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dem kleinen Video, das sie gemacht hat. Spoiler-Alarm: Es bleibt unscharf und zappenduster.« Er ließ das Video laufen. Man erahnte die Marienklause, auf die sich die Filmende zubewegte. Man hörte sie leise amten. Dann schwenkte die Kamera herum, Polina kam ins Bild. Sie lachte. »Jetzt wirds bald spannend!«, sagte sie und machte noch »Huaah«, als würde sie sich gruseln. »Mal schauen, wie die Geschichte weitergeht.« Sie lachte noch einmal und drehte die Kamera wieder zur Marienklause. Man hörte, wie sie sagte: »Ich kanns irgendwie noch nicht glauben, dass ich echt jetzt hier bin …« und »Ich bin schon soo gespannt. Pops, pops, pops. Pops Twentythree. Das wird echt …« Sie war nun hinter der Klause und brach mitten im Satz ab, als man einen dumpfen Schlag hörte. Das Bild begann zu wackeln, die Kamera fiel zu Boden. Dann wurde alles schwarz.

      »Ende«, sagte Froggy. »Der Täter muss bemerkt haben, dass sie filmte, und hat das Telefon sofort zerstört, vermutlich zertreten.«

      »Sie scheint keine Angst zu haben«, sagte Pfeffer. »Es wirkt so, als freute sie sich auf ein Zusammentreffen mit wem auch immer. Wer oder was ist ›Pops Twentythree‹? Okay, Leute, Kollege Erdal Zafer ist für alle der Ansprechpartner, was mit Social Media und so weiter zu tun hat. Froggy, du sammelst das alles. Bitte checken, welche Follower ­Polina hatte, vor allem auch, wen sie geblockt hatte und wer sie geblockt hatte. Vielleicht kommen wir so weiter. Gut. Was ist mit den Eltern?«

      »Die sind momentan im Heimaturlaub in Kasachstan«, sagte Bella Hemberger, »in Nursultan, dem einen oder anderen noch unter einem der alten Namen Astana oder auch Zelinograd oder Aqmola bekannt, die benennen ihre Hauptstadt alle naselang um. Die Kollegen dort versuchen, sie aufzutreiben. Bislang nicht gelungen.«

      Pfeffer blätterte in den Unterlagen und zog den Bericht über den silbernen Armreif hervor, den er bei der Ermordeten gefunden hatte. »Bevor ich alles lese …«, sagte er und ließ den Satz offen stehen.

      Ein Kollege von der Spurensicherung fühlte sich sofort angesprochen. »Der Armreif ist eine klassische Silberlegierung aus 925er Silber, also Sterlingsilber. Ist auch so punziert. Die anderen Punzen sind aus Syrien. Der Reif ist die Replik eines antiken Armreifs, versiegelt mit einem normalen Zweikomponentenlack, ein haltbarer Anlaufschutz. In der Innenseite befindet sich eine Gravur auf Arabisch. Es ist ein Name: Elvedin. Ein Männername. Interessant sind die beiden Widderköpfe an den Enden. Der eine lässt sich nämlich abschrauben. Darin haben wir das gefunden. Einen zusammengerollten Zettel, auf dem ›Pops23‹ steht.« Er strahlte, als er eine Klarsichttüte mit dem Zettel über den Tisch schob. »Das, was die Ermordete kurz vor ihrem Tod sagte. Es ist übrigens nicht die Handschrift der Ermordeten. Fingerabdrücke? Ja. Von unserer Toten und noch einige Fragmente, die leider zu spärlich sind, um sie zuweisen zu können. Und dann haben wir noch einen guten Abdruck von Elvedin selbst. Einen auf dem Reif und einen auf dem Papier. Dieser Elvedin ist offenbar der Eigentümer des Armreifs. Er heißt Elvedin Saqqaf. Den haben wir in der Datenbank gefunden. Er ist vor drei Jahren erfasst worden, als er in Deutschland den Asylantrag gestellt hat. Müsste in einer der Münchner Asylunterkünfte zu finden sein. Bayernkaserne oder so.«

      »Könnte der identisch mit unserem Hamed sein?«, fragte Bella Hemberger.

      »Nein«, der Kollege schüttelte den Kopf. »In der Datenbank sind auch Fotos von Elvedin Saqqaf, der sieht diesem Hamed und dem indischen Schönling nicht mal ansatzweise ähnlich.«

      »Gut, das checkst du, Froggy«, sagte Pfeffer. »Noch was?«

      »Ja, wir haben Spuren von Erde am Reif gefunden. Marginal, aber dennoch. Es ist also davon auszugehen, dass der Armreif zumindest mal auf dem Erdboden gelegen hat.«

      »Also kann Polina ihn irgendwo beim Spazierengehen gefunden und aufgehoben haben«, sagte Pfeffer. »Trotzdem, warum versteckt sie ihn? Das wird immer seltsamer hier, oder? Was hat ein kasachisches Kindermädchen, das auf einen bollywoodesken Schönling namens Hamed steht, mit dem Schmuck eines syrischen Asylbewerbers zu tun?«

      »Und das in unserem schönen München«, fügte Bella sarkastisch hinzu.

