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ihm losgesagt hatte. Jesus, der Lehrer in der Synagoge; Jesus, der das Reich Gottes verkündigt in Worten und kraft des Geistes durch Heilungen; Jesus, der in Gleichnissen spricht; der sterbende Jesus am Kreuz und der auferweckte Jesus nennt Gott schlicht Vater.

      Es muss für den gebildeten Schreiber des Lukasevangeliums faszinierend gewesen sein, dass Jesus Gott Vater nennt. Lukas selbst kam aus der griechischen Welt und er kannte sich mit dem griechischen Götterhimmel gut aus. Der Unterschied zwischen Göttern und Menschen ist fundamental, auch wenn etwa Zeus mit Menschen „verkehren“ kann. Lukas war angezogen von der jüdischen Religion. Ihn beeindruckten die Tora und das besondere Verhältnis Gottes zu seinem Volk Israel. Der jüdische Glaube verehrte einen Gott, und das war Lukas sympathisch. Dass aber ein Jude wie Jesus Gott mit Vater anspricht und er von Gott sein Sohn genannt und nachösterlich von vielen als Gottes Sohn geglaubt wird, stellte alles bisherige griechische – und auch jüdische – Denken und religiöse Verhalten auf den Kopf. Lukas, der Heide, erkannte, dass die Verkündigung des Reiches Gottes durch Jesus von seiner engen Verbindung und Vertrautheit mit Gott herrührte. Jesus lebte eine Liebe zu Gott, die Gottes Menschenfreundlichkeit erlebbar machte.

      Jesus nennt Gott Vater, weil er sein Vater ist und weil alle Menschen im Reich Gottes zu Gott Vater sagen können. Über Jesu Tod hinaus hat seine Verkündigung des Reiches Gottes immer wieder eine starke Energie freigesetzt, Gott zu lieben und den Mitmenschen wie sich selbst. Das ist die gute Nachricht:

      Wir alle gehören zu einer Familie, sind Schwestern und Brüder Jesu Christi und haben Gott zum Vater.

      Wenn Sie möchten, denken Sie kurz über die folgenden Fragen nach: Wenn Sie beten, wie sprechen Sie Gott an? Nennen Sie Gott Vater? Schwingt in Ihrer Anrede und in Ihrem Gebet etwas mit von der Nähe und Intimität, die das Wort Vater enthält?

       Vater, vergib

      Der anglikanische Domprobst Richard Howard ließ diese beiden Worte Vater, vergib im Chorraum der durch deutsche Bombenangriffe im Herbst 1940 völlig zerstörten Kathedrale in Coventry einmeißeln. In Schmerz, Wut und Trauer über die Zerstörung blickte er auf Christus, erinnerte sich seiner Bitte: „Vater, vergib“ und stiftete den Anfang einer noch heute anhaltenden Versöhnungsbewegung. Der Domprobst nutzte die Zerstörung durch die Angreifer nicht für Rachegelüste, sondern sah in den Feinden Menschen, die sich ins Böse verstrickt hatten und wie jeder Mensch – und wie jedes Volk – der Vergebung bedürfen. Es gibt keinen Neuanfang ohne Vergebung. In der Bitte für den Feind wird der Feind zum Menschen – und auch die eigene Fähigkeit zur Schuld anerkannt. Später wurde daraus das bekannte Coventry-Gebet: Vater, vergib formuliert. Es wird jeden Freitag um 12 Uhr in der Coventry-Ruine und weltweit in vielen Versöhnungsgemeinschaften, den Nagelkreuzzentren, gebetet:

       Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten. (Römer 3, 23)

      Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse, Vater, vergib.

      Das Streben der Menschen und Völker zu besitzen, was nicht ihr Eigen ist, Vater, vergib.

      Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet, Vater, vergib.

      Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der Anderen, Vater, vergib.

      Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen, Heimatlosen und Flüchtlinge, Vater, vergib.

      Die Gier, die Frauen, Männer und Kinder entwürdigt und an Leib und Seele missbraucht, Vater, vergib.

      Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott, Vater, vergib.

       Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebet einer dem anderen, wie Gott euch vergeben hat in Jesus Christus. (Epheser 4, 32)

      Wenn Sie möchten, denken Sie kurz über die folgenden Fragen nach: Welcher Mensch fällt Ihnen ein, mit dem ein klärendes Gespräch ansteht? Hindert Sie Ihr Stolz, es zu führen? Ist die Verletzung so groß, dass es keine Brücke mehr zum oder zur anderen gibt? Können Sie sich vorstellen für diesen Menschen zu beten: Vater, vergib ihm? Vater vergib ihr?

