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sagen Sie da? Das gibt’s doch nicht. Das muss ein Irrtum sein.“

      Ludwig Brauneder atmete schwer aus.

      „Es ist leider kein Irrtum.“

      Sie saßen einander im Chefbüro gegenüber.

      Peter Werding rang um Fassung. Er war blass geworden und nagte ununterbrochen an seiner Unterlippe.

      „Ärzte sind auch nur Menschen. Und Menschen machen hin und wieder Fehler.“

      „Peter“, sagte Ludwig Brauneder eindringlich. „Es hat keinen Zweck, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen.“

      Der junge Mann schaffte es nicht, länger sitzen zu bleiben. Er sprang auf und raufte sich verstört die Haare.

      „Leukämie. Großer Gott!“Er lief hin und her, konnte sich mit den grausamen Fakten nicht abfinden. „Blutkrebs. Claudia. Wieso? Wieso sie?“

      „Das Schicksal sucht sich seine Opfer nach dem Zufallsprinzip aus“, sagte Ludwig Brauneder bitter. „So bleibt es immer unberechenbar.“

      „Was wird man tun? Kann man Claudia helfen?“

      Ludwig Brauneder zählte die Möglichkeiten auf, die Dr. Härtling ihm genannt hatte.

      „Die Paracelsus-Klinik“, murmelte Peter Werding mit belegter Stimme. „Ist das eine gute Klinik?“

      ,,Ich kenne keine bessere. Wenn man Claudia retten kann, dann nur da.“

      Peter setzte sich wieder. Schweiß glänzte auf seiner Stirn.

      „Wenn sie Ihr Knochenmark und das Ihrer Frau nicht verträgt, soll man meines nehmen“, sagte er krächzend. „Ich werde zu Dr. Härtling gehen und ihm das sagen. Claudia darf nicht sterben.“

      Ludwig Brauneder musterte den jungen Mann dankbar.

      „Sie scheinen sie wirklich sehr gern zu haben.“

      „Ich habe noch nie jemanden so sehr geliebt wie sie.“ Peter sah dem weißhaarigen Mann fest in die Augen. „Ich sage Ihnen was, Herr Brauneder: Gott wird nicht so grausam sein, sie uns zu nehmen.“

      24

      Als sie nach Hamburg gekommen war, hatte sie nicht gewusst, womit sie ihre nächste Mahlzeit bezahlen sollte. Vielleicht wäre sie vor die Hunde gegangen, wenn sie nicht am ersten Tag Jo Dengelmann begegnet wäre. Er hatte sie am Bahnhof aufgelesen wie eine streunende Hündin – hungrig und zerzaust. Er hatte sie mit zu sich nach Hause genommen und ihr zu essen gegeben. Sie durfte sein Bad benutzen, und er kaufte ihr ein paar Klamotten, weil ihre schon so schäbig waren.

      Er hätte sie haben können. Sie hätte mit ihm geschlafen. Es hätte ihr absolut nichts ausgemacht.

      Trotz ihrer Jugend war sie nämlich schon durch so viele Männerhände gegangen, dass ein Mann mehr für sie keine Rolle gespielt hätte. Doch Jo hatte sie nicht haben wollen. Nicht an diesem Tag, wo sie so mager und unattraktiv gewesen war. Er hatte sie erst begehrt, als sie ein wenig mehr Fleisch an die Rippen bekommen hatte. Und dann war sie mit ihm auch ins Bett gegangen – aus Dankbarkeit, und weil sie ihn gemocht hatte.

      Wie viele Jahre lag das inzwischen schon zurück? Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Irgendwann war Jo Dengelmann in finanzielle Schwierigkeiten geraten, und es war für sie eine Selbstverständlichkeit gewesen, ihm da herauszuhelfen. Sie hatte ihren mittlerweile für alle Männer begehrenswert gewordenen Körper verkauft. Einmal. Und noch einmal. Und immer wieder. An Kerle, mit denen Jo sie zusammenbrachte. Gewissensbisse hatte sie deswegen keine gehabt. Als sie in Not gewesen war, hatte Jo ihr geholfen. Nun war Jo in Not, und sie half ihm.

      Einmal brachte Jo sie mit einem betuchten Geschäftsmann zusammen, einem etwas reiferen Jahrgang, der gehörig Federn lassen sollte, wie er meinte. Um den Mann, der sich keinen Skandal leisten konnte, einem Schäferstündchen mit hübschen jungen Mädchen aber niemals abgeneigt war, erpressen zu können, installierten sie im Schlafzimmer eine Videokamera.

