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      »Ist er ein Narr geworden? schrie der Professor.

      – Was gibt’s denn? sagte ich endlich, als ich wieder zu mir kam.

      – Bist Du krank?

      – Nein, ich war einen Augenblick in Traumgesichte verloren, jetzt ist’s vorüber. Sonst geht alles gut?

      – Ja! Guter Wind, gutes Meer! Wir gleiten rasch voran, und irre ich nicht in meiner Schätzung, so müssen wir bald landen.«

      Bei diesen Worten stand ich auf, forschte am Horizont; aber die Linie des Wassers vermischte sich stets mit der des Gewölbes.

      Dreiunddreißigstes Kapitel

      Ein Riesenkampf

      Samstag, 15. August. – Das Meer ist fortwährend einförmig. Kein Land in Sicht. Der Horizont scheint sehr zurückgewichen.

      Der Kopf ist mir noch schwer von meinem gewaltigen Traum.

      Mein Oheim hat nicht geträumt, aber er ist übler Laune. Er blickt mit seinem Fernrohr in allen Richtungen und kreuzt die Arme mit verdrießlicher Miene.

      Ich bemerke, daß der Professor Lidenbrock dazu neigt, wieder der ungeduldige Mann, wie vormals, zu werden, und zeichne die Tatsache auf. Es hatte meiner Gefahren und Leiden bedurft, um ihm einige Funken Menschlichkeit zu entlocken; aber seit meiner Genesung ist er wieder der Alte.

      »Sie scheinen unruhig, lieber Oheim? sagte ich, da ich ihn oft das Fernrohr vor die Augen halten sah.

      – Unruhig? Nein.

      – Also ungeduldig.

      – Man könnte es wenigstens sein.

      – Doch fahren wir so schnell …

      – Gleichviel. Nicht die Schnelligkeit ist zu gering, sondern das Meer zu groß!«

      Nun erinnerte ich mich, daß der Professor vor unserer Abfahrt die Länge dieses unterirdischen Meeres auf dreihundert Kilometer geschätzt hatte. Aber wir hatten bereits einen dreimal so langen Weg gemacht, und die südlichen Ufer waren noch nicht zu sehen.

      »Wir kommen damit nicht abwärts! fuhr der Professor fort. Das ist nur Zeit verloren, und, kurz, ich bin nicht so weit hergekommen, um eine Vergnügungsfahrt auf einem Teich zu machen!«

      Er nannte also diese Überfahrt eine Vergnügungspartie und dies Meer einen Teich.

      »Aber, sagte ich, da wir den von Saknussemm angegebenen Weg eingeschlagen haben …

      – Das ist die Frage. Sind wir auf diesem Weg geblieben? Hat Saknussemm diese Wasserfläche angetroffen? Ist er darüber gefahren? Hat uns nicht der Bach, welchen wir zum Führer nahmen, völlig irre geführt?

      – Jedenfalls haben wir nicht zu bedauern, daß wir so weit gekommen sind. Das ist ein prachtvolles Schauspiel, und …

      – Um das Schauen handelt sich’s nicht. Ich habe mir einen Zweck vorgesteckt, und ich will ihn erreichen! Also sprich mir nicht von bewundern!«

      Ich ließ mir’s gesagt sein, und kümmerte mich nicht darum, daß der Professor sich vor Ungeduld die Lippen zerbiß. Um sechs Uhr Abends forderte Hans seinen Lohn, und seine drei Reichsthaler wurden ihm ausgezahlt.

      Sonntag, 16. August. – Nichts Neues. Gleiches Wetter. Der Wind wird etwas frischer. Beim Erwachen ist meine erste Sorge, die Stärke des Lichtes zu konstatieren. Ich besorge stets, die elektrische Erscheinung möge dunkler werden, dann verlöschen. Kein Grund dazu. Der Schatten des Floßes ist auf der Wasserfläche klar gezeichnet.

      Wahrhaftig, dieses Meer ist unendlich groß! Es muß so breit als das Mittelländische, oder gar Atlantische sein. Warum nicht?

      Mein Oheim sondiert öfters. Er befestigt eine der schwersten Spitzhauen ans Ende eines Strickes und läßt ihn zweihundert Klafter tief hinab. Kein Grund. Es kostet viel Mühe, die Sonde wieder herauf zu bekommen.

      Als die Haue wieder herauskam, macht mir Hans bemerklich, wie sich auf derselben stark eingedrückte Stellen befanden. Man konnte meinen, das Stück Eisen sei zwischen zwei harten Körpern stark eingeklemmt gewesen.

