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Leben lang, freiwillig, ohne Auftrag von außen.

      Na ja, so ganz stimmt letzteres freilich wiederum auch nicht. Selbstredend kam der Auftrag ursprünglich von außen, wenn man nicht sogar von 100 % Fremdsteuerung sprechen kann. Die Mechanismen hat man allerdings längst verinnerlicht und fühlen sich an, als seien sie dem eigenen Ich höchstpersönlich entsprungen. Jedenfalls liegen triftige Gründe für die Annahme vor, dass meine Selbstüberwachung nicht auf Einbildung beruht. Bei Licht besehen, reichen die Anfänge der Fremdsteuerung bis ins Kindbett zurück, als meine fremdgesteuerten Eltern nur zu bald anfingen, mir zuzumuten, ich solle auf Muttermilch verzichten, mich nicht ständig einnässen, im Kopf behalten, dass 2x2=4 ist usw. Später fand dies seine Fortsetzung in ständigen Ermahnungen, ich solle mich nicht schmutzig machen, auf meine Kleidung achten, die Nase putzen und dergleichen mehr. Dessen nicht schon genug, setzte mich die Mutter schon früh auf Liebesentzug, denn mit Liebe einen Knaben verzärteln, macht ihn später untauglich fürs entbehrungsreiche Mannesleben. Dies allein traf mich schon mit voller kafkaesker Wucht, und war doch erst das Vorspiel zu dem folgenden Desaster, der Konfrontation mit einer eigens für Dressurzwecke eingerichteten Anstalt, bekannt unter dem Namen Schule.

      Jene Schule, die einem all das beibringen soll, was dazu gehört, seinen Körper als Werkzeug zu begreifen und als den Arbeitskraftbehälter, den die kapitale Gesellschaft einem leihweise anvertraut. In dieser Kaserne zur Züchtung gehorsamer Arbeitsroboter wird exakt dort angeknüpft, wo das fremdgesteuerte Elternhaus die qualifizierende Vorarbeit geleistet hat. Hauptdressurinstrumente: Malträtieren, kujonieren und schikanieren. Als Kind drückt man natürlich bei den Eltern ein Auge zu und tut so, als sei alles halbwegs in Ordnung. Schließlich ist man das Opfer von Erpressung und abhängig von deren Gratifikationen, d. h. kostenlos Essen + Trinken + Wohnen, nicht zu vergessen das Versprechen auf Markenklamotten. Die Eltern wiederum machen sich den Staat nur zu gern zum Komplizen, schließlich bedingt ihre eigene Interessenlage, für sich eine Art Sozialarbeiter heranzuzüchten, der ihnen später im Alter unter die Arme greift. Fremdgesteuerte Eltern, die einem den Staat als eine Art gütigen Übervater nahelegen – soll man sich da wirklich wundern, dass Millionen junger Männer ihre Körper frohen Herzens auf den Kriegsschlachtbänken haben zerhäckseln lassen? Aber dies nur am Rande.

      Wir waren ja bei der Zumutung der Selbstüberwachung, eine Routineleistung am eigenen Ich, die unsereins seit Kindheits- und Schultagen tagtäglich im Staatsauftrag ausübt. Die danach durch staatliche und privatkapitalistische Apparate verdoppelt wird. Und nunmehr sollen wir uns die Zusatzleistung abverlangen lassen, sogar die Staatssekurität auf die eigene Kappe zu nehmen?

      Sorry, lieber Leser, ich muss mir jetzt selbst die Fußfessel anlegen und mich einer eingehenden Prüfung unterziehen, inwieweit ich staatszersetzenden Gedanken freien Lauf gelassen habe. Sobald ich aus der Selbstschutzhaft entlassen bin, melde ich mich zurück.

      Aus der Reihe „Bettgeschichten“

      Das Marmorbett

      Es war einmal ein armes unansehnliches Mädchen, das davon träumte, eine wohlgekleidete von allen bewunderte Prinzessin zu sein und in einem Bett aus weißem Marmor zu schlafen. Als eines Tages ein böser Waldgeist davon Wind bekam, verhängte er einen Bann über sie, und prompt erwachte das Mädchen und fand sich angetan in edler Robe als Prinzessin in einem Bett aus edelstem Marmor, worin sie fortan schlafen musste. Zur Freude bestand allerdings kein Anlass, gab es doch außer hartem Gestein weder eine Matratze noch sonst eine weiche Unterlage, auf der man gut ruhen konnte. Alle schiere Verzweiflung half nichts, und es gab kein Entrinnen. So kam es, dass wegen der harten Liegestatt auch die Seele der Prinzessin allmählich versteinerte.

      Die Zeit verging, und eines schönen Frühlingstages kamen zwei bunte Falter des Weges daher geflogen. Sie waren schon müde und setzten auf dem Marmorbett zur Landung an, um eine Weile zu verschnaufen. Bei ihrem Anflug hatten sie allerdings nicht mit der erbarmungslosen Härte des Marmors gerechnet und prallten unversehens hart auf, wobei sie sich einige Beine brachen und ihre Flügel ramponierten.