      Die Aufzeichnung wäre für sie beide bares Geld gewesen, wenn ihnen das Schicksal keinen Strich durch die clevere Rechnung gemacht hätte.

      Niemand hatte von dem schwachen Herz des reichen Mannes gewusst, deshalb hatte auch keiner vorhersehen können, dass er die Aufregung in Jeanettes Armen nicht übereben würde. Sein Tod hatte eine Menge Probleme aufgeworfen. Jo hatte das Band, auf dem nur Jeanette und dieser Mann zu sehen waren, kassiert und ihr geholfen, den Toten aus dem Haus zu schaffen. Sie hatten ihn in einer bitterkalten Winternacht im Morgengrauen in eines der Hafenbecken geworfen und mit ein paar steifen Grogs zu vergessen versucht.

      Jo hatte versprochen, das Band nie gegen sie zu verwenden (Ihr wäre lieber gewesen, er hätte es vernichtet.), und dieses Wort hatte er bisher auch gehalten. Doch nun ... Er hatte einen Job für sie. Er hatte gepfiffen, und sie musste antanzen, weil er sie sonst hochgehen lassen hätte.

      Die Schatten der Vergangenheit holen einen immer wieder ein, ging es ihr durch den Sinn, während sie zu Jo unterwegs war.

      Sie hasste Jo, weil er sie nicht losließ, weil sie seinetwegen Martin Kant anlügen musste. Wenn Martin davon Wind bekam, war sie ihn und das schöne Leben an seiner Seite, das eben erst begonnen hatte, los. Oh, sie hätte Jo am liebsten ...

      Ein gefährliches Funkeln erschien in ihren Augen. Sollte sie das tun? Sollte sie die Gefahr, die Jo Dengelmann zweifellos für sie darstellte, eliminieren?

      Das schaffst du nicht, ging es ihr durch den Sinn. Er würde merken, was du vorhast, und den Spieß umdrehen. Außerdem wäre dir mit seinem Tod nicht gedient, solange das Videoband weiter existiert.

      Sie betrat das Haus, in dem er wohnte, trug ein hübsches Chanel-Kostüm, das Martin ihr gekauft hatte, und eine Perücke mit rotblondem glattem Haar. Ihre wirkliche Haarfarbe war brünett.

      Als sie an der Tür von Philomenas Apartment läutete, öffnete Jo Dengelmann. Er wollte sie umarmen, doch sie ließ es nicht zu, legte ihm die Hand auf die Brust und drückte ihn von sich, als hätte sie Angst, er könnte ihr neues Kostüm schmutzig machen.

      Er musterte sie von Kopf bis Fuß.

      „Du siehst fantastisch aus.“

      Sie trat ein. „Ich kann nicht lange bleiben.“

      „Möchtest du was trinken?“

      „Orangenjuice.“

      Jo staunte. „Orangenjuice?“ Er lachte. „Früher hast du in rauen Mengen Whisky geschluckt.“

      Sie gingen ins Wohnzimmer. Jeanette beobachtete kurz die Zierfische im Aquarium, dann setzte sie sich auf ein chintzbezogenes Sofa und schlug die langen, makellosen Beine züchtig und damenhaft übereinander.

      „Das war früher“, sagte sie ernst.

      Jos Blick war starr auf ihre Beine gerichtet.

      „Wie heißt der klösterliche Orden, dem du beigetreten bist?“

      „Würdest du bitte ohne Umschweife zur Sache kommen?“

      „Ich habe keinen Orangenjuice im Haus.“

      „Ich werde es überleben.“

      Jo nahm sich einen Whisky.

      „Du siehst noch besser aus als früher.“

      „Ich führe jetzt ein besseres Leben.“

      „Und wer finanziert das?“

      „Das möchte ich nicht sagen.“

      „Warum nicht?“ Er trank. „Seit wann hast du Geheimnisse vor mir? Befürchtest du etwa, ich könnte deinen neuen - offenbar reichen - Freund zu erpressen versuchen?“ Er nahm noch einen Schluck Whisky. „Wir waren mal ein gutes Team, Jeanette. Wir hätten zusammen viel erreichen können. Das Schicksal hatte aber leider andere Pläne mit uns, es hat uns getrennt.

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