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bückte sich, und Oliver hörte eine Klingel. Sie gingen nun auf die andere Seite der Straße und stellten sich für einen Augenblick unter eine Laterne. Jetzt wurde geräuschlos die Haustür geöffnet, und Sikes packte Oliver ohne weitere Umstände am Kragen. In einer Sekunde befanden sich alle drei im Innern des Hauses. Sie warteten im dunklen Hausflur, bis die Person, die sie eingelassen, die Tür wieder verschlossen und verriegelt hatte.

      „Ist jemand hier?“ fragte Sikes.

      „Nein“, antwortete eine Stimme, die Oliver schon früher gehört zu haben glaubte.

      „Ist der Alte da?“ fuhr der Spitzbube fort.

      „Ja“, entgegnete die Stimme, „er geht aber mächtig sparsam mit seinen Worten um. Glaube nicht, daß er sehr erfreut ist, Sie zu sehen. Sicher nicht.“

      „Bring eine Funzel!“, sagte Sikes, „sonst brechen wir uns noch den Hals oder treten den Hund, und das ist gefährlich.“

      „Einen Augenblick, werde sofort Licht bringen“, erwiderte eine Stimme. Nach einer Minute zeigte sich die Gestalt des Herrn John Dawkins, sonst auch der Gannef geheißen, in der rechten Hand eine brennende Kerze haltend. Der junge Herr gab Oliver kein anderes Zeichen des Wiedererkennens als ein höhnisches Grinsen, dann winkte er den Dreien, ihm zu folgen. Sie kamen durch eine leere Küche, und als sie die Tür eines niedrigen, dumpfen Gemaches öffneten, wurden sie mit einem schallenden Gelächter empfangen.

      „Wer kommt denn da?“ brüllte Karl Bates, indem er sich vor Lachen die Seiten hielt. „Das ist er ja. Gucken Sie ihn an, Fagin. Sehen Sie ihn sich bloß mal an. Das ist ein Hauptspaß! Ich kann nicht mehr! Ich sterbe vor Lachen!“ Damit legte er sich der Länge nach mit dem Rücken auf die Erde und strampelte minutenlang mit den Beinen. Dann sprang er auf, entriß dem Gannef die Kerze, und beleuchtete Oliver von allen Seiten. Zu gleicher Zeit machte der Jude, seine Nachtmütze abnehmend, unserm verwirrten Helden tiefe Verbeugungen. Der Gannef, ernster veranlagt und beim Geschäft keinen Spaß kennend, durchsuchte inzwischen eifrig Olivers Taschen.

      „Ein vornehmer Herr“, sagte Bates. „Sehen Sie sich nur seine Klamotten an. Das feinste Tuch und der modernste Schnitt, Fagin! Und dann noch seine Bücher!“

      „Entzückt Sie so wohl zu sehen, mein Herr“,. begann der Jude, indem er sich mit ironischer Höflichkeit vor Oliver verbeugte. Der Gannef wird Ihnen geben einen, anderen Anzug, damit Sie sich nicht gleich verderben Ihren Sonntagsstaat. Warum haben Sie uns nicht geschrieben, daß Sie kommen würden? Wir hätten Ihnen dann etwas Warmes zum Abendessen aufgehoben.“

      Karl Bates begann aufs neue – und zwar so unbändig zu lachen, daß auch Fagin sein Gesicht verzog und sogar der Gannef lächelte. Da aber dieser in jenem Augenblick die Fünfpfundnote aus Olivers Tasche zog, so ist es zweifelhaft, ob die Lustigkeit seines Kameraden oder der wichtige Fund sein Lächeln hervorrief.

      „Hallo, was ist, das?“ fragte Sikes vortretend, als der Jude die Banknote ergriff. „Das ist mein, Fagin!“

      „Nein, mein“, sagte der Jude, „mein ist es. Ihr könnt die Bücher haben!“

      „Wenn ich, das heißt, wenn ich und Nancy nicht die Fünfpfundnote kriegen“, sagte Sikes ganz energisch und setzte sich seinen Hut auf, „so nehme ich den Jungen wieder mit.“

      Der Jude und Oliver fuhren zusammen, aber aus ganz verschiedenen Gründen. Hoffte doch letzterer, der Streit möchte damit endigen, daß er wieder zurückgebracht würde.

      „Schnell, rück raus! Was, du willst es nicht hergeben?“, schrie Sikes.

      „Es ist ungerecht, Sikes, nicht wahr, Nancy, er ist ungerecht?“ versetzte Fagin.

      „Gerecht oder ungerecht! Gib her“, damit riß Sikes dem Juden die Banknote aus den Fingern. Er faltete sie zusammen und knüpfte sie in seine Halsbinde.

