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      „Warum haben Sie denn das untersucht?“

      „Verehrte Frau Hauptkommissar, dank des komplizierten deutschen Erbrechts hängt an solchen Kleinigkeiten oft viel Geld in Form von Pflichtteilen.“

      „Nach einem Todesfall.“

      „Na klar doch. An dem der Erbende nicht aktiv beteiligt sein darf.“

      Lene erinnerte sich an die merkwürdige Formulierung im Testament der Ulrike Stumm. Auf der anderen Seite bestimmte das Erbrecht auch, dass ein Kind als ehelich galt, wenn die Eltern eine bestimmte Frist vor und nach der Geburt amtlich verheiratet waren und zusammen gelebt hatten. Aber das zu klären, war nicht ihre Aufgabe. Auf der Treppe ging sie langsamer. Irgendwie tröstete sie der Gedanke, Alexander Stumm könne gewusst haben, dass Meike ein Kuckuckskind war und er nicht seine leibliche Tochter missbraucht hatte. „O Lene“, stöhnte sie vorwurfsvoll, „du und deine Moral.“

      Achtes Kapitel

      Von der Löbelstraße zum Bienenkorb in der Kanalstraße waren es höchstens fünf Minuten Fußmarsch, aber KK Ingo Baratsch meinte, es sei auf jeden Fall besser, ein Auto dabei zu haben. Und seine Rostlaube auf vier abgefahrenen, praktisch profillosen Reifen würde kein Mensch als ein Auto der Kriminalpolizei erkennen. Das Büro des Bordells war schon besetzt und eine junge Dame erklärte ihnen, ihr Chef Kurt Venna sei wohl noch zu Hause.

      „Löbelstraße 55, ich weiß“, sagte Lene träge. „Wir beobachten ihn schon länger.“

      Der keine Trick funktionierte, als sie gegenüber dem Haus einparkten, verließ eine junge Frau eilig das Haus.

      „Moment mal“, sagte Baratsch aufgeregt, „die kenne ich doch.“

      „Wen?“

      „Die Brünette in den engen, gestreiften Hosen da drüben.“

      „Und woher“, fragte Lene so neugierig wie indiskret.

      „Mia hat sie mir gezeigt … ich weiß wieder, wo und wer. Sie heißt Sofia mit Vornamen und arbeitet als EDV-Technikerin in der Einsatzzentrale im Krötengraben.“

      „Na prima“, sagte Lene energisch. „Hinterher! Mit Venna werde ich allein fertig.“

      Der kam in aller Seelenruhe an die Wohnungstür geschlurft und weil er keine Spur von Überraschung zeigte, vermutete Lene, dass die junge Frau aus dem Bordellbüro ihn angerufen hatte. Er wollte nicht einmal Lenes Dienstausweis sehen. „Was kann ich für Sie tun?“

      „Ich möchte mit Sylvia Köhler sprechen, Herr Venna.“

      „Sylvia wohnt schon lange nicht mehr hier.“

      „Und wo finde ich sie jetzt?“

      Er holte ein zerknittertes Merkbuch aus einer Hosentasche und blätterte. Lene grinste verstohlen. Sie glaubte dem schlechten Schauspieler keine Sekunde, dass er die Adresse erst nachschlagen musste.

      „Pelzerstraße 39.“

      Die lag am Stadtrand und Lene ärgerte sich, dass sie Baratsch mit dem Auto fortgeschickt hatte und nun wieder Taxi fahren musste.

      Die Pelzerstraße 39 war ein kleines Reihenhaus mit einem bunten Vorgarten und einem leeren Carport. Lene klingelte mehrmals vergeblich und ging zur Straße zurück. Dort wartete ein vielleicht zwölfjähriger Junge auf sie: „Wollten Sie zu Sylvia Köhler?“

      „Ja.“

      „Da haben Sie Pech, die ist verreist!“

      „Woher weißt du das?“

      „Vor einer Viertelstunde ist sie mit einem großen Koffer aus dem Haus gekommen und da hab’ ich sie gefragt, ob sie verreist. Sie hat ‚Ja‘ gesagt, den Koffer hinten ins Auto gelegt und ist losgefahren.“

      „Hm. So ein heller Junge wie du weiß doch bestimmt, was für ein Auto sie fährt und welche Farbe das hat.“

