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ein Jahr später vor Westafrika nicht. Wieder kam die See an Bord, riss mich und Peter von den Beinen und spülte uns über Deck. Ich konnte mich noch an dem schweren eisernen Rollenblock einer Talje festhalten, aber Peter wurde erst von der Reling gestoppt, die damit ihre Aufgabe erfüllte. Aber jetzt verstand ich, wie Seeleute auf Nimmerwiedersehen über Bord gewaschen werden können und wie ungeheuer schnell das geht!

      Als dann die Nacht da war, verschwand alles in der Finsternis und die Wellen waren nur noch im Schein der Schiffsbeleuchtung zu sehen. Das wirkt immer unheimlich, da sie Seen wie aus dem Nichts auftauchen und wegen der geringen Beleuchtung nur in Ausschnitten zu sehen sind. Auch von der Fahrt ins Tal erkennt man nichts, das Schiff scheint in einen dunklen Abgrund zu fallen. Mit etwas Glück sieht man die Schaumkrone aufleuchten, die die nächste Welle ankündigt. Sie erscheint noch höher als am Tage, denn ist das Meer schon während der Helligkeit dimensionslos, so ist es dies während der Nacht besonders. Der Blick in den Himmel dagegen war Schwindel erregend. Die Sterne vollführten einen tollwütigen Tanz, hielten keine Position und der Mast torkelte wie ein schwer Betrunkener vor dem dunklen Firmament in wüsten Kreisen hin und her.

      Ich begab mich unter Deck, machte mir noch eine Flasche Bier auf und verschwand dann für diese Nacht in der Koje. An Schlaf war natürlich nicht zu denken. Ständig wurde ich im Bett herumgestoßen, das Gepolter der See machte mich immer wieder wach, sackte ich gerade mal ein wenig weg, veranstalte irgendeine ungebärdige Welle einen besonderen Aufruhr und schon war ich wieder in der Wirklichkeit. Das ständige Liegen auf dem Rücken bereitete mir mit der Zeit Kreuzschmerzen und so rollte ich mich ab und zu einmal rundum. Auf der Seite zu liegen war ein Ding der Unmöglichkeit, ich wurde entweder sofort auf den Bauch oder zurück auf den Rücken geworfen. So schlichen die Stunden dahin. Kontrollen der Uhrzeit zeigten aber, dass ich doch immer mal wieder für eine halbe oder eine ganze Stunde eingeschlafen sein muss. Aufgefallen ist es mir aber nicht.

      Ein neuer Tag. Aber wie sah es draußen aus! Die Bewegungen, das ständige Stampfen und Rollen des Schiffes hatten nicht nachgelassen. Bei Nachfrage erzählte mir der Käpt’n, dass wir in der Nacht viele schwere Böen der Stärke 10 gehabt hätten. Der Himmel war an diesem Tag grau in grau, die See grau und mit weißen Gischtstreifen wild überzogen, die vorbeifliegenden Gischtfetzen graue, hässliche Wolken, die das Deck einnässten und uns mit kalten, feinen Tröpfchenschleiern überzogen.

      Eigentlich sollten wir jetzt in Kiel einlaufen, aber wir standen gerade mal querab Gedser Rev, hatten mithin erst zwei Drittel der Strecke geschafft. Nach und nach erschienen die Kameraden an Deck und fragten sich, was sie hier eigentlich wollten. Ein schnelles Brot auf die Hand, eine Zigarette und dann? Untätigkeit ist das Schlimmste, was es an Bord geben kann. Niemand hat während einer Forschungsreise etwas gegen einen gelegentlichen freien Tag. Da kann man Ausschlafen, Briefe oder Karten schreiben, die Wäsche richten usw. Aber nichts zu tun zu haben und dann noch schlechtes Wetter. Nein Danke! Michael – früher bei der Bundeswehr auf der „Gorch Fock“ gefahren und daher einiges gewohnt - erschien an Deck, schaute sich den Spektakel angewidert an, meinte nur „Mein Gott, wie trostlos!“, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder in seiner Koje. Ja, das war eine wirklich gute Idee und so wurde das Deck geräumt.

      Aber nichts dauert ewig. Bis zum Mittag hatten wir uns bis nach Fehmarn durchgekämpft, wo sich der Kapitän entschloss, durch den Fehmarnsund und unter Landschutz nach Kiel zu fahren. Der Seegang ließ fast schlagartig nach. Das Schiff belebte sich wieder, alles kam aus den Kojen an Deck, um frische Luft zu atmen. Auch die Mannschaft erschien wieder vollständig auf der Bildfläche und ging irgendwelchen kleineren Arbeiten nach. Wir schauten in die Labore, um zu prüfen, ob alles heil geblieben war. Der Koch entschloss sich, seine Küche wieder in Betrieb zu nehmen und richtete noch ein warmes Mittagessen für alle. Kurz, das Leben zog wieder in die Räumlichkeiten von „Alkor“ ein. Mit neun Stunden Verspätung liefen wir dann in die Kieler Förde ein, waren kurz danach fest und um einige Erfahrungen reicher.