       Vater, vergib ihnen

      Mit der Vergebungsbitte wendet sich Jesus am Kreuz an seinen Vater. Ich höre diese Worte auch als Verzweiflungsschrei, nicht abgeklärt oder emotionslos nüchtern, sondern auch als schmerzhaftes Eingeständnis, dass sein Leben und seine Mission hier enden. Menschlich gesehen ist Jesus gescheitert. Und dennoch: Trotz seines Schmerzes sieht Jesus in seinen Mördern Menschen. Sie sind fern vom Reich Gottes. Sie sind verblendet. Jesus leidet an ihnen und unter ihnen. Jesus lässt sich durch seine Peiniger nicht zum Opfer machen. Das Gebet für seine Mörder schafft in ihm einen Raum, sie als Menschen zu sehen. Wohlgemerkt, Jesus sagt nicht zu seinen Peinigern: „Ich vergebe euch!“ Jesus appelliert an die Barmherzigkeit seines Vaters. Sie hebt die Untat nicht auf, gewährt aber auch denen, die Böses tun, eine Zukunft.

      In seiner größten Versuchung hält Jesus das Böse aus, lässt sich nicht von der Gewalt brechen und überwindet sie damit. Jesus vertraut in allem dem Vater. In diesem Vertrauen gelingt es ihm, sein Sterben anzunehmen und den Gewalttätern nah zu sein, nicht als Opfer, sondern als freier Mensch. Sie können ihm – so paradox es klingt – in Wahrheit nichts antun, da Jesus sein Vertrauen zu seinem Vater durchhält.

      Im Gebet: „Vater, vergib ihnen“ klingt schon etwas Österliches mit, ist schon die Auferstehung präsent. Die Gebetsworte sind von Verzweiflung und Hoffnung getränkt. Gerade deshalb sind sie eine sprudelnde Quelle für unseren Glauben und unser Leben.

      Wenn Sie möchten, denken Sie kurz über die folgenden Fragen nach: Kennen Sie die Erfahrung, in einer Krise dennoch gelassen zu sein, weil Sie sich auf unerklärliche Weise mit allen Menschen, der Schöpfung und dem Göttlichen verbunden fühlen ?

       …denn sie wissen nicht, was sie tun

      Dieser Satz ist keine Entlastung und Entschuldigung für die Mörder und Peiniger, vielmehr wird hier ein biblischer Realismus auf den Punkt gebracht: Der Mensch ist ein Sünder. Der Mensch ist in das Böse verstrickt, ob er es weiß oder nicht.

      Gerade heute wird uns das immer mehr bewusst, dass es unmöglich ist durch unser Verhalten ein unschuldiges Leben zu führen.

      Gleichzeitig wissen wir gar nicht – und in diesem Sinne wussten es auch seine Mörder und Peiniger nicht – was wir tun. „Sie, wir, wissen das nicht, weil das Böse in seiner Unmenschlichkeit gar nicht in einem genauen Sinn gewusst und nur abgründig verblendet gewollt werden kann – und so aber tatsächlich gewollt wird.“ (Koch, Jesus, S. 296)

      Das ist die Macht der Sünde, der sich kein Mensch entziehen kann. Darin sind wir alle gleich. Allein die Liebe kann diese Macht durchbrechen. Dostojewski schreibt in seinem Roman Die Brüder Karamasow: „Liebt den Menschen auch in seiner Sünde, denn nur eine solche Liebe wäre ein Abbild der Liebe Gottes und die höchste irdische Liebe.“

      Wenn wir die Liebe Jesu, die er im Gebet für seine Mörder zeigt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ nicht ins Leere laufen lassen, dann sehen wir in den Menschen, die uns absichtlich oder unabsichtlich geschädigt haben, fehlbare Menschen, wie wir es selbst sind. Gottes Geist vermag in uns eine Liebe wecken zu denen, die an uns schuldig geworden sind. „Vater, vergib uns unsere Sünden, denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird“ überliefert Lukas Jesu Worte an seine Jüngerinnen und Jünger.

       Seid barmherzig

      Das erste Wort Jesu am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ ist nicht nur ein historisches Wort, dem wir distanziert begegnen können. Es ist ein geschichtliches Wort, das je auf seine Einlösung durch uns wartet. Lasst uns barmherzig miteinander umgehen: Das ist der Weg der Nachfolge. Jesus fordert seine Jüngerinnen und Jünger dazu auf: „Seid barmherzig wie auch euer himmlischer Vater barmherzig

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