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ist freilich das einzig Handfeste an der von mir erdichteten Szene.2 Das zwischen Verbürgtem und Erdichtetem oszillierende Phantasiestück besitzt aber insofern eine (literatur-) wissenschaftliche Berechtigung, als es die Verbindung nachzuzeichnen sucht, die zwischen der Rahmenhandlung der Serapions-Brüder und dem realen Vorbild des Seraphinenordens3 ebenso besteht wie zwischen Theodors Aussage und den historischen Ereignissen des Novembers 1818. Der Anteil von Realität in der Fiktion – inwieweit und wie hoch man ihn einordnen darf, stellt nicht nur in der Hoffmann-Forschung einen Gegenstand lebhafter Diskussion dar;4 auch im speziellen Fall der Serapions-Brüder führte er zu einem kontroversen Verhältnis hinsichtlich der wechselseitigen Anteile von Biographie und Erfindung im serapionischen Rahmen.5 Ursprünglich streute Hitzig, der es als Mitglied des historischen Zirkels am besten wissen müsste, das später vom Literaturwissenschaftler Hans von Müller aufgegriffene Gerücht einer Übereinstimmung zwischen den Figuren der Rahmenhandlung und den realen Mitgliedern des Seraphinenordens: Hitzig selbst stelle dabei den Ottmar dar, Salice-Contessa den Sylvester und Koreff den Vinzenz, während hinter den drei Figuren Theodor, Lothar und Cyprian verschiedene Egos von Hoffmann steckten.6 Als Gegner dieser biographistischen Zuschreibungen hat man wenig Mühe, sie mit einer denkbar prosaischen, aber deswegen nicht weniger zweckmäßigen Methode auszuhebeln: Wenn man alle Personenkonstellationen der Rahmenhandlung nach dem Schema ›eins zu eins‹ auf mögliche wirklich erfolgte Zusammenkünfte zu übertragen sucht, stellt man unweigerlich fest, dass die obige Aufteilung u.a. schon aufgrund von Hoffmanns Ubiquität in sich nicht kompatibel sein kann.7 Gleichzeitig ist Hitzigs Behauptung jedoch ebenso wenig von der Hand zu weisen wie die tatsächlichen Versammlungen der Seraphinenbrüder. Um beiden Seiten gerecht zu werden, gelangt man schließlich zu einem ›zwar nicht, aber trotzdem‹-Kompromiss: Es sind die literarischen Figuren zwar nicht die Abziehbilder der historischen Persönlichkeiten, aber trotzdem besteht zwischen beiden Ebenen eine kaum bestreitbare Verbindung.8 Natürlich ist die Figur Sylvester nicht in jeder einzelnen Situation auf Salice-Contessa, Vinzenz nicht auf Koreff, Ottmar nicht auf Hitzig zu beziehen, und ebenso wenig kann sich Hoffmann dreiteilen; wie sehr sich genau diese Identifikationsmodelle aber trotz aller Neutralitätsbemühungen in den Köpfen der Rezipienten festgesetzt haben, beweist Wulf Segebrecht selbst, wenn er im Kommentar zum Märchen Die Königsbraut Koreff als eine mögliche Bezugsperson für Hoffmanns Wissen bezeichnet: »Aus diesen Bemerkungen einer fiktiven Figur kann man nur spekulativ auf eine mündlich überlieferte ›Quelle‹ schließen, die der Berliner Arzt David Ferdinand Koreff (= Vinzenz) Hoffmann zugänglich gemacht haben könnte« (SB 1641). Man kommt nicht umhin, die dramatis persona Vinzenz mit der historischen Person Koreff in Verbindung zu bringen, ja in diesem Fall sogar gleichzusetzen, wenigstens ihr inspiratorisches Substrat betreffend.

      Konkrete Entsprechungen (und bestünden sie auch nur in Einzelfällen) zwischen den Abendgesellschaften um Hoffmanns Schriftstellerkollegen und den in den Serapions-Brüdern verewigten Szenen lassen sich im Nachhinein weder eindeutig belegen noch widerlegen. Wenn wir jedoch den Disput bis auf weiteres unentschieden belassen und wenigstens annehmen dürfen, dass die zitierte Aussage der dramatis persona Theodor der Meinung des historischen (Ernst) Theodor entspricht, so darf das Zitat aus dem Fragment mit einiger Berechtigung als programmatischer Leitsatz über dieser Arbeit stehen. Im Fokus: Schauplätze von fiktionalen Werken, die auch in der real erfahrbaren, authentischen Wirklichkeit existieren. Was den Umgang mit ihnen betrifft, so plädiert die dramatis persona Theodor offenbar in Einklang mit der Vorgehensweise der dramatis persona Ottmar dafür, die Überschneidungen von fiktionalem Schauplatz und real existierender Umgebung in der Erzählung nicht zu verschleiern, sondern durchaus kenntlich zu machen, nicht nur, um ihr für die mit dem realen Ort vertrauten Leser eine gewisse ›Lebendigkeit und Frische‹ zu verleihen, sondern auch dank der Nennung von allgemein bekannten und erkennbaren Landmarken einen ›Schein von historischer Wahrheit‹ zu erwecken. Mit anderen Worten: Indem die Schauplätze der Fiktion mit den real existierenden Orten in Verbindung gebracht werden, aus deren Inspiration sie auch entspringen, und die Dichtung somit in die Realität zurückgespiegelt wird, gewinnt das schriftstellerische Produkt sowohl an Dynamik als auch an Glaubwürdigkeit.9 Die Vorgehensweise orientiert sich an der Regel des serapionischen Clubs, wo es zunächst allgemein heißt:

