Скачать книгу

      Das Zürcher Geschnetzelte war ein Gedicht gewesen. Claudia hatte es mit großem Appetit verspeist und war danach so satt, dass sie unbedingt noch ein paar Schritte gehen musste. Sie zahlten und verließen das Lokal. Obwohl sich das Restaurant in Firmennähe befand, war Claudia hier noch nie gewesen.

      Peter Werding schmunzelte.

      „Mir entgeht so etwas nicht. Ich habe immer gleich raus, wo man gut und preiswert isst und trinkt. Ich bin ein helles Kerlchen.“

      Sie schlenderten nebeneinander die Straße hinunter, und Claudia bemerkte: „Du weißt ja, was man sagt, wenn sich jemand selbst lobt.“

      „Nein. Was?“

      „Eigenlob stinkt.“

      „In meinem Fall nicht“, behauptete Peter. „Ich hab’ mich nicht gelobt, sondern lediglich eine Tatsache festgestellt.“

      „Du bist also ein helles Kerlchen.“

      Peter griente. „So hell, dass ich nachts ohne Licht lesen könnte.“

      „Du bist zu bedauern.“

      „Wieso?“

      „Weil es in deinem Schlafzimmer niemals finster wird. Ich kann bei Licht nicht schlafen.“

      Er sah sie neugierig an.

      „Erzähl mir mehr von deinen Schlafgewohnheiten.“

      „Wie komme ich dazu?“

      „Nimmst du deinen abgegriffenen Teddy mit ins Bett?“

      „Ich besitze keinen abgegriffenen Teddy.“

      „Ich dachte, alle weiblichen Teenager hätten einen.“

      „Da siehst du, wie man sich irren kann.“ Sie lachte und wechselte geschickt das Thema. „Warum wolltest du mit mir ausgehen?“

      „Ich finde dich sympathisch“, gab er offen zu. „Und warum bist du mit mir ausgegangen?“

      „Weil ...“ Sie zögerte.

      „Ja?“, fragte er sehr interessiert.

      „Weil ich hungrig war“, sagte sie schnell.

      Er schüttelte den Kopf. „Du sagst nicht die Wahrheit.“

      „Woher willst du das wissen?“

      „Ich sehe es dir an der Nasenspitze an“, behauptete er. „Ehrlich, ich kann sehen, wenn jemand schwindelt.“

      Sie lachte. „Mit dieser außergewöhnlichen Fähigkeit könntest du beim Pokern ein Vermögen machen.“

      „Ich möchte kein Vermögen haben“, erklärte Peter bestimmt. Es schien wirklich seine ehrliche Meinung zu sein. „Besitz macht Sorgen.“

      „Wo wohnst du?“, fragte Claudia. „In Schwabing.“

      „Bei deinen Eltern?“

      „Nein. Ich wohne allein. Meine Eltern sind geschieden. Mein Vater lebt mit einer anderen Frau in Rostock. Meine Mutter hat wieder geheiratet und ist jetzt in Aachen zu Hause.“

      „Siehst du die beiden ab und zu?“, fragte Claudia.

      „Kaum.“ Peters Lippen waren schmal geworden. Er sah verbittert aus.

      „Warum nicht?“, wollte Claudia wissen. Sie wäre glücklich gewesen, wenn ihre Eltern noch gelebt hätten. Sie kam mit ihren Großeltern zwar hervorragend aus, aber Eltern sind eben Eltern. Die kann niemand ersetzen.

      Peters Blick verfinsterte sich.

      „Es ist kein Platz für mich in ihrem neuen Leben.“

      „Haben sie dir das gesagt?“

      „So etwas fühlt man.“ Er schob die Hände in die Taschen, hob die Schultern und blickte gerade nach vorn. „Sie hätten niemals heiraten sollen.“

      „Warum haben sie es dann getan?“

      „Meinetwegen“, gab Peter zur Antwort. „Als meine Mutter schwanger wurde, hat mein Vater ihr einen Antrag gemacht, und sie hat ihn angenommen. Manchmal geht so etwas gut. In diesem Fall hat’s leider nicht geklappt.“

      Da war plötzlich eine Empfindung in Claudias Brust ... Neu und unbekannt ... Und schwer zu definieren ... Es war angenehm und unangenehm zugleich.