      „Das ist für unsere Mühe“, fuhr Sikes fort, „und wenig genug. Du kannst meinetwegen die Bücher behalten und darin lesen, wenn du Lust hast. Oder kannst sie auch verkaufen.“

      „Sie gehören dem alten Herrn“, sagte Oliver händeringend, „dem guten, alten Herrn, der mich in sein Haus nahm und mich pflegte, als ich todkrank daniederlag. Ach, bitte, schicken Sie es ihm zurück, schicken Sie ihm Geld und Bücher zurück. Behalten Sie mich mein Leben lang hier, aber geben Sie ihm sein Eigentum wieder. Er wird sonst glauben, ich hätte ihn bestohlen; die alte Dame und alle anderen, die so gut zu mir waren, werden denken, ich sei ein Dieb. Oh, haben Sie Mitleid mit mir und senden Sie Bücher und Geld zurück.“

      Mit diesen Worten fiel Oliver vor dem Juden auf die Knie und rang verzweiflungsvoll die Hände.

      „Der Junge hat recht“, sprach Fagin, sich im Kreise umsehend. „Man wird dich allerdings für den Dieb halten, Oliver. Ha! ha! ha! – “, kicherte der Jude. „Einen besseren Zeitpunkt hätten wir gar nicht wählen können.“

      „Stimmt“, sagte Sikes. „Ich wußte das, als ich ihn mit den Büchern herankommen sah. Jetzt ist alles in schönster Ordnung.“

      Oliver hatte wie ein Unzurechnungsfähiger während dieses Gespräches von dem einen Sprecher auf den anderen gesehen, er war sich nicht im geringsten darüber klar, was um ihn vorging. Plötzlich stürzte er aus dem Zimmer und rief laut und flehentlich um Hilfe. Das ganze Haus hallte von seinem Geschrei wider. „Halt den Hund zurück, Bill!“ kreischte Nancy und schloß die Tür, durch die der Jude mit seinen beiden Zöglingen eben Oliver nachgeeilt war. „Halt den Hund zurück, er wird sonst den Jungen in Stücke reißen.“

      „Geschieht ihm recht“, brüllte Sikes und suchte sich den Händen des Mädchens zu entwinden. „Laß mich los, oder ich schmeiß’ dich an die Wand.“

      „Mir gleich,“ schrie Nancy in heftigem Ringen mit dem Manne, „das Kind soll nicht vom Hunde zerrissen werden, da mußt du mich erst kaltmachen.“

      „Das kann dir leicht passieren, wenn du mich nicht los läßt“, knirschte Sikes und schleuderte das Mädchen in eine Ecke des Zimmers. In diesem Augenblick kam der Jude mit seinen beiden Zöglingen zurück, die Oliver nachzerrten.

      „Was ist denn hier, los?“ fragte der Jude sich umblickend.

      „Das Weib ist verrückt geworden, glaub’ ich“, erwiderte Sikes wütend.

      „Durchaus nicht“, rief Nancy blaß und atemlos von dem Kampf. „Glauben Sie das ja nicht Fagin.“

      „Dann halte den Mund“, schrie der Jude drohend.

      „Habe ich nicht nötig“, kreischte Nancy, “Was sagst du nun?“

      Fagin schien es im gegenwärtigen Augenblick nicht geraten, sich in einen weiteren Wortwechsel mit ihr einzulassen. Er wandte sich deshalb an Oliver: „Du wolltest also fortlaufen, mein Lieber“, dabei nahm er einen Knotenstock, der am Kamin lag, in die Hand. „Wolltest um Hilfe rufen, zur Polizei gehen! Das wollen wir dir austreiben.“ Hier packte er den Jungen und schlug ihn mit dem Stock über den Rücken. Als er zum zweiten Male ausholen wollte, eilte Nancy herbei und entwand den Stock seinen Händen. Sie schleuderte ihn in den Kamin, daß die Funken nur so im Zimmer herumflogen.

      „Ich dulde es nicht“, schrie sie und stampfte mit dem Fuß zornig auf den Boden. „Ihr habt den Jungen, was wollt ihr mehr. Laßt ihn zufrieden, oder ich tue euch was an, selbst wenn es mich vor der Zeit an den Galgen bringen sollte.“

      „Ach, Nancy!“ sagte der Jude beschwichtigend nach einer Pause, während der er und Sikes sich verblüfft angeguckt hatten. „Sie spielen heute abend Ihre Rolle besser als je.“

      „Wirklich?“ versetzte das Mädchen, „nehmt euch in acht, daß ich euch nicht tatsächlich mal was vorspiele. Das wäre schlimm für euch. Ich sage euch das rechtzeitig, damit ihr euch vorseht.“

      „Was soll das heißen?“ tobte Sikes und stieß eine Flut von Verwünschungen gegen sie aus. „Der Teufel soll dich holen! Du hast wohl vergessen, wer du bist und was du bist?“

      „O nein, ich weiß das ganz

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