schlug beide Hände vor den Mund. »AchGottachGott Agnes!«
Sie hielt ihr den Griff hin, langsam begriff Elli. »Ach, das ist er? Du hast ihn machen lassen?« Vorsichtig fuhr sie mit dem Finger das U nach, das die rot-silber unterteilten Büffelhörner bildeten, die oberhalb des Wappenschildes aus roten und grünen Federbüschen erwuchsen. Innerhalb des U’s ragte eine kleine grüne Tanne empor und auch diese berührte Elli voll Ehrfurcht.
Agnes war stolz auf das Zahnsche Familienwappen, das ihr Urgroßvater Balthasar Zahn, der ebenfalls Zentgraf gewesen war, anlässlich der Geburt seines Sohnes, des Vaters ihres Vaters, im Jahre 1500 hatte anfertigen lassen. Niemand sonst in Hockenheim besaß ein Familienwappen! Es zierte als Stickerei des Vaters besten Umhang, es zierte einen Wandteppich, der im Vorraum ihres Hauses, des oberen Freihofs, hing.
Und jetzt zierte es den Griff ihres neuen Dolches! Sie steckte ihn zurück in die Scheide. Dann leckte sie die Blutströpfchen ab, die sie sich beim Fangen der scharfen Schneide zugezogen hatte, und lächelte Elli an.
»Schön geworden!«, beeilte diese sich zu sagen. »Und der alte?«
Agnes zuckte die Schultern. »Was ist jetzt mit der Heilmännin?« Sie fühlte sich besser. Vielleicht, so überlegte sie, konnte sie später vorgeben, um Baumann besorgt zu sein und mit etwas Suppe oder Wein zu ihm gehen? Möglicherweise traf sie Friedgard dort oder hörte etwas von ihm. Der Einfall gefiel ihr.
»Rede endlich!«
Elli wollte ihre Macht auskosten,