       Der Atem des Ozeans

      Von allen Phänomenen der See gehört die Dünung zu den mir liebsten Erscheinungen. Jene – nach Maupassant – „mächtigen und trägen langen Wellen, jene Wasserhügel, die einer nach dem anderen, geräuschlos, ohne Erschütterung, ohne Schaum, wutlos drohend, durch ihre Stille erschreckend heranrollen.“

      Gleich die erste Begegnung wurde zu einem Schlüsselerlebnis. Auf meiner Fischereifahrt führte unser Weg nördlich an Schottland vorbei. Wir passierten den Pentland Firth mit seinem aufgeregten, quirligen Wasser, den steilen, kurzen Wellen und unmöglichen Strömungen. An Backbord lag die schottische Küste als graue Landmasse mit pittoresk vorgelagerten Felsnadeln, den Duncansby-Stacks, die dem hellen, schaumigen Wasser einer nicht unbedeutenden Brandung entstiegen. Ein weißer Leuchtturm, grüßte zu uns herüber. Steuerbords war anfangs im Dunst ebenfalls schemenhaft Land zu erkennen, die Orkneyinseln, die aber bald achteraus zurückblieben.

      Nachdem wir später eine prominente Felsnase passiert hatten – lass es Kap Wrath gewesen sein oder irgendeine andere Ecke, ich weiß es nicht mehr – öffnete sich der Blick auf den freien Atlantik und ein erster mittelhoher, sich anscheinend über den gesamten Seespiegel hinziehender Wellenzug wanderte auf das Schiff zu, nahm es sanft auf seinen Rücken und setzte es wieder im Tal ab. Dann kam der nächste Wellenkamm, dann noch einer und noch einer. Wir waren in den Bereich der Atlantikdünung gelangt. Da sich außerdem das triste, graue Wetter plötzlich besserte und Licht und Helligkeit auf uns und die See fiel, schien es mir, als sei ein Vorhang aufgezogen worden und eine völlig andere Bühne würde vor uns geöffnet.

      In diesem Moment formte sich in meinem Geiste meine Vorstellung von dem Begriff „Ozean“. Wenn ich heute über den Ozean spreche, so steigt automatisch dieses oder ein ähnlich komponiertes Bild in meinem Kopf auf. Mögen der Himmel und das Aussehen oder die Farbe der See auch den Wandlungen des Wettergeschehens unterliegen, die Dünung gehört als unverrückbarer Bestandteil dazu. Ohne Dünung kein Ozean. Natürlich ist das in einem objektiven Sinne nicht richtig, denn es gibt Zeiten auf dem Ozean, wo er keine Dünung zeigt und andererseits sind Dünungserscheinungen durchaus auch in der Nordsee, ja sogar in der Ostsee möglich. Vielleicht nicht so gewaltig, aber durchaus vorkommend. Dennoch verunsichert mich dieser scheinbare Wiederspruch nicht: Es gibt immer zwei Wahrheiten auf dieser Welt, die so genannte objektive, von allen erfahr- und beschreibbare und die für einen Menschen wichtigere Wahrheit des subjektiven Erlebens.

      Die Dünungswellen legen Zeugnis von den Stürmen auf dem Meer und der geballten Wut des Windes. Wenn die Wellen die Kinder des Windes sind, so ist die Dünung die Enkelgeneration, denn die Wellen werden durch Wind geboren, Dünung jedoch durch Wellen.

      Lassen wir es harmlos anfangen. Zunächst kräuselt nur ein leichter Luftzug die ruhige Wasserfläche, aber die Wetterkarte zeigt ein gewaltiges Tief, geradezu ein Druckloch in der Atmosphäre. Die Isobaren liegen eng beieinander, also starke Druckdifferenzen auf kurze Entfernung – in der Fachsprache Druckgradienten genannt -, oder einfacher: Starker Wind ist zu erwarten. Der noch sehr leichte Wind reibt an der Wasseroberfläche und erzeugt auf dem hier vorausgesetzten völlig glatten Meer erste sehr kleine Wellen, die Kappillarwellen, häufig auch als „Katzenpfoten“ bezeichnet.

      Nun kommt es näher, der Wind legt zu, größere Wellen formen sich, das Meer überzieht sich mit Schaumköpfen. Die Wogen gehen höher und höher, der starke Wind packt nun in die Wasserwände wie in Segel, die Reibung spielt keine sonderliche Rolle mehr, er presst sie vorwärts, pumpt Energie in ihre Körper und die Höhe steigt. Zunächst sind die Wellen kurz, vergleichsweise steil und wandern in wohlgeordneter Formation mit einem Drittel der Windgeschwindigkeit über das Meer. So schnell sie dabei für unser Auge auch sein mögen, der Wind bleibt schneller, der Sturm gibt sie nicht frei und sie wachsen weiter.

      Aber nun nehmen die Wellen eine andere Form an, werden länger und relativ gesehen flacher, gerundeter, der Eindruck konkreter Wellen verblasst hinter dem Gefühl, die ganze Meeresoberfläche würde rhythmisch zu gewaltigen Bergen gehoben und gesenkt. Übersteigt jedoch die Form ein bestimmtes Maß, werden die Wellen instabil. Die grauen, gischtüberzogenen Berge türmen sich dann im Schwerwetter zu Wasserwänden auf, die mehrere Hundert Meter lang sein können und ähnlich einer Brandung am Stand überbrechen können.

      Diese Ereignisse

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