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damit andere aus. Doch jeder Mensch ist ein komplexes, in sich widersprüchliches und sich entwickelndes Ganzes. So ist er Körper, Seele, Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Geist (im engeren Sinn des Wortes) zugleich und entfaltet sich, teils durch die Gegebenheiten seiner allgemeinen und besonderen Natur, teils durch besondere soziale, kulturelle und historische Umstände, in denen er lebt und aufwächst, teils aber auch durch den eigenen Willen, die eigene Tätigkeit und das eigene Streben. Und das Ziel, wohin der einzelne moderne Mensch am Ende strebt und streben soll, das ist, so Hegel, ein freier Geist zu werden, und ein solcher wird er, ihm zufolge, vollends dann, wenn er im modernen Individualrecht, in der Moralität und der Sittlichkeit, d. h. in der modernen Familie, der modernen bürgerlichen Gesellschaft, ungeachtet ihrer Widersprüche, und erst recht im modernen Rechts- und Verfassungsstaat seine Freiheit erkennt, sie auch will und demgemäß handelt. Doch auf dieser Stufe mündet, wie erwähnt, die Theorie des subjektiven in die des objektiven Geistes, also die Theorie der Persönlichkeit in die Theorie der modernen Gesellschaft ein, die nicht mehr Thema dieser Studie ist.

      Ein kurzer Blick auf die Zeit, in der Hegels “Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ entstand und veröffentlicht wurde (erste Ausgabe 1817, zweite 1827 und dritte 1830), zeigt den sozialen und kulturellen Wandel, der sich in Westeuropa und damit auch, wenn auch teilweise langsamer, in Deutschland vollzog. Beschleunigende Ereignisse und Vorgänge waren die politische Revolution in Frankreich (und die napoleonischen Kriege) sowie die industrielle Revolution in England. Beiden Revolutionen ging eine geistige voraus oder diese war, mehr noch, eine der Triebkräfte jener Wandlungen: der Geist der Aufklärung, dem sich allerdings, zumal in Deutschland, der Geist der Romantik entgegenstellte. Resultat dieses Wandels waren Entstehen und Entwicklung des modernen Rechts- und Verfassungsstaates, der modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, der modernen Familie und der Trennung von Staat und Religion. Dieser Wandel von Geist und Gesellschaft musste die Lebenswelt jedes Zeitgenossen in Westeuropa und in Deutschland bestimmen und so auch fortschreitend das Denken des 1770 in Stuttgart geborenen Hegel.12 Das Ergebnis der wissenschaftlichen Auseinandersetzung Hegels mit diesem Aufbruch Westeuropas in eine neue Zeit war schließlich die “Philosophie des Geistes“ und damit die Theorie des subjektiven Geistes, der modernen Persönlichkeit. Konnte er bei der Bearbeitung dieses Themas einerseits auf die vorhandene wissenschaftliche Literatur zurückgreifen, so verzichtete er doch andererseits gewiss nicht darauf, sich selbst zu beobachten, anzuschauen und zu reflektieren sowie seine Aufmerksamkeit auch auf das Verhalten der Menschen zu richten, mit denen er sein Leben unmittelbar teilte oder denen er begegnete. Zumal das eigene innere Leben und seine Äußerungen dem Einzelnen ja nichts Fremdes sind; er erlebt sich selbst im Verkehr mit anderen und damit auch die anderen. So erlebt er sich selbst als empfindende und fühlende Seele, als schlafend und träumend in der Nacht und als wach am helllichten Tag und zudem in einem bestimmten Lebensalter. Ferner erlebt er sich in einem bestimmten Selbstgefühl, z. B. Stolz, Eitelkeit, in Gewohnheiten gefangen, oder er erlebt seine Befreiung von ihnen. Er erlebt aber nicht nur sein Inneres, sondern auch die ihm äußere Welt, von der er sich als ein Ich abgrenzt. So nimmt er seinen Körper als ein ihm Äußeres ebenso wahr wie die vielen Dinge von denen er umgeben ist oder die auf ihn einwirken, und er versucht Zusammenhänge, Ursachen und Gesetze zu erkennen, und die Bedeutung der Sprache in diesem Tun bleibt ihm nicht fremd. Jeder Einzelne hat auch eine Vorstellung vom Kampf des Menschen mit dem Menschen, so vom Kampf um Anerkennung, von Herrschaft und Knechtschaft sowie vom Zustand gegenseitiger und allgemeiner Anerkennung. Einzelne Persönlichkeiten benutzen ferner mit Vorbedacht die Ergebnisse wissenschaftlichen Denkens als Mittel für ihr Handeln, wissen sich selbst als Erkennende der objektiven Welt, erleben sich als getrieben, diese in rationaler Weise zu ihrem eigenen Vorteil zu verändern oder haben, sich als “freie Geister“ wissend, den Willen, für die Freiheit in Staat und Gesellschaft aktiv einzutreten.

