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      Sie blickte auf. "Mach's gut", sagte sie.

      Einen Augenblicke später hatte sie das Stehcafé verlassen.

      Sie hatte einen unsagbar traurigen Blick, als sie ging. Ich habe diesen Blick in jenem Moment nur ansatzweise zu deuten gewusst.

      Später verstand ich ihn besser. Es war exakt jener Blick, den eine junge Frau haben mochte, der gerade das Todesurteil verkündet worden war.

      20

      Ich wusste nicht, was sie für ein Spiel spielte, aber mir war klar, dass sie wohl längst nicht mehr diejenige war, die die Regeln bestimmte. Vielleicht war sie es auch nie gewesen.

      Der Entschluss, ihr zu folgen, war sehr spontan und sehr falsch. Aber hinterher ist man immer schlauer.

      Der Abstand zwischen uns war ziemlich groß, und ich musste höllisch aufpassen, dass sie nicht auf mich aufmerksam wurde. Immer wieder drehte sie sich um und ließ den Blick über die Scharen von Menschen streifen, die sich da dicht gedrängt durch die Fußgängerzone schoben.

      Was das Verfolgen anging, war ich ein Amateur, aber sie war es ebenso, was das Flüchten und Untertauchen betraf. Und so glich sich das am Ende wieder aus.

      Ich folgte ihr durch eine Straße und dann durch noch eine und schließlich bog sie in eine enge Passage ein, die voll von Spiegeln war. Das war für mich besonders unangenehm, denn ich befürchtete ständig, dass sie mich in einem der vielen Spiegel sehen konnte, ohne dass ich selbst es merkte.

      Als ich die Passage hinter mich gebracht hatte, glaubte ich schon, sie verloren zu haben. Mein Blick ging fieberhaft über das hektische Menschenmeer, und ich war nahe daran aufzugeben.

      Dann fand ich sie doch noch.

      Sie versuchte gerade, die stark befahrene Straße zu überqueren und hatte bereits die Hälfte geschafft. Es war lebensgefährlich, was sie da veranstaltete, aber für Lebensgefährliches schien sie Talent zu haben.

      Sie schaffte es auf die andere Seite. Ein BMW hupte. Ein Mercedes-Fahrer zeigte ihr den Vogel. Aber sie hatte es geschafft, und ich konnte jetzt sehen, wie ich hinter ihr her kam.

      Der Abstand zwischen uns wurde größer. Ich folgte ihr in eine Nebenstraße und dann in noch eine. Schließlich sah ich sie in einem Hauseingang verschwinden.

      Ich wartete eine Weile. Sie kam nicht zurück, und ich beschloss, mal nachzusehen.

      Der Hauseingang war nicht abgeschlossen, die Tür nur angelehnt. Es war ein Altbau. Wahrscheinlich würde in absehbarer Zeit die Abrissbirne anrücken.

      Ein paar türkische Kinder rannten eine Treppe hinunter und dann hinaus auf die Straße.

      Ihnen auf den Fersen war ein sehr dicker Mann, vielleicht Mitte fünfzig. Er pustete wie eine Dampflok und schimpfte wie ein Rohrspatz auf die Kinder, die ihn wahrscheinlich damit geärgert hatten, an seiner Wohnungstür zu klingeln.

      "Diese verdammten Kanaken!", prustete er, als sie ihm schließlich endgültig entwischt waren und er keine Chance mehr sah, hinter ihnen herzukommen. "Bälger in die Welt setzen, das ist alles, was die können! Und dann das dicke Kindergeld kassieren!"

      Ich war versucht, ihm zu sagen, dass diese Kinder mal seine Rente bezahlen würden, verkniff mir aber jede bissige Bemerkung und fragte ihn stattdessen nach Annette Friedrichs.

      Er fragte unwirsch zurück: "Sind Sie Polizist oder so?"

      "Nee - nur › oder so‹." Ich hob die Schultern. "Also sagen Sie schon!"

      Der Mann musterte mich kritisch, und ich wartete voller Ungeduld auf das Ergebnis der Prüfung. Bestanden oder durchgefallen?

      Und wenn ich die Niete erster Klasse erwischt hatte, wusste er vielleicht gar nichts.

