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Gesammelte Erzählungen. Jules Verne
Читать онлайн.Название Gesammelte Erzählungen
Год выпуска 0
isbn 9783958555143
Автор произведения Jules Verne
Жанр Триллеры
Издательство Readbox publishing GmbH
– Sei ruhig, Axel, ich stehe Dir dafür, daß wir Wasser finden werden, und mehr als uns lieb sein wird.
– Wann?
– Wenn wir aus diesen Lavaschichten heraus sind. Wie ist’s möglich, daß Quellen durch diese Wände dringen?
– Aber vielleicht zieht sich dieser Gang bis zu großen Tiefen hin. Es scheint mir, wir sind senkrecht noch nicht so tief hinab gekommen.
– Worauf stützest Du diese Voraussetzung?
– Weil, wenn wir innerhalb der Erdrinde weit vorwärts gekommen wären, die Wärme stärker wäre.
– Nach Deinem System, erwiderte mein Oheim. Was zeigt der Thermometer?
– Kaum fünfzehn Grad, also nur einen Grad mehr seit unserer Abreise.
– Nun folgere.
– Ich folgere also. Nach den genauesten Beobachtungen beträgt die Steigerung der Temperatur im Innern der Erde einen Grad auf hundert Fuß. Aber diese Ziffer kann wohl unter gewissen Bedingungen der Örtlichkeit sich ändern. So hat man zu Jakutzk in Sibirien wahrgenommen, daß die Steigerung um einen Grad schon bei sechsunddreißig Fuß stattfand. Dieser Unterschied hängt offenbar von der Leitfähigkeit der Felsen ab. Ich füge ferner bei, daß man in der Nähe eines erloschenen Vulkans und durch den Gneis wahrgenommen hat, daß die Steigerung der Temperatur nur bei hundertfünfunddreißig Fuß einen Grad betrug. Halten wir uns nun an diese letztere Annahme, die sich am günstigsten ausspricht, und rechnen wir.
– Rechne nur, lieber Junge.
– Das ist nicht schwer, sagte ich, und schrieb die Ziffern in mein Notizbuch. Neun mal hundertfünfundzwanzig Fuß machen elfhundertfünfundzwanzig Fuß Tiefe.
– Sehr genau ausgerechnet.
– Nun?
– Nun, nach meinen Beobachtungen befinden wir uns nun zehntausend Fuß unter dem Meeresspiegel.
– Ist’s möglich?
– Ja, oder die Ziffern gelten nicht mehr!«
Des Professors Berechnung stand richtig. Wir waren bereits um sechstausend Fuß tiefer gekommen, als bisher den Menschen gelungen war, zum Beispiel in den Gruben zu Kitz-Bühel in Tyrol und zu Kuttenberg in Böhmen.
Die Temperatur, welche an dieser Stelle einundachtzig Grad hätte betragen sollen, betrug kaum fünfzehn. Das gab sonderlich Stoff zum Nachdenken.
Neunzehntes Kapitel
Auf dem Irrweg
Am folgenden Tag, Dienstags, 30. Juni, um sechs Uhr, setzten wir die Reise fort.
Wir folgten stets der Lavagalerie, welche in mäßigem Fall abwärts führte, wie die geneigten Flächen, die noch in manchen alten Häusern sich an Stelle der Treppen finden. So ging’s bis zwölf Uhr siebenzehn Minuten, als wir Hans, der stehen geblieben war, einholten.
»Ah! rief mein Oheim aus, da sind wir ja am Ende des Ganges!«
Ich sah mich um. Wir befanden uns mitten auf einem Kreuzweg, wo zwei Wege mündeten, beide düster und enge. Welchen sollten wir einschlagen?
Mein Oheim, welcher vor mir und dem Führer nicht den Anschein haben wollte, als schwanke er, bezeichnete den östlichen Tunnel, und alsbald gingen wir in denselben hinein. Übrigens würde jede Unschlüssigkeit bezüglich dieses Weges sehr lange gedauert haben, denn es war kein Anzeichen vorhanden, welches die Wahl des einen oder des andern bestimmen konnte; wir mußten uns ganz dem Zufall anheim geben.
Diese neue Galerie hatte kaum merkbaren Fall, und sehr ungleichen Durchschnitt. Mitunter hatten wir eine Reihe von Gewölbebogen vor uns, die dem Nebenschiff einer gotischen Kathedrale glichen. Die Baukünstler des Mittelalters hätten da alle Formen der religiösen Architektur, welche aus dem Spitzbogen sich entwickelt hat, studieren können. Eine Meile weiter hatten wir unter den gedrückten Bogen des romanischen Styls den Kopf zu beugen, und mächtige Pfeiler in den Grundmauern stützten die Gewölbe mit ihren Unterlagen. An manchen Stellen sah man statt ihrer niedrige Unterbauten, die den Werken der Biber glichen, und wir glitten durch enge Gänge kriechend hinab.
