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Edgar“, flehe ich. „Ich würde dich sehr vermissen.“

      Er lächelt. „Wirklich? Würdest du mich vermissen?“

      „Sehr sogar!“ Ich putze mir mit dem Taschentuch, das meine Tochter einst im Kindergarten für mich gestickt hat, umständlich die Nase und äußere danach: „Bitte, Edgar, lass mich jetzt weiterweinen. Meine Tränen spülen alles heraus, was mich in letzter Zeit so traurig macht. Und danke, dass du mir so geduldig zugehört hast. Auch für eure Einladung danke ich.“

      Er sieht mich an, als wollte er etwas sagen. Er macht erst den Mund auf, dann klappt er ihn wieder zu. Dabei lächelt er. Im nächsten Augenblick erhebt er sich. Ich merke, dass er gerne länger bleiben würde. Doch er respektiert meinen Wunsch, geht langsam zur Tür und dreht sich noch einmal nach mir um, wobei er fragt: „Bin ich jetzt zu lange geblieben?“

      „Ach nein, Edgar, es hat mir so gut getan, dass wir uns unterhalten haben.“

      „Helene, überlege dir, wie wir dein Problem gemeinsam angehen können“, bemerkt er, ehe er die Wohnung verlässt.

      Edgar meint es eigentlich immer gut mit mir, auch wenn er mich ab und zu neckt, aber ich finde das harmlos. Erstaunlich ist, dass unsere Freundschaft, die sich immer weiter zu entwickeln scheint, auch einmal eine schlechte Laune oder unüberlegte Worte erträgt.

      Ich begleite Edgar hinaus in den Flur und flüstere: „Nochmals danke dafür, dass du mich angehört hast. Aber mehr kannst du wirklich nicht für mich tun.“

      „Das sehe ich anders“, erwidert er augenzwinkernd und öffnet seine Wohnungstür. Ich denke: Was wird er sich noch alles bezüglich meiner Tochter einfallen lassen, aber ich muss mich selbst um eine bessere Beziehung zu ihr bemühen.

      Während ich etwas später die Bratkartoffeln und das Ei verzehre, laufen mir heiße Tränen über die Wangen. Mich ärgert es, dass ich jetzt nicht abschalten kann. Andererseits befreit mich dieses Weinen aus den Ketten meiner Gefühle. Ich bin nun mal ein Gefühlsmensch, im Gegensatz zu Edgar. Oder täusche ich mich in ihm? Ich will nicht sagen, dass er gefühlsarm ist. Er kann sehr warmherzig zu mir sein, aber er ist meiner Meinung nach ein Verstandesmensch. Manchmal wirkt er sehr sachlich. Von sich selbst sagt er, dass er ein Verkopfter ist.

      Ich lasse den Rest meiner Mahlzeit stehen, obwohl ich erst die Hälfte davon gegessen habe, und werfe mich schluchzend auf die Couch. Mein Schmerz überwältigt mich und ich finde so schnell nicht mehr heraus. Zum Glück übermannt mich bald der Schlaf. Später, beim Erwachen, denke ich sofort wieder an meine Tochter. Ich rufe sie an, bekomme aber keine Verbindung zu ihr. Gegen Abend habe ich mehr Glück. Dietlinde sagt, sie müsse sich erst einmal überlegen, ob sie es überhaupt für angebracht halte, mich zu besuchen. Ich hätte mich schändlich benommen.

      Schändlich? Was für eine Wortwahl!

      Wie das ausgehen wird, ahne ich schon. Sie wird mit Sicherheit nicht zu mir kommen. Ich sage ihr noch einmal, dass ihr Vater an der Scheidung schuld war. „Dietlinde, hör mir mal zu: Dein Papa hat sich wegen einer Jüngeren von mir getrennt. Ich wollte diese Ehe aufrecht erhalten.“

      Sie antwortet frech, dass ihr Vater etwas anderes gesagt habe. Er habe ihr erklärt, dass die Ehe schon vorher den Bach runter gegangen sei.

      „Merkst du nicht, dass er lügt? Immer will er gut dastehen. Wir haben eine sehr gute Ehe geführt, bis er sich verliebt hat.“

      „Als du arbeiten gegangen bist, war plötzlich alles anders. Du hast dich auch nicht mehr um mich gekümmert. Wenn Papa heinigekommen ist, hat er mich in die Arme genommen und für mich gesorgt.“

      „Danke für deine Ablehnung“, stöhne ich und will auflegen, aber sie tut es noch vor mir. Keinen Schritt bin ich weitergekommen. Ob ich ihr einen Brief schreiben soll. Das mache ich am nächsten Tag. Selbst nach zwei Wochen kommt keine Antwort zurück. Ich nehme mir vor, sie erst in den Adventstagen wieder anzurufen, um sie zu Weihnachten einzuladen. Womöglich sollte ich ihr jetzt etwas Zeit zum Nachdenken lassen. Ich sehne mich nach Frieden mit ihr.