      „Na klar“, sagte er stolz. Ein VW Polo himmelblau, Baujahr 2014.“

      „Sag’ bloß, du weißt auch noch das Kennzeichen.“

      „Aber sicher. T-SK 1413.“

      „Ich danke dir, du hast mir sehr geholfen.“

      „Bitte, bitte.“

      Lene rief sofort in der Einsatzzentrale an. „Gesucht wird eine Sylvia Köhler, unterwegs in einem himmelblauen VW Polo ungefähr Jahrgang 2014. Kennzeichen T-SK 1413. Zu mir ins Präsidium zwecks Vernehmung.“

      Die Frau antwortete gelassen: „Geht in Ordnung, Frau Schelm.“

      Lene bestellte sich ein Taxi und saß gerade an ihrem Schreibtisch, als die KvD anrief: „Sie haben sich eben nach einer Sylvia Köhler erkundigt?“

      „Ja.“

      „Wir haben sie, respektive ihren Polo. Sieht aber nicht sehr gut aus.“

      „Was soll das heißen?“

      „Unfall mit Fahrerflucht, Mainzer Landstraße Höhe der Alzeystraße.“

      „Bitte einen Wagen.“

      „Der wartet schon auf Sie.“

      Lene schnappte sich Mia, die sich verfärbte, als ihre Chefin sie anblaffte: „Verdammt, Mädchen, wo hast du deine Waffe?“ Mia hatte Angst vor der Pistole, aber das wollte sie nicht zugeben.

      Die beiden Wagen waren genau in der Mitte der Kreuzung zusammengestoßen. Ein Tankwart hatte den Unfall beobachtet: „Der kleine Blaue ist bei Rot ungebremst in die Kreuzung gefahren. Der Lieferwagen hatte keine Chance zu bremsen oder auszuweichen.“

      „Was ist mit dem Fahrer des Lieferwagens?“

      „Den musste die Feuerwehr aus dem Trümmerhaufen herausschneiden.“

      „Wird er überleben?“

      „Vielleicht.“

      „Und was ist mit dem Fahrer des blauen Polo?“

      „Der Fahrerin“, verbesserte der Kollege. „Der ist wohl wenig oder gar nichts passiert. Die soll über das Feld da Richtung Wald gelaufen sein.“

      Nach dem Unfall noch gelaufen? Das grenzte an ein Wunder.

      Lene ging vorsichtig auf das Wrack zu und schaute hinein. Keine Spur von einem Koffer. Doch der Deckel des Kofferraums war aufgesprungen und da lag ein beachtlich großer Metallkoffer aus Aluminium.

      „Kollegen“, rief Lene laut. „Dieses gute Stück bitte unbedingt sofort in die KTU. Wahrscheinlich ist da drin der Grund verborgen, warum sie wie eine Verrückt gerast ist. Hinter diesem Koffer bin ich her.“

      „Etwas groß für Sie, finden Sie nicht auch?“, fragte ein Neuling, der noch nicht wusste, wann man der Hauptkommissarin nicht mehr dumm kommen durfte.

      Aber Lene schwieg, nahm Mia an die Hand und ging mit ihr quer über das Feld auf den kleinen Wald zu. Es begann zu dämmern. „Auch wenn Sylvia sich nichts gebrochen hat, ohne Prellungen ist es bestimmt nicht abgegangen und dann kommt sie nicht weit.“

      „Sollten wir nicht auf eine Hundestaffel warten?“

      „Bis die da ist, wird es dunkel.“ Vor ihnen tauchten dunkle Gebäude auf. „Ein verlassener Hof. Gerade richtig, um sich zu verstecken und auf Hilfe zu warten.“

      „Woher soll hier Hilfe kommen.“

      „Mia, sie wird ein Handy haben.“

      Die Haustür stand weit offen. Lene und Mia gingen vorsichtig hinein und setzten sich so, dass sie die Haustür und den Flur beobachten konnten, solange es noch hell war. In dem alten Gebäude knackte und knisterte es bedrohlich. Nach einer knappen Stunde hörten sie, dass ein Auto auf dem Hof bremste, zwei Türen klappten, Schritte kamen näher. Lene hatte keine Ahnung, warum Mia plötzlich zu keuchen und zu stöhnen und zu ächzen begann und

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