Die Wärme hielt sich stets auf einem erträglichen Höhegrad. Unwillkürlich verglich ich damit, wie unendlich stark dieselbe gewesen, als die vom Snäfields ausgeworfenen Lavaströme auf diesem jetzt so ruhigen Weg durchbrachen. Ich dachte mir, wie an den Ecken der Galerie die Feuerströme sich brachen, und in diesem engen Raum die übermäßig heißen Dämpfe sich häuften.
»Wenn es nur, dachte ich, dem alten Vulkan nicht wieder einfällt, loszubrechen!«
Gegen meinen Oheim sprach ich diesen Gedanken nicht aus; er hätte ihn nicht begriffen. Sein einziger Gedanke war: Vorwärtsdringen. Er ging, rutschte, purzelte mit einer Überzeugung, die man doch bewundern mußte.
Um sechs Uhr Abends waren wir, wenig ermüdet, 3 Kilometer südlich vorwärts gekommen, aber in die Tiefe kaum eine Viertelmeile.
Mein Oheim gab das Zeichen zum Ausruhen. Wir aßen, ohne viel zu reden, und schliefen, ohne uns allzuviel Gedanken zu machen.
Unsere Einrichtung für die Nacht war sehr einfach; unser ganzes Bett bestand in einer Reisedecke, womit man sich umhüllte. Wir hatten weder Kälte, noch Belästigung durch einen Besuch zu fürchten. In den Wüsten Afrikas, in den Waldungen der neuen Welt sind die Reisenden genötigt, während des Schlafs sich einander Wache zu halten. Hier dagegen vollständige Einsamkeit, vollkommene Sicherheit. Weder Wilde, noch reißende Tiere waren zu fürchten.
Den andern Morgen setzten wir frisch und rüstig die Reise fort. Wir hatten denselben Lavagrund, wie Tags zuvor; die Beschaffenheit des Erdreichs, welches sie umgab, war unmöglich zu erkennen. Der Tunnel aber zog sich nicht mehr tiefer hinab, sondern ward allmälig ganz horizontal; ja ich glaubte zu bemerken, er führe wieder aufwärts, der Erdoberfläche zu. Gegen zehn Uhr Vormittags zeigte sich dies ganz offenbar; das Gehen wurde ermüdend, und ich mußte schon meinen Schritt mäßigen.
»Nun, Axel? sagte der Professor ungeduldig.
– Nun, ich kann nicht rascher, erwiderte ich.
– Wie? Nach drei Stunden auf einem so leichten Weg!
– Leicht, will ich nicht in Abrede stellen, aber doch ermüdend.
– Wie? Wir gehen ja nur abwärts!
– Aufwärts, erlauben Sie!
– Aufwärts! sagte mein Oheim, und zuckte die Achseln.
– Allerdings. Seit einer halben Stunde hat sich die Neigung des Weges geändert, und wenn’s so fortgeht, kommen wir sicherlich wieder auf die Oberfläche.«
Der Professor schüttelte den Kopf, da er sich nicht überzeugen lassen wollte. Ich brachte von Neuem die Rede darauf, er gab mir aber keine Antwort. Ich sah wohl, daß sein Schweigen nur von übler Laune herrührte.
Inzwischen hatte ich meinen Bündel wieder auf den Rücken genommen, und folgte eilig Hans nach, der vor meinem Oheim her ging. Es war mir darum zu tun, daß ich nicht zurück blieb; und meine Hauptsorge war, daß ich meine Gefährten nicht aus den Augen verlöre. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß ich mich in den Tiefen dieses Labyrinths verirren könne.
Übrigens, wenn der nun aufwärts führende Weg ermüdender war, so tröstete ich mich darüber mit dem Gedanken, daß uns derselbe der Erdoberfläche näher brachte. Darin lag eine Hoffnung. Jeder Schritt bestätigte es, und ich erquickte mich schon bei dem Gedanken, mein liebes Gretchen wieder zu sehen.
Zur Mittagszeit gewährten die Wände der Galerie einen andern Anblick. Ich merkte es an der schwächeren Rückstrahlung des elektrischen Lichts. An Stelle der Lavaverkleidung trat jetzt das lebendige Gestein. Der Grundstock bestand aus geneigten, oft vertikal geordneten Schichten. Wir befanden uns mitten in der Übergangsepoche, in der silurischen Periode.