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Der Abgerichtete. Maxi Magga
Читать онлайн.Название Der Abgerichtete
Год выпуска 0
isbn 9783347097537
Автор произведения Maxi Magga
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Diese extreme Zügellosigkeit war Teil ihrer besonderen Arbeitsvereinbarung mit ihrem Chef. Sie bewahrten ihr Stillschweigen über die Art der Sklavenhaltung, die er betrieb, und durften sich dafür nach Belieben an seinen Sklaven ausleben. Das Schweigen war für beide Seiten überlebenswichtig. Bislang hatten nur die sehr Reichen, das eine Prozent der elitären A-Kaste, die Mittel und die Macht, sich dauerhaft und straflos Sklaven für jeden Zweck, für jede denkbare Perversität zu halten. Diesen Anspruch verteidigten sie leidenschaftlich. Seit einigen Jahren bauten sich aber auch B-Kastenmitglieder geheime, da noch unrechtmäßige, Netzwerke auf, die sich in Wort und Tat für die Enttabuisierung der Sklaverei, wie sie sie verstanden, einsetzten. Ein echtes Problem war die relative hohe, aber unvermeidbare Zahl an Mitwissern unter den niederen Kasten. Denen musste man notgedrungen etwas für ihr Schweigen bieten. Insgesamt hatten die Chancen für die Kaste jedoch noch nie so gut gestanden. Schließlich gehörten Arbeitssklaven schon lange zum allgemein akzeptierten Gesellschaftsbild in ganz Europa. Seit den letzten lokalen Kriegen vor rund 30 Jahren galt das auch für die beliebten Kampfsklaven. Die Wettindustrie auf Sklavenkämpfe fuhr inzwischen gigantische Gewinne ein. Die Zeit schien reif für den nächsten Schritt.
Blutig geschlagen und wund, wurde Moron erst kurz vor dem Morgengrauen zum ersten Mal in eine der furchterregenden Sklavenzellen eingesperrt. Fünf davon lagen nebeneinander im zweiten Stock des Herrenhauses. Zurzeit war jedoch keine der anderen belegt. Nachdem er hineingestolpert war, hörte er noch den Schlüssel im Schloss knirschen. Dann das Nichts. Nicht der leiseste Laut war zu hören. Im Inneren der Zelle herrschte neben der absoluten Stille das völlige Dunkel. Es gab kein Fenster, nicht einmal durch einen Spalt unter der schweren, dick gepolsterten Stahltür konnte Licht einfallen. Keine Lampe, keine Kerze, schon gar kein Strom. Nichts. Nur tagsüber, wenn die Tür offenstand, fanden Licht und frische Luft einen Weg hinein.
Moron litt entsetzlich. Aber so sehr sein Körper auch schmerzte, die Verletzungen, die seiner Seele zugefügt worden waren, brannten ungleich schlimmer. Niemals hatte er gehört, dass jemand solch furchtbare Dinge tat! Es graute ihn davor, ihnen wieder unter die Augen treten zu müssen. Ob alle aus der E-Kaste so etwas taten? Was hatte er dann erst von seiner Herrschaft zu erwarten? Seine Herrschaft! Wie sehr hatte er sich geirrt, als er noch während der Fahrt an eine großmütige Motivation der Käufer glaubte. Trotz seiner Ernüchterung hielt er jedoch unbeirrt an der Dankbarkeit für seine Besitzer fest. Sie hätten ihn nicht kaufen und seine Familie damit retten müssen. Dafür gebührte ihnen, trotz allem, was Moron erlebt hatte, Dank, Willigkeit und seine unbegrenzte Dienstbereitschaft. Es war nicht an ihm, ihre Beweggründe zu hinterfragen.
Nahezu unerträglich war es ihm allerdings, dass man ihm mit den Kleidern auch den Stein seiner kleinen Tochter weggenommen hatte. Da hätten sie ihm auch gleich das Herz bei lebendigem Leib herausreißen können. Andererseits war es vielleicht sogar ein Glück für ihn. Moron hielt es ganz und gar nicht mehr für unwahrscheinlich, dass er bestraft worden wäre, weil er den Stein nicht wie befohlen beim Anwalt zurückgelassen hatte. Seine Gedanken wanderten von Callas Kiesel ungehindert weiter zu Sora und seinem alten Vater. Er war überaus dankbar dafür, dass sie niemals erfahren würden, was das Schicksal ihm aufbürdete.
Zum ersten Mal opferte er seiner Familie sein Elend auf.
„Ich werde durchhalten. Euretwegen. Damit ihr überlebt, werde ich lernen es auszuhalten und sie zufriedenzustellen. Egal, was sie mit mir machen werden. Das verspreche ich.“
In jener Nacht und in vielen, die darauf folgten, gab ich nur meiner Unzulänglichkeit die Schuld an dem, was mir angetan wurde. Als Mitglied der verachteten F-Kaste ist man ein Leben lang daran gewöhnt, für alles verantwortlich gemacht zu werden. Das geht in Fleisch und Blut über. Wenn du hungerst, hast du nicht hart genug gearbeitet. Wenn du geschlagen wirst, musst du etwas Unrechtes getan haben. So einfach ist das.
