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kraftlos den Kopf. „Bitte nicht. Versuchen Sie nicht, falsche Hoffnungen in mir zu wecken. Die Enttäuschung wäre hinterher nur noch viel schwerer zu ertragen.“

      „Ich werde Ihnen nicht erlauben, sich aufzugeben. Dafür ist es noch zu früh. Wir haben noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Es war nicht richtig, Peter zu verbieten, Sie zu besuchen.“

      „Ich konnte ihn nicht länger leiden sehen.“

      „Er hat Sie aufgeheitert, hat Ihnen Kraft gegeben, weiter durchzuhalten. Sie sollten das ausgesprochene Besuchsverbot rückgängig machen.“

      „Nein, Dr. Härtling, das werde ich nicht tun. Ich möchte Peter Werding nicht mehr sehen.“ Tränen quollen ihr aus den Augen, als sie das sagte, und rannen ihr über die wächsernen Wangen.

      28

      Barbara Brauneder putzte sich immer wieder die Nase. Ihr Mann hatte feuchte Augen, und Peter, der Claudias Großeltern besucht hatte, kämpfte ebenfalls gegen die Tränen an und musste fortwährend kräftig schlucken.

      „Das arme Kind“, schluchzte Frau Brauneder. „Das arme, arme Kind.“

      „Ich hatte so sehr gehofft, ihr mit meiner Knochenmarkspende helfen zu können“, sagte Peter Werding unglücklich. „Ich bin zwar kein leiblicher Verwandter, aber mein Knochenmark hätte sich trotzdem für eine Transplantation eignen können. Ich habe mich verzweifelt an diese Hoffnung geklammert. Als Dr. Härtling mir eröffnete, dass Claudias Organismus mein Mark abstoßen würde, zerriss der Schmerz mir fast das Herz.“

      Ludwig Brauneder sah den jungen Mann dankbar an.

      „Sie sind der beste Freund, den Claudia jemals hatte.“

      „Sie hat mir verboten, sie weiterhin zu sehen.“ Peter schüttelte unglücklich den Kopf. „Ich weiß nicht, wie ich damit fertigwerden soll.“

      Barbara Brauneder stand auf und ging in die Küche, um den Kaffee zu holen, den sie gekocht hatte und dessen Duft bereits im ganzen Erdgeschoss wahrzunehmen war. Peter sah Claudias Großeltern ernst an.

      „Hat Dr. Härtling Ihnen ebenfalls erzählt, dass es um seine jüngste Tochter auch mal so schlecht stand?“

      Ludwig Brauneder nickte. „Wir wissen davon.“

      „Das Mädchen konnte mit der Knochenmarkspende seines Bruders gerettet werden. Wenn Claudia doch nur auch so einen Bruder hätte.“

      Frau Brauneder stieß eine Tasse um und verschüttete den Kaffee. Während sie das Tischtuch wechselte, warf sie ihrem Mann nervöse Blicke zu, und schließlich sagte sie: „Ludwig, wir müssen reden. Wir dürfen nicht länger schweigen.“

      29

      Mit schmerzendem Mitgefühl nahm Dana Härtling Anteil am schweren Leiden der Freundin. Jeden Abend, wenn Sören Härtling von der Paracelsus-Klinik nach Hause kam, bestürmte sie ihn mit Fragen. Jeden Abend hoffte sie zu hören, dass es Claudia Meeles ein ganz klein wenig besser ging, und sie war jedes Mal zutiefst enttäuscht, wenn ihr Vater einmal mehr seufzend den Kopf schüttelte. Als sie hörte, dass Claudia ihren Freund nicht mehr sehen wollte, sagte sie ergriffen: „Dann hat sie sich bereits aufgegeben.“

      „Sie hat Angst vor einer Enttäuschung, deshalb weigert sie sich, weiter zu hoffen und versucht sich darauf einzustellen, dass ihr Leidensweg bald zu Ende geht“, sagte der Chefarzt der Paracelsus-Klinik dunkel.

      „Um am Leben bleiben zu können, muss sie in erster Linie am Leben bleiben wollen. Ist es nicht so?“

      Sören Härtling nickte mit gefurchter Stirn.