      Am Freitag vor Pfingsten um die Nachmíttagszeit kommt bei Edgar der Besuch aus Wien. Längst hat er meinen Klappsessel abgeholt. In der nächsten halben Stunde besucht mich Lörchen. Ich sehe sie an und denke, dass sie schon wieder gewachsen ist. Ein halbes Jahr lang habe ich sie nicht gesehen. Sie trägt ein weitschwingendes kurzes Kleidchen in Rosa, worunter ihr weißer Schlüpfer zu sehen ist, dazu weiße Kniestrümpfe. Ihre braunen Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten, die je eine Schleife in der Farbe ihres Kleides Zusammenhalten. Ich finde ihr Aussehen und ihre Art zauberhaft und drücke sie fest an mich. Als ich sie lange in meinen Armen halte, befreit sie sich aus meiner Umarmung. Sie lächelt mich an und sagt: „Tante Helene, ich freue mich schon auf die Schule.“

      „Gut so. Dann braucht dir bald keiner mehr etwas vorlesen. Dann kannst du selbst Geschichten lesen.“

      „Und schreiben. Ich möchte Geschichten schreiben wie mein Opa.“

      „Dann willst du Schriftstellerin werden? Eine gute Idee. Dein Opa wird sich riesig darüber freuen.“

      Sie lächelt. „Warum schreibst du keine Geschichten, Tante Helene?“, fragt sie mich.

      „Weil mir nichts einfällt. Meine Fantasie reicht dazu nicht aus.“

      Sie grinst mich an. „Dir fällt doch immer was ein, meistens was Gescheites“, bemerkt sie, worüber ich lachen muss.

      Bevor sie geht, schenke ich ihr eine Tafel Schokolade. Ich verspreche ihr, übermorgen zum Mittagessen zu kommen. Sie hält mir die Hand hin. „Schlag ein, dass du es machst. So machen es Viehhändler auch, wenn sie eine Kuh kaufen.“

      Erstaunt blicke ich Lörchen an. „Wie? Warst du schon einmal dabei, weil du das so genau weißt?“

      „Meine Mama hat mir erzählt, dass mein Opa, der einen großen, großen Bauernhof hat, es so macht, wenn er die Viecher verkauft oder kauft. Er hat zehn Kühe und zwei Pferde. Eine von den Kühen heißt Lörchen wie ich. Wir sind ja miteinander verwandt.“

      Ich muss lachen, was mir die Kleine übel nimmt. Sie rennt aus meiner Wohnung, ohne sich zu verabschieden.

      Am Pfingstsonntag um die Mittagszeit läutet sie bei mir und holt mich zum Essen ab. Ihren Ärger hat sie längst wieder vergessen.

      Ich begrüße zuerst Edgars Sohn, weil er mir am nächsten steht und dann seine Frau, die ich zum ersten Mal sehe. Ich überreiche ihr einen Sommerstrauß. Außerdem schenke ich ihr noch eine Schachtel Pralinen. Lörchen will danach greifen, aber ihre Mutter klopft ihr auf die Finger und sagt: „Du kleine Naschkatze, fetzt wird erst einmal etwas Anständiges gegessen.“

      „Ich heiße Marielia“, stellt sich Edgars Schwiegertochter bei mir vor. „Ist es Ihnen recht, wenn wir uns duzen?“

      „Gerne“, erwidere ich. „Ich bin Helene.“

      Mariellas volles, rundes Gesicht strahlt Freude aus, als wir uns die Hand reichen. Die Familie bittet mich an den großen, langen Tisch, der in Edgars kleinem Wohnzimmer viel Platz ein nimmt. Ich setze mich zwischen Edgar und Lörchen. Sie lächeln mich beide so nett an, dass mir warm ums Herz wird. Ich sitze zwar öfter hier zusammen mit Edgar, aber heute macht es mir besondere Freude, an diesem Tisch Platz nehmen zu dürfen.

      Marielia, die das Essen gekocht hat, trägt es zusammen mit Lörchen auf. Es gibt einen riesigen Serviettenkloß, von dem die Köchin Stücke rund wie Plätzchen abschneidet. Dazu gibt es einen Kalbsbraten mit einer leckeren Soße. Mariella hat eine Gemüseplatte mit Karotten, Bohnen und Erbsen vorbereitet. Darüber hat sie Petersilie gestreut und geschmolzene Butter geträufelt. Es gibt auch noch einen Salat dazu. Danach erhält jeder ein Schälchen mit Mangopudding. Lörchen isst noch eine zweite große Portion. Sie packt auch noch die von mir geschenkte Schokolade aus und nascht davon zwei Rippchen. Sie bietet ihrer Mutter etwas davon an, aber Marielia schüttelt den Kopf und sagt: „Kind, kriegst du immer noch nicht genug von den Süßigkeiten?“

      „Lörchen lacht. „Süß ist besser als sauer und salzig.“

      „Du

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