      Sie war erfüllt von tiefer Traurigkeit und schmerzlichem Mitgefühl für Peter Werding - der als Kind von seinen Eltern mit Sicherheit nur hin und her gestoßen worden war und völlig ungeliebt aufwachsen müsste, und sie verspürte gleichzeitig auch den Wunsch, ihm zu geben, was das grausame Schicksal ihm damals in gemeinster Weise vorenthalten hatte, nämlich Liebe.

      Sie blieb stehen und betrachtete ernst sein hübsches Gesicht.

      „Bist du nicht manchmal sehr einsam? Keine Familie zu haben, nicht zu wissen, wohin man gehört - ich stelle mir das nicht sehr schön vor.“

      „Es ist auch nicht schön, aber ich habe früh gelernt, damit zu leben. Richtig schlimm ist’s nur an Weihnachten. Wenn die Familien zusammenkommen, sich beschenken und miteinander feiern - und du sitzt allein in deinen vier Wänden ... Das ist schon mies. Aber das ist zum Glück ja nur einmal im Jahr.“

      Claudia Meeles schüttelte langsam den Kopf.

      „Dass du trotzdem so fröhlich und vergnügt sein kannst ...“

      Peter Werding lächelte. „Ist ja nicht Weihnachten.“ Er gab sich einen Ruck. „He, was lassen wir denn da für traurige Töne aufkommen?“ Er griff nach ihren Schultern. Sie zuckte wie elektrisiert zusammen. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du wunderschöne Augen hast?“

      „Nein“, krächzte sie.

      „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du überhaupt wunderschön bist?“

      Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken.

      „Ich bin nicht wunderschön.“

      „Doch, das bist du“, insistierte Peter. „Und ich muss dir ein Geständnis machen: Ich habe mich in dich verliebt.“ Ehe sie sich’s versah, brannten seine Lippen auf ihrem Mund.

      Doch sie wehrte ihn nicht ab. Sie ließ es aber auch nicht bloß geschehen, sondern legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn ebenso leidenschaftlich.

      Sie standen auf der Straße, küssten sich vor allen Leuten und nahmen diese überhaupt nicht wahr.

      14

      Von da an schwebte Claudia auf Wolken. Dana Härtling rief mehrmals an und wollte sich mit ihr verabreden, doch die Freundin hatte keine Zeit für sie. Jede freie Minute gehörte Peter Werding. Sie erzählte der Sportsfreundin von ihrer neuen Liebe, und Dana sagte am Telefon lachend: „He, du hast gesagt, du würdest dir nach dem Fiasko mit Hermann Tengg nie wieder erlauben, so sehr den Kopf zu verlieren. Erinnerst du dich?“

      „Natürlich“, gab Claudia Meeles unumwunden zu. „Du hast erwidert, mit siebzehn solle man nicht ‘nie wieder’ sagen. Es könne noch so vieles passieren. Vielleicht würde mir das Schicksal schon morgen einen anderen jungen Mann bescheren, der viel netter ist als Hermann Tengg, der es ehrlich mit dir meint, und dem es niemals einfallen würde, mich zu betrügen. Ich konnte mir das damals nicht vorstellen. Aber genauso ist es gekommen. O Dana, ich habe Peter Werding so wahnsinnig lieb, dass es fast schon wehtut.“

      „Und du hast im Augenblick logischerweise keine Zeit für irgendwelche Freundinnen.“

      „Du musst das verstehen.“

      „Ich verstehe es ja. Ich rufe in ein paar Tagen wieder an. Vielleicht habe ich dann bessere Karten.“

      Am Abend dieses Tages nahmen sie eine große Pizza in Peters kleine,

Скачать книгу