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Arkadien und Cornetti. Barbara Horvatits-Ebner
Читать онлайн.Название Arkadien und Cornetti
Год выпуска 0
isbn 9783347123571
Автор произведения Barbara Horvatits-Ebner
Жанр Книги о Путешествиях
Издательство Readbox publishing GmbH
Als ich mir dann doch Zeit dafür nehme, nochmal im Buch zu schmökern, frage ich mich, ob ich es überhaupt schaffen werde, die Details so differenziert wie Goethe wahrzunehmen. Er konnte über die Apfelbäume in Südtirol ja eine ganze Seite schreiben. Vielleicht lag es auch nur an seiner Sprachkunst, mit der er jedes Detail seiner Gedanken zum Ausdruck brachte. Eventuell habe ich genauso viele und gute Gedanken, kann sie aber nicht in der verspielten und eloquenten Art und Weise wie er zu Papier bringen. Ich nehme mir aber vor, mir auf Reisen um diese Feinheiten keine Gedanken zu machen, denn erstens würde ich einem sprachlichen Vergleich mit Goethe sowieso niemals standhalten und zweitens könnte es mir jeglichen Genussmoment verderben. Meine Worte müssen also genügen, auch wenn sie nicht so poetisch sind.
In der letzten Woche plagen mich wieder Zweifel und die wildesten Gedanken, zum Beispiel zum eigentlichen Zweck meines Vorhabens. Goethe meinte, seine Reise wäre eine Art Flucht gewesen. Seiner spontanen Abreise nach zu urteilen ist das auch sehr treffend. Doch was ist es bei mir? Der starke Wunsch nach einem Abenteuer, das Gefühl, sich einmal einen Traum erfüllen zu können, Trotzreaktion auf die eigenen Ängste vor dem Alleinreisen, Suche nach mir selbst? Vermutlich von allem ein bisschen.
Nicht wirklich einfacher macht die ganze Situation eine Diagnose meines Frauenarztes. Fünf Tage bevor es losgeht, entdeckt er bei einer Kontrolluntersuchung eine fünf Zentimeter große Zyste auf meinem Eierstock. Er schlägt zwar keine Panik, weil es prinzipiell nichts Gefährliches ist, aber will mich in vier Wochen zur Kontrolle wiedersehen. Das muss ich ihm leider absprechen, da ich ja nicht da sein werde. Also gibt er mir ein Ultraschallbild meiner ungewollten Reisebegleitung mit, um den italienischen Ärzten im Fall des Falles gleich zeigen zu können, was der Grund meines Aufsuchens ist. Er legt mir noch nahe, möglichst auf Yoga, rhythmische Sportgymnastik und andere Verrenkungen zu verzichten und bei Schmerzen sofort in ein Krankenhaus zu fahren, da ich sonst meinen Eierstock verlieren könnte. Das sind definitiv keine Nachrichten, die man vor einer großen Reise braucht!
Die allerschlimmste und bedrückendste Empfindung ist aber nicht die Angst um mich oder mein Gepäck, sondern die Traurigkeit über die Trennung auf Zeit von meinem Mann. Wenige Tage vor der Abreise will ich plötzlich nicht mehr wegfahren, weil er mir jetzt schon so fehlt! In jeder freien Minute schmiege ich mich an ihn, versuche, alles an Nähe und Liebe aufzunehmen, was geht – fast so, als könnte ich eine Batterie auf hundertfünfzig Prozent laden, um in der nächsten Zeit von den Reserven zu zehren. Die Vorstellung, so lange von Harry getrennt zu sein, zerreißt mir das Herz – und die Reise fühlt sich plötzlich nicht mehr richtig an.
Die Abreise
Der 16. März 2018, der Tag des Abschieds, ist gekommen und noch nie empfand ich ein so schmerzhaftes Stechen in der Brust. Es tut mir richtig weh, mir vorzustellen, Harry jetzt sechs Wochen – also bis zu seinem Besuch in Neapel – nicht umarmen und küssen zu können. In meinem Kopf macht sich eigentlich nur ein Satz breit: „Hast du dir bei diesem bescheuerten Plan eigentlich irgendwas gedacht?“
Doch es hilft nichts, mein Entschluss steht fest und zum Glück stärkt mir mein Mann auch den Rücken. So fährt er mich zum Bahnhof und begleitet mich zum Zug. Ihn durch die Fensterscheibe zu sehen, zerreißt mir fast das Herz. Ich laufe nochmal zur noch geöffneten Tür hin und bin ganz kurz davor, wieder auszusteigen und daheim zu bleiben. Der Grund, dass ich es doch nicht tue, sind seine Worte: „Komm, du machst das jetzt, hast eine wunderschöne Zeit und erlebst super Sachen!“, bestärkt er mich. So beschließe ich also doch im Zug zu bleiben, im Wissen, den wohl besten Mann auf der ganzen Welt geheiratet zu haben. Es wäre für ihn nämlich ein Kinderspiel gewesen, mich zum Bleiben zu überreden, aber er kennt mich: Ich hätte mich im Nachhinein unglaublich darüber geärgert, was für ein feiges Würstchen ich doch bin.