      Doch das, was jedem bekannt ist, ist, “weil es bekannt ist nicht erkannt“ (Hegel) 13, und die Tätigkeit, von Worten, die bloß mit Ahnungen, Gefühlen und Vorstellungen verbunden sind, zu Gedanken und Theorien zu kommen - das ist die Aufgabe einerseits des “abstrakten“, einzelwissenschaftlichen Denkens und andererseits der Philosophie, die in einem weiteren Schritt, die einzelnen vom Verstand voneinander getrennten Theorien aufhebt, um sie sodann nach Hegel in die Entfaltung der Idee des Geistes auf dem Wege des reinen (“dialektischen“) Denkens aufzunehmen. Denn, so Hegel, das “Wahre ist das Ganze“, d. h. das Wahre ist nur durch die Entfaltung der Gesamtheit der Erkenntnis zu fassen, die durchlaufen werden muss.14 Doch so sehr sich Hegel in seinem “denkenden Erkennen der Idee des Geistes“, also seiner “Philosophie des Geistes“, weit von dem entfernt, was jeder Einzelne unmittelbar an sich selbst erlebt, wahrnimmt oder von sich selbst versteht, so sehr öffnet er den Weg zu einer wahren Selbsterkenntnis, zumal des modernen Menschen und gibt damit dem Einzelnen eine wissenschaftlich begründete Richtschnur für sein Verhalten und Handeln in der modernen Welt. Hinzukommt, dass manche Teile seiner theoretischen Darstellung darüber hinaus für jeden therapeutisch interessant sind, indem sie zeigen, dass die wissenschaftliche Selbstreflexion eines Individuums dasselbe von manch einem Übel schützen oder von manch einer Fessel in seinem Inneren befreien kann.

      Hegel hat seine Theorie der Persönlichkeit in der sich entwickelnden Moderne hervorgebracht. Manch eine Erkenntnis oder Formulierung Hegels war und musste notwendigerweise zeitbedingt sein; sollte doch seine Theorie keine leere Spekulation sein, sondern die Wirklichkeit, wie sie sich herausbildete, erfassen. Folglich wird man bei ihm z. B. noch nicht den weiteren Fortschritt in der Befreiung der Frau, wie er vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattfand, vorfinden. Seine Theorie verharrt noch auf der bürgerlichen Kernfamilie, ihrer Arbeitsteilung und der formalen Privilegierung des Ehemanns, wie sie sich im 19. Jahrhundert entwickelte und noch bis in das zwanzigste Jahrhundert zu den Selbstverständlichkeiten zählte. Nichtsdestoweniger waren die Struktur der modernen bürgerlichen Familie, damit das Verhältnis zwischen Mann und Frau, ein Fortschritt gegenüber der Familienstruktur und dem Verhältnis zwischen Mann und Frau im vorangehenden Feudalsystem und im Übergang zum modernen Zeitalter.

      Im Folgenden eine Übersicht zu Hegels Theorie des subjektiven Geistes, der Persönlichkeit: Die Gliederung der Theorie beruht auf der Einheit von zwei verschiedenen methodischen Gesichtspunkten. Ist der eine Gesichtspunkt die fertige Persönlichkeit, so ist der andere die Entwicklung derselben. So ist nach Hegel einerseits jeder Einzelne als ein vollendetes Ganzes zugleich Seele, Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Geist. Andererseits steigt, ihm zufolge, jeder Einzelne als ein werdendes Subjekt diese vier Entwicklungsstufen empor. Hegels Auseinandersetzung mit dem subjektiven Geist, schließt zwei Perspektiven ein, nämlich die objektive Perspektive, d. h. die Betrachtung der Persönlichkeit von außen, und die subjektive Perspektive, d. h. die Betrachtung der Persönlichkeit von innen.

       Der Begriff des Geistes:

      Grundprinzip und Ausgangspunkt von Hegels „Philosophie des Geistes“ ist die „Idee des Geistes“, die für ihn das „Absolute“, so wie für die „Materialisten“ die „Materie“ das „Absolute“ ist. Die Idee ist Subjekt und Objekt zugleich und das eine wie das andere ist der „Begriff“. Doch im Übrigen unterscheidet Hegel zwischen der Idee einerseits und dem Begriff andererseits. Unter diesem versteht Hegel jedoch nicht bloß ein Mittel, mit dem sich ein Subjekt die Dinge denkend aneignet, sondern ein den Dingen selbst innewohnendes Prinzip, das das denkende Ich entdeckt und in seinen subjektiven Begriff aufnimmt. Der Begriff als ein subjektiver erfasst also den Begriff als einen objektiven, ist mit diesem identisch, Denken und Sein bilden eine Einheit. Der (philosophische) Begriff der Idee schließt demgegenüber ein Subjekt ein, das einem Objekt gegenübersteht und mit diesem eine Einheit bildet. Nach Hegels Begriff des Geistes steht dieser der Natur gegenüber, die für jeden zunächst seine Voraussetzung zu sein scheint, doch ihr gegenüber ist nach Hegel der Geist das Erste; ist er es doch, der die Natur als das Andere seiner selbst setzt, um am Ende diese Setzung, diese seine „äußerste Entäußerung“, in seiner „Philosophie der Natur“ wieder aufzuheben. Die philosophische Theorie, einmal hervorgebracht, steht für Hegel nicht neben der in ihr erfassten Welt, sondern sie ist die Welt. Zum Begriff des Geistes gehört die Idealität; die Tätigkeiten des Geistes sind nach Hegel nur verschiedene

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