      Ob des schlimmen Malheurs war die Heiterkeit der Falter augenblicklich verflogen, und beide fingen herzergreifend zu weinen an. Ihr Weinen war so eindringlich und bewegend, dass die Prinzessin mit der versteinerten Seele nach einer Weile aus ihrer Erstarrung erwachte und so tief ergriffen ward, dass sie anfing mitzuweinen. Und kaum, dass sie sich dessen inne wurde, dass sie noch nie für die Leiden anderer ein so starkes Mitgefühl empfunden hatte, geschah etwas Unerwartetes. Die vergossenen Tränen setzten dem harten Marmorbett so zu, dass es sich augenblicklich in ein ausladendes weiches Moospolster von höchstem Liegekomfort verwandelte, was nur echte Tränen zu bewirken vermochten. Vor lauter Erstaunen verschlug es der Prinzessin die Sprache, und sie war auch nicht enttäuscht, als sie bemerkte, dass ihr Gewand nicht mehr das einer Prinzessin sondern das eines einfachen Mädchens war. An Klugheit gewonnen, wusste sie im selben Moment, dass dem Stoff, aus dem die Träume sind, nicht immer recht zu trauen ist, und die Versuchung, sich diesen hemmungslos hinzugeben, daher mit Vorsicht zu genießen sei. – Genau so trug es sich zu und ist bezeugt aus alter Überlieferung.

      Der Universaldilettant

      Es ist bekannt, er macht am liebsten das, was er am besten nicht kann, z. B. aussichtslosen Wahlkampf für eine aussichtslose Kanzlersteilkarriere. Seine Wahlversprechen, so wörtlich: Keine unerfüllbaren Wahlversprechungen. Eine Zumutung, die unsere Begeisterung für den Bartträger aus Würselen sofort erkalten ließ, weil jedermann sofort erkannte, dass er nicht die Absicht hatte, jemals über sich hinauszuwachsen. Wollte er die Maus etwa ohne den geringsten Anschein eines auch nur kleinsten Stückchen Käses in die Falle locken? Warum hat er sich nicht wenigstens propaganda- und lügentechnisch von Donald Trump eine Scheibe abgeschnitten?

      Beim Rauschebart des Propheten, wir misstrauen dem, der uns mit Ehrlichkeit und Biederkeit betrügen will. An Anwärter wie seinesgleichen richtet sich im Wesentlichen der schlichte Appell: ach bitte, mach uns den Kapitalismus wieder schön. Oder sorge wenigstens für blühende Landschaften an den Randstreifen der Autobahnen, damit wir uns im deprimierenden Dauerstau an etwas erfreuen können. Wenn dies nicht einmal rhetorisch in die Nähe von Erfüllbarkeiten gerückt wird, bleibt er wirklich im Rahmen seiner Möglichkeiten.

      Algorithmus

      Hat sich noch nie jemand gefragt, wie es sich mit der Einstein’schen Formel verhält, wonach sich das Universum unaufhörlich weiter ausdehnt, während unsere mickrigen Wohnungen immer gleich klein bleiben?! Was sich allerdings ständig ausdehnt, sind die Miet- und Bodenpreise. Was sagen denn unsere neunmalklugen Nobelpreisträger zu diesem Phänomen? Nach welchem geheimnisvollen Algorithmus geht dies vor sich? Wenn man nachbohrt und hartnäckig fragt, bekommt man als stereotype Antwort stets das ewige Kindermärchen zu hören: der Markt, der Markt, der Markt. Ein anonymes höheres Wesen also. Das Regulativ, das trotz mancher Widrigkeiten angeblich noch alles zum Besten regelt (der Satz stimmt sogar – für eine Minderheit von Absahnern). Es gibt also weder die anhaltende Dauerkrise noch die ausweglose Überschuldung oder das eklatante Scheitern der marktwirtschaftlichen Selbstregulierung, ganz zu schweigen von Wohnungsnot und vom völlig abgehängten Verliererdrittel in unserer Gesellschaft?!

      Sind also die trivialen Posaunen des Lobes über die Grandiosität des Marktes wegen ihres durchschlagenden Erfolgs an sich schon als eine triumphale ideologische Bravourleistung zu betrachten? Oder müssten wir uns gelegentlich mehr mit der Trägheit unseres falschen Bewusstseins beschäftigen?

      Die Tatsachen bezüglich der absurden Wohnraumknappheit jedenfalls sprechen eine deutliche Sprache. Wobei es ja gleichzeitig einen regelrechten Wohnungsbauboom im oberen Preissegment gibt, d. h. es fließt enorm viel Kapital privater Anleger (großer, kleiner, nationaler und internationaler) in diesen Sektor, weil dieser wegen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise als einer der wenigen verbliebenen profitablen Anlagesphären angesehen wird. Dank des Spekulationskapitals entstehen also laufend neue Wohnungen, die kein normaler Mensch bezahlen kann. Der neoliberale Staat gibt dabei Pfötchen, schaut dem Treiben tatenlos zu, so wie er es gelernt hat. Wir stellen also fest: Entscheidungen zu Qualität und Quantität des Bauens werden nicht nach Maßgabe des Bedarfs an bezahlbarem Wohnraum getroffen, sondern in Abhängigkeit von Entwicklungen globaler Kapitalströme und ihrer politischen Regulierung. Was, wo und wie gebaut wird, ist durch Entwicklungen des globalen Kapitalismus und seiner

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