      „Wenn sie nicht kämpft, beschleunigt sich der Verfall.“

      „Ich werde mit ihr reden.“

      „Ich fürchte, es wird nichts nützen.“

      „Vielleicht gelingt es mir, sie umzustimmen, ihr neuen Lebensmut zu geben.“

      Josee kam zur Tür herein - mit roten Wangen und Augen, die vor Leben sprühten. Strotzend vor Gesundheit. Heute. Aber so war es nicht immer gewesen … Sie hatte Glück gehabt. Sie hatte es geschafft. Dr. Härtling wünschte seiner jungen Patientin von ganzem Herzen das gleiche Glück.

      „Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Vati?“, fragte die Zehnjährige.

      „Wieso?“, gab Sören Härtling zurück.

      „Weil du mich so eigenartig ansiehst“, sagte Josee, setzte sich auf seinen Schoß und schlang die Arme um seinen Hals.

      „Mir ist gerade etwas in den Sinn gekommen, das einige Jahre zurückliegt.“

      „Eine unerfreuliche Erinnerung?“

      „Ja, Kleines. Eine sehr unerfreuliche Erinnerung“, sagte Dr. Härtling.

      30

      Claudia Meeles schlief. Wenn sich ihr Brustkorb nicht regelmäßig gehoben und gesenkt hätte, hätte man meinen können, sie wäre tot. Dana Härtling saß am Bett der Freundin. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Es war noch nicht lange her, da hatte sie mit Claudia Meeles Tennis gespielt - und heute war kaum noch Leben in ihrem gläsernen Körper.

      Lieber Gott, lass sie nicht sterben, flehte Dana im Geist. Sie ist doch noch so jung. Sie könnte noch so ein schönes, von Liebe erfülltes Leben vor sich haben - wenn du es ihr ermöglichst.

      Die Tür öffnete sich. Schwester Annegret schaute herein.

      „Sie schläft“, sagte Dana tonlos. Sie bewegte nur ihre Lippen.

      Die alte Pflegerin nickte.

      „Ich komme später wieder“, flüsterte sie, zog sich zurück und schloss die Tür.

      Dana Härtling dachte an den Freund, den Claudia Meeles vor Peter Werding gehabt hatte. Sie war Hermann Tengg heute in einem Einkaufszentrum begegnet. Er hatte sofort versucht, sie anzumachen und sich mit ihr zu verabreden, aber Typen wie er waren für sie ‘Nein, danke!’. Sie hatte ihm nicht erzählt, wie schlecht es um Claudia stand. Es ging ihn nichts mehr an. Dana wollte sich und ihm die Peinlichkeit ersparen, dass er falsch reagierte und irgendeine blöde Bemerkung machte.

      Sie war zwar nicht aggressiv veranlagt und konnte sich für gewöhnlich gut beherrschen, aber wenn Hermann etwas Falsches gesagt hätte, hätte es leicht passieren können, dass sie ihm vor allen Leuten eine geschmiert hätte.

      „Ich wollte dich immer schon mal auf einen Kaffee einladen“, hatte er ihr gestanden. „Ich habe mich nur nie getraut.“

      „Sehe ich aus, als hätte ich Haare auf den Zähnen?“, hatte sie erwidert.

      „Das nicht.“ Er hatte den Kopf geschüttelt. „Aber du wirkst so stark, so selbstsicher, so unnahbar.“

      „Vielleicht will ich nicht von jedem x-beliebigen Typen angebaggert werden.“

      Er hatte ihr so tief in die Augen gesehen, als würde er sich ganz schrecklich nach ihr verzehren. „Du bist eine Klassefrau, Dana. Was hältst du von einem Cappuccino?“

      „Im Allgemeinen sehr viel ...“

      „Okay, ich spendiere dir einen.“

      „Ich habe keine Zeit.“

      „Ach, komm schon, Dana“, hatte er gebettelt. „Der Kaffee ist doch gleich getrunken. Wir reden ein wenig und ...“

      „Es geht nicht.“

      „Vielleicht ein andermal?“ Hermann Tengg war keiner, der schnell aufgab.

      „Vielleicht.“

      „Morgen?“

      Er hatte Claudia Leid und Enttäuschung zugefügt.

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