Nun sitze ich tatsächlich im Nachtzug nach Innsbruck und als er ganz langsam losrollt und wir uns ein letztes Mal zuwinken und Küsschen schicken, rollen mir Tränen über die Wangen. Würde ich mir nicht mit fünf weiteren Leuten das enge Abteil teilen, so hätte ich schon längst losgeheult. Dafür bin ich dann doch etwas zu stolz. So weine ich nur ganz leise in meinen Schal hinein und atme tief durch.
Mir wird in den nächsten Minuten ein Planungsfehler bewusst: Eine Fahrt mit dem Nachtzug am Freitag war keine gute Idee – ich sitze nämlich in einem vollen Zug. Auf meinen bisherigen Reisen nach Innsbruck buchte ich nie einen Liegewagen, da ich unter der Woche meist ein Sechserabteil für mich alleine hatte und mich ausbreiten konnte. Nun ist an gemütlichen Schlaf aber nicht zu denken. Es ist eng, stickig und immer, wenn es mal jemand im Abteil schafft, zu schlafen, demonstriert er oder sie das lauthals mit Schnarchen. Dazu kommt etwa alle halben Stunden ein Stopp, der mich immer wieder aus meinem ganz leichten Dämmerschlaf reißt. Ich muss an Goethe denken, der sich auf seinen Kutschenfahrten den Wagen auch oft mit anderen Fahrgästen teilte. Dennoch gehe ich jede Wette ein, dass er bei diesen Fahrten mehr Platz hatte als ich bei dieser Zugfahrt.
Zwischenstopp in Innsbruck
Um fünf Uhr Früh erreiche ich schließlich Innsbruck. Müde steige ich aus dem Zug und beschließe, erst einmal ordentlich zu frühstücken. Zum Glück hat der Bäcker im Bahnhof schon geöffnet und ich schlage dort eine gute Stunde tot, ehe ich mich auf einen Stadtspaziergang begebe.
Auch Goethe machte in Innsbruck einen kleinen Zwischenstopp und erzählte von einer Prozession an einem kirchlichen Festtag. Als ich so durch die Straßen schleiche, halb dunkel, halb dämmernd, kann auch ich Pilger beobachten. Ein Blick in die Gesichter der Partytiger verrät, dass diese jedoch nicht auf dem Weg zu einer Kirche, sondern vom Fortgehen nach Hause sind. Wenigstens bin ich nicht die einzige übermüdete Person hier. Bald bin ich aber vollkommen allein in den Straßen. Die Nachtschwärmer sind nun schon daheim und für die Einheimischen und Touristen ist es noch zu früh.
Innsbruck ist mir aufgrund meiner zahlreichen Fortbildungen hier gut bekannt, in der Innenstadt kenne ich jede Gasse. Trotzdem will ich mich genau dorthin begeben, um sie einmal richtig verlassen zu erleben. Es fühlt sich sehr anmutig und schön an, einmal in aller Ruhe durch die Maria-Theresien-Straße zu flanieren und das Goldene Dachl anzusehen, ohne angerempelt zu werden oder einem Fotografen im Weg zu stehen. Ich genieße den Frieden des Morgens. Dabei sinniere ich so vor mich hin, frage mich, wie und wo ich Goethe auf dieser Reise wohl begegnen werde, als ich plötzlich vor einem Schild stehe. Auf diesem ist in großen, gelben Buchstaben „Goethe-Stube“ zu lesen – in diesem Moment bin ich hellwach. Ich befinde mich beim Gasthaus Goldener Adler, in dem Goethe damals offenbar Rast machte. Eine große Steintafel verrät, dass sich hier schon viele berühmte Personen einfanden, darunter neben Goethe zum Beispiel der Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer oder Kaiser Joseph II. Lächelnd verstehe ich diesen Wink des Schicksals: Ich muss oder soll Goethe also nicht suchen, sondern er wird mir im richtigen Moment begegnen. Dieses Erlebnis macht mich so glücklich, dass der Trennungsschmerz von daheim und die überwältigende Müdigkeit für kurze Zeit vergessen sind und ich mit großer Vorfreude auf diese Reise blicke. Ich habe das Gefühl, dass es das Leben gut mit mir meint und ich mir keine Sorgen machen muss.
Zufrieden schlendere ich zurück in Richtung Bahnhof, mache dann aber noch einen kleinen Umweg über mir bis dato unbekannte Ecken und habe beim Zurückspazieren die Nordkette voll im Blickfeld. „Von Innsbruck herauf wird es immer schöner, da hilft kein Beschreiben“, schrieb Goethe. Ich kenne und mag die Nordkette und stimme ihm ungebrochen zu. Sie steht dort, majestätisch und schroff, und es scheint, als ob sie stets ein wachsames Auge auf die schöne Stadt am Inn hätte. Über die Schönheit der Berge mit mir selbst philosophierend, rollt mein Zug gegen neun Uhr langsam Richtung Südtirol los. Leider starte ich nicht im September wie Goethe und so sehe ich den Brenner nicht in der Art, wie er ihn im Buch beschrieb. Keine Spur von grünen Feldern oder Pflanzenvielfalt, sondern weit und breit nur Schnee. Ich finde die Landschaft, die da an mir vorbeizieht, ziemlich unspektakulär, vielleicht holt mich aber auch einfach nur die Müdigkeit ein.
Der Moment aber, als der Zug die Grenze zu Italien überquert, die Schilder nun zweisprachig werden und ich vom ÖBB-Zug in einen Südtiroler Wagen umsteige, ist besonders. Ich