4
Moron, der jetzt nur noch der Abzurichtende Nummer Fünf war, wurde am nächsten Morgen mit einem Tritt in die Rippen geweckt.
„Wie lange, glaubst du, hier noch faul rumliegen zu können? Außerdem hast du schnellstens aufzustehen, wenn jemand von der Herrschaft oder einer von uns … ach Quatsch, du hast auch aufzustehen, wenn ein Hund in deine Nähe kommt. Verstanden?“
„Ja, Master Kovit.“
Diese Lektion hatte Nummer Fünf bereits gelernt.
„Sieh gefälligst auf den Boden. Deine Rübe bleibt von jetzt an immer gesenkt und die Augen niedergeschlagen. Mann, Mann! Hast du denn bisher gar keinen Anstand gelernt?“
Kovit warf ihm einen Schurz zu.
„Das ist deine Dienstkleidung und deine Freizeitkluft, außerdem deine Sommer- und deine Wintergarderobe. Heiliges Kastensystem! Wisst ihr viel zu groß geratenen Einzeller denn gar nichts? So legt man einen Schurz an. Gesehen? Immer dasselbe Theater mit euch.“
Nummer Fünf war froh, dass der Verwalter so viel sprach. Wenn er redete, schlug er ihn wenigstens nicht. Andererseits prasselten nahezu im Sekundentakt unzählige Anweisungen, Ge- und Verbote und Vorschriften auf ihn ein, so dass er fast den Mut verlor. So schnell wie möglich musste er so viel, wie es irgendwie ging, über die vielen verwirrenden Regeln lernen, die in seiner neuen Heimat zu beachten waren. Kovit nannte es „ihn abrichten“. Jeder Fehler, jedes Zögern wurde überhart bestraft. Als er am Nachmittag dem Herrn vorgeführt wurde, war sein Körper bereits übersät mit Striemen, blauen Flecken und einzelnen verkrustenden Wunden. Dabei war es noch ein Segen für ihn, dass Kovit die Haut ohne besondere Erlaubnis des Herrn mit seiner Peitsche nicht wesentlich aufreißen durfte.
Nummer Fünf wartete, wie es von jetzt an von ihm erwartet wurde, mit gesenktem Kopf und demütig niedergeschlagenem Blick neben der Tür. Der Herr schien sich lange nicht für ihn zu interessieren. Bewacht von Kovit, stand Nummer Fünf weiterhin regungslos da. Erst als die Herrin den Raum betrat, sah ihr Ehemann auf. Seine Augen leuchteten, als die auffällig schlicht, aber umso teurer gekleidete Frau mit betörend wiegendem Gang auf ihn zuschritt. Sie strahlte ihn an, als er sich erhob, jede einzelne ihrer Fingerspitzen zärtlich küsste und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Sie schlug ihre langen, schlanken Beine übereinander und lehnte sich entspannt in dem tiefen Sessel zurück.
Kovit zog den Abzurichtenden in die Mitte des Zimmers und legte ihm mit schnellen Griffen ein Elektrohalsband um.
„Ab jetzt ist das dein ständiger Begleiter, Nummer Fünf“, ließ der Herr hören. „Das Halsband ist aus einer speziellen Stahl-Titan-Legierung gefertigt und – das wird dir nichts sagen - mit einer kontaktlosen Stromversorgung und Elektroden ausgestattet. Wenn Master Kovit nachher die kleine Lücke hinten in deinem Nacken verschmolzen hat, darfst du dir gerne alle Mühe geben, um das Halsband loszuwerden. Viel Glück dabei. Bisher ist es noch keinem gelungen. Deine Herrin wollte auch gern dabei sein, wenn wir dir demonstrieren, wie es funktioniert. Enttäusche sie nicht.“
„Nein, Herr“, erwiderte Nummer Fünf, der nicht die geringste Vorstellung davon hatte, wobei er die Herrin enttäuschen könnte.
Zur Belohnung küsste Eliga ihren Mann nach diesen Worten wild und ausgiebig. Danach wandte sie ihre volle Aufmerksamkeit der elenden Gestalt in der Mitte des Raumes zu.
„Du gehst jetzt auf eine der Türen oder ein Fenster zu, ganz egal“, wies sie ihn an. „Du kannst aufrecht oder gebückt gehen, rennen oder meinetwegen auf dem Bauch kriechen, deine Sache. Los, mach schon!“
Zögernd näherte sich Nummer Fünf tief gebückt dem nächstliegenden Fenster. Es überraschte ihn nicht, dass er von einem Stromschlag getroffen wurde, kurz bevor er es erreicht