      Jeder prüfe wohl, ob er auch wirklich das geschaut, was er zu verkünden unternommen, ehe er es wagt laut damit zu werden. Wenigstens strebe jeder recht ernstlich darnach, das Bild, das ihm im Innern aufgegangen recht zu erfassen mit allen seinen Gestalten, Farben, Lichtern und Schatten, und dann, wenn er sich recht entzündet davon fühlt, die Darstellung ins äußere Leben tragen. (SB 69)

      An dieser Stelle geht es noch ausschließlich um das Nach-außen-Befördern des ›im Innern aufgegangenen Bildes‹; dass dieses innere Bild aber von einem äußeren beeinflusst werden darf, ja sogar soll, wird später im Dialog von Der Dichter und der Komponist verdeutlicht:

      […] und die Kunst des Dichters müßte darin bestehen, die Personen nicht allein vollkommen geründet, poetisch wahr, sondern recht aus dem gewöhnlichen Leben gegriffen, so individuell auftreten zu lassen, daß man sich augenblicklich selbst sagt: Sieh da! das ist der Nachbar, mit dem ich alle T age gesprochen! Das ist der Student, der alle Morgen in’s Kollegium geht, und vor den Fenstern der Kusine erschrecklich seufzt u. s. w. (SB 112)

      Eindeutig sind die Parallelen zu Theodors ursprünglicher Aussage: Personen und Orte der Realität sollen in der Fiktion anschaulich bezeichnet werden, damit der Leser sie identifizieren und als Folge dieser Identifizierung dem Werk Authentizität und Glaubwürdigkeit einräumen kann. Die dramatis persona der Fiktion und das Individuum der Realität, der Schauplatz der Fiktion und der Ort der Realität schließen sich für Hoffmann nicht gegenseitig aus, sondern bereichern sich und befinden sich gleichsam auf einer Ebene – so wie er die Figuren der Fiktion und der Realität im Kunzischen Riss auf dem papierenen Plan eines realen Orts graphisch nebeneinanderstellt.10 Die besprochenen Zitate aus den Serapions-Brüdern exemplifizieren zunächst die von Hoffmanns Protagonisten in diesem Werk vertretenen Ansichten zur schriftstellerischen Produktion und sollen als Grundlage für mein Forschungsinteresse dienen. Worin dieses Forschungsinteresse genau besteht, wollen wir im Folgenden klären.

       1.2. Literaturtourismus und seine Ergänzung im ›Serapionischen Prinzip‹

      Das Spannungsfeld zwischen real existierendem Ort und fiktionalem Schauplatz mitsamt den daraus resultierenden Konsequenzen, zunächst für das jeweilige Werk, später für die Herausbildung der literarischen Kulisse im Allgemeinen, stellt den Gegenstand dieser Arbeit dar. Dafür gilt es erst einmal, den Begriff der ›Kulisse‹ zu definieren. Das Fremdwörterbuch des Dudenverlags führt als mögliche Bedeutungen für das Wort ›Kulisse‹ zunächst die »bewegliche Dekorationswand auf einer Theaterbühne; Bühnendekoration«11 an. Der Begriff ›Bühnendekoration‹ lässt sich vom Theater nahtlos auf die Literatur übertragen: Die Schauplätze der im Folgenden behandelten Werke sind die Bühnenbilder ihrer jeweiligen Szenen und Handlungsabläufe. Diese Schauplätze der Literatur in der Realität zu erforschen und Parameter eines historischen Schriftsteller-Blicks in die greifbare Wirklichkeit zu übersetzen ist eine Aufgabe, die sich der Literaturtourismus angeeignet und für seine Zwecke monopolisiert hat; seine Entwicklung zeichnet Barbara Schaff mit Prägnanz nach.12 Für die Literaturwissenschaft besitzen die Ziele des Literaturtourismus jedoch nur bedingten Wert, denn zu oft liegt sein Hauptaugenmerk nicht auf der Vermittlung der Literatur, sondern auf der breitenwirksamen Attraktivität des Genres: Für die »tourist industry«13 geht es bei der Erkundung von literarischen Schauplätzen nicht in erster Linie darum, neue Schlaglichter auf den Originaltext zu werfen, sondern der Originaltext selbst wird als ein dem Tourismus unterstehendes Medium genutzt.14 Für die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex sollten daher zwei entscheidende Vorbedingungen konstatiert werden: Zum einen muss die Unterscheidung zwischen einem fiktionalen Ort und seiner in der Realität existierenden Referenz klar sein, wie Barbara Schaff sie definiert: »Narrative places, as mediated through literary texts, do not of course constitute reality, […] these textual locales cannot be objectified, but are

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