      Der dicke Saloonkeeper kniff die Augen zusammen.

      "Verschwinden Sie besser aus der Stadt, McCord!"

      "Ich brauche Ihre Hilfe!", sagte McCord gelassen.

      Der Keeper machte eine wegwerfende Handbewegung. "Vergessen Sie's!", meinte er. "Glauben Sie, ich bin scharf darauf, mir Ärger einzuhandeln?"

      "Ich kenne keine Frau, wie Sie sie beschreiben", erklärte der Mittfünfziger schließlich. "Hier wohnt jedenfalls keine. Die wäre mir aufgefallen."

      Richtig, dachte ich. In dieser Umgebung wäre Annette zweifellos aufgefallen. Aber als ich einen Schritt näher an mein Gegenüber herankam, merkte ich, dass der Kerl eine Bierfahne hatte.

      Vielleicht war es also besser, nicht allzuviel auf sein Geschwätz zu geben.

      Ich ließ den Mann stehen, durchschritt den Flur und war dann an einem Fenster, durch das man in einen Hinterhof sehen konnte. Besonders gepflegt sah es da nicht aus.

      "Ich kann Ihnen nicht helfen", hörte ich den Mann sagen und fühlte dabei immer noch seinen misstrauischen Blick auf mich gerichtet.

      "Wo ist der Ausgang nach hinten?", fragte ich, denn ich nahm an, dass Annette Friedrichs schon längst nicht mehr hier war. Möglicherweise hatte sie mich doch bemerkt und diesen Hinterhof dazu genutzt, um mich hereinzulegen und abzuschütteln.

      Wahrscheinlich hatte ich sie also verloren. Endgültig. Aber ich bin einer, der nicht so schnell aufgibt.

      "Meinen Sie, wie es in den Hof geht?", fragte der Dicke.

      "Ja, das meine ich!", gab ich genervt zurück.

      "Den Gang runter, dann links und nochmal links. Sie werden es schon sehen."

      "Danke."

      "Nichts zu danken."

      Ich ging los, und der Kerl stand noch immer da, als ich um die Ecke bog.

      Wenig später gelangte ich in den Hinterhof, und da sah ich ihn am Fenster, und fast schien es mir so, als wolle er sich vergewissern, dass ich auch wirklich ging.

      Ich sah mich in dem Hinterhof ein bisschen um. Eine schmale Gasse führte zwischen zwei moosbewachsenen Wänden zur nächsten Straße.

      Völlig entnervt kam ich dort an.

      Ich fluchte innerlich und ließ den Blick über die Masse der Passanten schweifen.

      Dieses Spiel musste ich verloren geben. Annette Friedrichs würde ich nie wiedersehen.

      Stattdessen sah ich einen anderen Bekannten. Hartmut Werneck, der sich seine Filzlocken gerade mit einer nervösen Bewegung nach hinten strich. Er blickte sich kurz um, als glaube er, vielleicht verfolgt zu werden. Sein Blick ging dabei in meine Richtung, aber er sah gewissermaßen durch mich hindurch.

      Dann ging er schnellen Schrittes davon.

      In diesem Augenblick glaubte ich noch an einen Zufall.

      21

      Als ich nach Hause kam, erlebte ich eine Überraschung. Und zwar eine der unangenehmen Art.

      Ich hatte mir auf dem Rückweg noch ein paar Lebensmittel besorgt und wollte mir jetzt eigentlich etwas kochen. Mit der Tüte in der Hand stand ich vor meiner Wohnungstür, wollte den Schlüssel schon ins Schloss stecken, da bemerkte ich, dass die Tür aufgebrochen war.

      Ziemlich ungeschickt sogar. Wahrscheinlich mit einem Stemmeisen oder etwas Ähnlichem.

      Offenbar war der ungebetene Gast ein Amateur − zumindest, was das Aufbrechen von Wohnungstüren betraf.

      Ich stellte die Tüte ab und stieß die Tür vollends auf. Ich blickte in den Flur und lauschte.

      Nichts zu hören.

      Wahrscheinlich war der Kerl schon lange auf und davon.

      (Vielleicht war es ja auch eine Frau.)

      Ich ging hinein. Obwohl ich es

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