      Die Morgenbesprechung brachte noch ein paar weitere Erkenntnisse: Mehrere Zeugen hatten Polina Komarowa in Clubs an der Sonnenstraße gesehen. Zuletzt der Barmann vom Harry Klein um kurz nach drei Uhr früh. Es habe getanzt, das Mädchen mit den langen Haaren. Alleine, soweit er das beurteilen konnte. Die Durchsuchung von Papierkörben, Kanalschächten, kleinen Gehölzen, Altkleidercontainern und so weiter hatte bislang nichts gebracht, keine Kleidungsstücke, kein Messer, kein Handy. Ebenso waren die bisherigen Tauchgänge in der Isar und im Auer Mühlbach erfolglos gewesen.

      16

      Als sie in den frühen Morgenstunden nach Hause kamen, bemerkten sie zunächst gar nicht, was passiert war. Als Erster stand Lucky auf. Den Schlaf aus den Augen reibend, trabte er ins Bad, um zu bieseln. Dabei fiel ihm auf, dass die Tür zu Polinas Zimmer einen winzigen Spalt offen stand. Das Polizeisiegel war durchtrennt worden. Lucky bekam eine Gänsehaut und war nun wacher als wach.

      »Becky!«, schrie er und stürzte ins Zimmer seiner Mitbewohnerin.

      »Wassn?« Becky versteckte ihren Kopf unter dem Kissen. »Hau ab, Lucky, und lass mich noch schlafen.«

      »Becky!« Lucky riss ihr die Bettdecke weg. »Bei uns ist eingebrochen worden!«

      Zwanzig Minuten später saßen Lucky und Becky in der Küche, rauchten Kette und tranken entweder Kaffee (Becky) oder abwechselnd Kaffee und Erdbeermilch (Lucky). Kriminalrat Pfeffer und Hauptkommissarin Hemberger kamen in die Küche, um der Spurensicherung in Polinas Zimmer nicht im Weg zu stehen.

      »Gut, dass Sie uns gleich angerufen haben«, sagte Pfeffer. »Und Sie haben nichts angefasst?«

      Lucky und Becky schüttelten unisono den Kopf. »Die waren auch hier in der Küche«, sagte Becky dann. »Da im Regal haben sie alle Dosen und Gläser aufgemacht.«

      »Und im Bad auch«, fügte Lucky hinzu. »Und die waren bei mir im Zimmer! Während ich geschlafen habe.«

      »Woher willst du das denn wissen?«

      »Meine asiatische Winkekatze stand nicht so da, wie ich sie hinstelle«, erklärte er.

      »Du bist besoffen heute Nacht dagegengekommen …«

      »Nein. Ich bin mir sicher. Sie steht immer gleich!«

      »Scheiße, ob das das Kanakenpack von der Brücke war?«, sagte ­Becky und umschlang ihre Knie mit den Armen. Ihre roten Locken fielen halb vor ihr zartes Gesicht. Auf Nachfrage erklärte sie, dass sich direkt gegenüber von ihrem Balkon drei oder vier (so genau wusste sie das nicht) Obdachlose eingenistet hatten. Vor dem Haus begann die Candidbrücke, die den Mittleren Ring hinauf auf den Giesinger Berg zur Tegernseer Landstraße führte. Unter einem Teil der Brücke befand sich ein großer Parkplatz. Die Brückensäulen waren auf Wunsch der Stadt von Streetartkünstlern bemalt worden, um dem unschönen Ort ein wenig Farbe zu geben. Hier standen immer auch einige alte Wohnmobile oder stillgelegte Transporter, in denen Menschen lebten. Wer es nicht einmal zu einem Wohnmobil gebracht hatte, schlief ganz am Anfang der Brücke zwischen Autos und Mauer. Pappkartons und Deckenberge zeugten von ihrer Anwesenheit. »Von denen sind mal zwei in die Wohnung unter uns eingestiegen. Oder wollten das. Das habe ich von oben gesehen«, fuhr Becky fort. »Die sind die Regenrinne hochgeklettert. Ich hab die sofort angeschrien, und dann sind sie wieder runtergesprungen und weggerannt. Seitdem lassen wir die Balkontür nicht mehr auf, wenn niemand auf dem Balkon ist. Wer weiß …«

      »Wurde die Balkontür aufgebrochen?«, fragte Max Pfeffer.

      Lucky deutete wortlos hin. Sie war unversehrt.

      »Eben«, sagte Pfeffer. »Es gibt nirgendwo Einbruchsspuren. Das bedeutet, dass der Täter einen Schlüssel hatte. Ich vermute stark, dass es Polinas Schlüssel ist.«

      »Wir müssen sofort das Schloss austauschen«, flüsterte Becky.

      »Es sieht ganz danach aus, dass der oder die Täter gezielt in Polinas Sachen nach etwas gesucht und vielleicht auch gefunden haben. Wer weiß. Ihr Schmuck ist jedenfalls noch da«, sagte Pfeffer. »Was könnten die Täter Ihrer Meinung nach gesucht haben?«

      Becky

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