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Und Theben liegt in Oberfranken.. Laura-Maria Grafenauer
Читать онлайн.Название Und Theben liegt in Oberfranken.
Год выпуска 0
isbn 9783347149427
Автор произведения Laura-Maria Grafenauer
Жанр Журналы
Издательство Readbox publishing GmbH
Konkrete Entsprechungen (und bestünden sie auch nur in Einzelfällen) zwischen den Abendgesellschaften um Hoffmanns Schriftstellerkollegen und den in den Serapions-Brüdern verewigten Szenen lassen sich im Nachhinein weder eindeutig belegen noch widerlegen. Wenn wir jedoch den Disput bis auf weiteres unentschieden belassen und wenigstens annehmen dürfen, dass die zitierte Aussage der dramatis persona Theodor der Meinung des historischen (Ernst) Theodor entspricht, so darf das Zitat aus dem Fragment mit einiger Berechtigung als programmatischer Leitsatz über dieser Arbeit stehen. Im Fokus: Schauplätze von fiktionalen Werken, die auch in der real erfahrbaren, authentischen Wirklichkeit existieren. Was den Umgang mit ihnen betrifft, so plädiert die dramatis persona Theodor offenbar in Einklang mit der Vorgehensweise der dramatis persona Ottmar dafür, die Überschneidungen von fiktionalem Schauplatz und real existierender Umgebung in der Erzählung nicht zu verschleiern, sondern durchaus kenntlich zu machen, nicht nur, um ihr für die mit dem realen Ort vertrauten Leser eine gewisse ›Lebendigkeit und Frische‹ zu verleihen, sondern auch dank der Nennung von allgemein bekannten und erkennbaren Landmarken einen ›Schein von historischer Wahrheit‹ zu erwecken. Mit anderen Worten: Indem die Schauplätze der Fiktion mit den real existierenden Orten in Verbindung gebracht werden, aus deren Inspiration sie auch entspringen, und die Dichtung somit in die Realität zurückgespiegelt wird, gewinnt das schriftstellerische Produkt sowohl an Dynamik als auch an Glaubwürdigkeit.9 Die Vorgehensweise orientiert sich an der Regel des serapionischen Clubs, wo es zunächst allgemein heißt:
Jeder prüfe wohl, ob er auch wirklich das geschaut, was er zu verkünden unternommen, ehe er es wagt laut damit zu werden. Wenigstens strebe jeder recht ernstlich darnach, das Bild, das ihm im Innern aufgegangen recht zu erfassen mit allen seinen Gestalten, Farben, Lichtern und Schatten, und dann, wenn er sich recht entzündet davon fühlt, die Darstellung ins äußere Leben
An dieser Stelle geht es noch ausschließlich um das Nach-außen-Befördern des ›im Innern aufgegangenen Bildes‹; dass dieses innere Bild aber von einem äußeren beeinflusst werden darf, ja sogar soll, wird später im Dialog von Der Dichter und der Komponist verdeutlicht:
[…] und die Kunst des Dichters müßte darin bestehen, die Personen nicht allein vollkommen geründet, poetisch wahr, sondern recht aus dem gewöhnlichen Leben gegriffen, so individuell auftreten zu lassen, daß man sich augenblicklich selbst sagt: Sieh da! das ist der Nachbar, mit dem ich alle T age gesprochen! Das ist der Student, der alle Morgen in’s Kollegium geht, und vor den Fenstern der Kusine erschrecklich seufzt u. s. w. (SB 112)
Eindeutig sind die Parallelen zu Theodors ursprünglicher Aussage: Personen und Orte der Realität sollen in der Fiktion anschaulich bezeichnet werden, damit der Leser sie identifizieren und als Folge dieser Identifizierung dem Werk Authentizität und Glaubwürdigkeit einräumen kann. Die dramatis persona der Fiktion und das Individuum der Realität, der Schauplatz der Fiktion und der Ort der Realität schließen sich für Hoffmann nicht gegenseitig aus, sondern bereichern sich und befinden sich gleichsam auf einer Ebene – so wie er die Figuren der Fiktion und der Realität im Kunzischen Riss auf dem papierenen Plan eines realen Orts graphisch nebeneinanderstellt.10 Die besprochenen Zitate aus den Serapions-Brüdern exemplifizieren zunächst die von Hoffmanns Protagonisten in diesem Werk vertretenen Ansichten zur schriftstellerischen Produktion und sollen als Grundlage für mein Forschungsinteresse dienen. Worin dieses Forschungsinteresse genau besteht, wollen wir im Folgenden klären.
1.2. Literaturtourismus und seine Ergänzung im ›Serapionischen Prinzip‹
Das Spannungsfeld zwischen real existierendem Ort und fiktionalem Schauplatz mitsamt den daraus resultierenden Konsequenzen, zunächst für das jeweilige Werk, später für die Herausbildung der literarischen Kulisse im Allgemeinen, stellt den Gegenstand dieser Arbeit dar. Dafür gilt es erst einmal, den Begriff der ›Kulisse‹ zu definieren. Das Fremdwörterbuch des Dudenverlags führt als mögliche Bedeutungen für das Wort ›Kulisse‹ zunächst die »bewegliche Dekorationswand auf einer Theaterbühne; Bühnendekoration«11 an. Der Begriff ›Bühnendekoration‹ lässt sich vom Theater nahtlos auf die Literatur übertragen: Die Schauplätze der im Folgenden behandelten Werke sind die Bühnenbilder ihrer jeweiligen Szenen und Handlungsabläufe. Diese Schauplätze der Literatur in der Realität zu erforschen und Parameter eines historischen Schriftsteller-Blicks in die greifbare Wirklichkeit zu übersetzen ist eine Aufgabe, die sich der Literaturtourismus angeeignet und für seine Zwecke monopolisiert hat; seine Entwicklung zeichnet Barbara Schaff mit Prägnanz nach.12 Für die Literaturwissenschaft besitzen die Ziele des Literaturtourismus jedoch nur bedingten Wert, denn zu oft liegt sein Hauptaugenmerk nicht auf der Vermittlung der Literatur, sondern auf der breitenwirksamen Attraktivität des Genres: Für die »tourist industry«13 geht es bei der Erkundung von literarischen Schauplätzen nicht in erster Linie darum, neue Schlaglichter auf den Originaltext zu werfen, sondern der Originaltext selbst wird als ein dem Tourismus unterstehendes Medium genutzt.14 Für die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex sollten daher zwei entscheidende Vorbedingungen konstatiert werden: Zum einen muss die Unterscheidung zwischen einem fiktionalen Ort und seiner in der Realität existierenden Referenz klar sein, wie Barbara Schaff sie definiert: »Narrative places, as mediated through literary texts, do not of course constitute reality, […] these textual locales cannot be objectified, but are