      Ich sah den Jäger an.

      »Tänder!« sprach er.

      Ich verstand ihn nicht, wendete mich an meinen Oheim, der ganz in Betrachtungen versunken war. Ich mochte ihn nicht stören, wendete mich daher wieder zu dem Isländer. Dieser machte mir durch wiederholtes Öffnen und Schließen seines Mundes begreiflich, was er meinte.

      »Zähne!« sagte ich mit Bestürzung, als ich achtsamer das Stück Eisen betrachtete.

      Ja wohl! Es sind die Spuren von Zähnen dem Metall eingedrückt! Die Kinnbacken, worin dieselben stecken, müssen ausnehmend stark sein! Tief unten da treibt sich wohl ein Ungeheuer von den untergegangenen Gattungen um, gefräßiger als der Haifisch, fürchterlicher als der Walfisch. Ich kann meinen Blick von dem halb zerfressenen Stück Eisen nicht wegwenden. Soll mein Traum der letzten Nacht sich verwirklichen?

      Diese Gedanken peinigen mich den ganzen Tag, und meine Phantasie kann sich kaum in einem mehrstündigen Schlaf beruhigen.

      Montag, 17. August. Ich suche mir die eigentümlichen Instinkte dieser vorsündflutigen Tiere wieder zum Bewußtsein zu bringen, welche auf die Weichtiere, Schaltiere und Fische folgend, dem Auftreten der Säugetiere vorausgingen. Die Welt gehörte damals den Reptilien. Diese Ungeheuer beherrschten die Meere der zweiten Epoche. Die Natur hatte ihnen die vollständigste Organisation verliehen. Welch’ riesenhafter Bau! Welche wunderhafte Kraft! Die größten und furchtbarsten der gegenwärtigen Saurier, Alligatore oder Krokodile sind doch nur schwache Nachbilder ihrer Ahnen der Urzeit!

      Ich schaudere bei dem Gedanken, daß ich diese Ungeheuer heraufbeschwöre. Kein menschliches Auge hat sie lebend gesehen. Sie erscheinen tausend Jahrhunderte vor dem Menschen auf der Erde; aber aus ihren fossilen Knochen, die man in dem tonigen Kalkstein, welchen die Engländer Lias nennen, wieder auffand, ist es möglich gewesen, sie anatomisch wieder herzustellen und ihren riesenhaften Bau kennen zu lernen.

      Ich habe im Museum zu Hamburg das Skelet eines dieser Saurier gesehen, welches dreißig Fuß lang war. Trifft etwa mich, den Erdbewohner, das Los, einen der Repräsentanten einer vorsündflutigen Familie vor mir zu sehen? Nein, unmöglich! Doch sind die starken Zähne desselben auf das Eisen eingegraben, und an ihrem Abdruck erkenne ich, daß sie konisch sind, gleich denen des Krokodils.

      Mit Schrecken sind meine Augen auf das Meer gerichtet. Ich habe Angst, es möge ein solcher Bewohner der unterseeischen Höhlen aus demselben hervortauchen.

      Ich vermute, daß der Professor Lidenbrock meine Gedanken, wenn auch nicht meine Besorgnisse teilt, denn nachdem er die Haue untersucht, schweift sein Blick über den Ozean.

      »Verflucht, sagte ich bei mir selbst, daß er den Gedanken hatte, zu sondieren! Er hat ein oder das andere Tier aus seiner Ruhestätte aufgestört, und wenn wir nicht während der Fahrt angegriffen werden! …«

      Mit einem Blick auf die Waffen versichere ich mich, daß sie in gutem Zustand sind. Mein Oheim sieht’s und gibt seine Billigung zu erkennen.

      Bereits zeigen weit reichende Bewegungen der Oberfläche des Wassers, daß die tieferen Schichten beunruhigt sind. Die Gefahr ist nahe. Es gilt zu wachen.

      Dienstag, 18. August. Es naht der Abend, oder vielmehr die Zeit, wo der Schlaf auf unsere Augenlider drückt, denn auf diesem Ozean gibt’s keine Nacht, und das unversöhnliche Licht ermüdet unablässig unsere Augen, als wenn wir unter der Sonne des nördlichen Eismeeres führen. Hans steht am Steuer, und während er wacht, schlafe ich.

      Zwei Stunden hernach weckt mich eine fürchterliche Erschütterung. Das Floß wird mit unbeschreiblicher Gewalt emporgehoben und zwanzig Toisen weggeschleudert.

      »Was gibt’s? rief mein Oheim. Sind wir aufgefahren?«

      Hans

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