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und ihnen zu demonstrieren, dass er von allem noch ein bisschen mehr verstand.

      Ein letztes winziges Stück Kuchen befand sich noch auf der großen Platte.

      „Nimm du dieses Stück, Anita“, forderte ich sie auf und goss mir Kaffee aus der Thermoskanne in meine Tasse.

      „Nein, ich habe ja schon davon gehabt, dies ist jetzt selbstverständlich für dich!“ Belustigt hörten die gesättigten Chirurgen von vorhin unserem Dialog zu.

      „Der Kuchen ist wirklich ausgezeichnet“, stellte ich nach dem ersten Bissen fest. Der Kaffee hingegen war lediglich lauwarm. Anita nickte und lehnte sich zufrieden zurück.

      „Na Anita, du siehst müde aus. Wie verbringst du deine Nächte?“, fragte der Chirurgieassistenzarzt von eben. Er liebte es, Frauen mit Sprüchen solcher Art zu provozieren.

      Die operationssaalerprobte Anita war aber offensichtlich für solche Situationen gewappnet. „Meistens schlafend, aber falls ich mitgenommen aussehe, habe ich in einem Albtraum womöglich dich erblickt“, antwortete sie postwendend, ohne zu erröten.

      Dies quittierten die grün Gekleideten laut lachend.

      „Und ich dachte schon, ich sei dein wirklicher Traummann“, offenbarte der Chirurg seine Selbstüberschätzung, doch wie ein Traummann sah er mit Hakennase und schütterem Haarwuchs nun wirklich nicht aus.

      „Tja, wie man sich täuschen kann, mein lieber Alptraumchirurg.“

      Da öffnete sich die Türe und eine großgewachsene deutsche Anästhesieschwester betrat den Raum.

      „Dein Patient für die Schilddrüsenoperation ist eben eingetroffen!“, rief sie lautstark in die lachende Runde. Erst mit Verzögerung stellte ich fest, dass ich gemeint war, es handelte sich um meinen Patienten.

      „Was denn, jetzt schon? Der eine kommt zu früh, der andere zu spät, fabelhafte Organisation!“, ärgerte ich mich und stand nach einem hastig hinuntergewürgten Bissen auf.

      Ich war mir fast sicher, dass Huber mir das eingebrockt hatte, denn meistens bestellte er die Patienten. Da mein Saal Nummer fünf noch für eine Weile besetzt war – der zweite Eingriff hatte eben erst begonnen – war es unsinnig, mit der Narkose schon jetzt zu beginnen. Obwohl die meisten meiner Kollegen das so handhabten. Doch ich wollte dem Patienten eine zu lange Narkose ersparen und wartete. Ich beschränkte ich mich auf eine lockere Unterhaltung, um so meinem Gesprächspartner etwas die Angst zu nehmen.

      Er plauderte munter und schien von der verabfolgten Prämedikation2 nur wenig bis überhaupt nicht gedämpft zu sein. Schließlich bereitete ich gemächlich die Narkose vor.

      In aller Ruhe wollte ich eine Venenkanüle legen, wie dies bei jeder Operation zur Routine gehört, als ich plötzlich Atemzüge in meinem Nacken spürte. Unweigerlich schaute ich zurück und blickte in die stechend grünen Augen von Huber. Unangenehm nahe stand er hinter mir, und er schien ungeduldig zu sein. Ich spürte jeden seiner Atemzüge, und zu allem Übel musste ich dabei den nicht minder stechenden Duft seines Aftershaves einatmen. In diesem Moment wurde mir klar: Ich konnte Huber nicht riechen.

      „Was hast du denn bis jetzt gemacht?“, fragte er.

      Sein Blick irritierte mich. Kurz erklärte ich die Situation, hatte aber den Eindruck, der Oberarzt höre gar nicht richtig zu. So konzentrierte ich mich wieder auf meine Arbeit. Leider bot sich am linken Patientenarm keine Vene zur Punktion an, sodass ich auf die andere Seite wechselte und am rechten Arm suchte.

      „Soll ich übernehmen?“, fragte Huber ungeduldig. Er stand mir direkt gegenüber und fixierte mich starr und unfreundlich. Sein Adrenalinspiegel musste deutlich angestiegen sein, seiner Gesichtsröte und gesteigerten Atemfrequenz nach zu urteilen. Die Atmosphäre im stets kühlen OPS wurde noch frostiger.

      „Nein, ich versuche es selbst“, entgegnete ich, ebenfalls von Stresshormonen durchflutet. Mein Stolz ließ es nicht zu, das Feld zu räumen und den Oberarzt die Infusion legen zu lassen. Zudem hatte ich ja noch kein einziges Mal daneben gestochen.

      Hubers drängendes, ungeduldiges Verhalten begriff ich überhaupt nicht. Wozu verbreitete er eine solche Hektik? Uns blieb für die Vorbereitung alle Zeit der Welt; Eile war da schlicht fehl am Platz. Ich wunderte mich indessen, warum sich mein Oberarzt so leicht aufregte. Ich sah auf die Kette um seinen Hals, an der ein großer silberner Fische-Anhänger baumelte. Er gehörte zum Sternzeichen Fische – wie ich. Die Astrologie war auch nicht, was sie zu sein vorgab.

      Ich hatte große Mühe, mich zu konzentrieren. Aber trotz all dieser widrigen Umstände gelang mir die Punktion beim ersten Versuch. Leider zog Huber noch immer nicht ab und suchte nach neuen Angriffspunkten für Kritik. Ihm fiel auf, dass der Patient sehr gesprächig war.

      „Den Patienten hast du aber schlecht prämediziert!“, meinte der Oberarzt despektierlich und wandte sich kopfschüttelnd ab. Pikanterweise war es aber Huber selbst, der am Vorabend meine Verordnung geändert und durch ein schwächeres Medikament ersetzt hatte.

      Ich blieb wie angewurzelt stehen und war fassungslos. Nicht ein Wort brachte ich hervor. Musste ich mir das anhören? Während ich innerlich brodelnd überlegte, war Huber schon verschwunden. Schließlich beschloss ich, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Huber hatte offenbar ein schlechtes Gedächtnis und würde mir meine Version gar nicht glauben. Am meisten ärgerte ich mich darüber, wie despektierlich mein Oberarzt ‚schlecht prämediziert‘ vor dem Patienten aussprach. Der kurze Wortwechsel schien den Herrn auf dem Operationstisch zu beunruhigen.

      „Was meinte er damit?“, fragte er ängstlich. „Wieso bin ich schlecht präsentiert?“

      „Der EKG-Monitor ist für Sie schlecht positioniert“, erklärte Schwester Anita geistesgegenwärtig, die unbemerkt dazugekommen war und den Monitor umgehend in eine für den Patienten günstige Position drehte. Sie hatte Hubers unsensible Bemerkung elegant ausgebügelt.

      „Hier sehen Sie Ihre eigenen Herzschläge.“

      „Aha, ja ich glaube, mein Herzschlag beschleunigt sich, schon wenn ich Sie anschaue, Schwester!“

      Nach diesem holprigen Kompliment erlebte ich Anita erstmals leicht verlegen.

      „Ihren Herzschlag werden wir während der Narkose schon wieder zügeln. Sie werden jetzt gleich einschlafen“, erklärte ich, und wir starteten endlich mit der Narkoseeinleitung. Damit war der sich anbahnende Einbahnflirt auch schon wieder beendet.

      Huber stand wieder im Raum und ich fragte mich, ob der Kaffee ausgegangen war.

      „Ich habe vergessen, dir zu sagen, dass du mich am Ende der Operation rufen sollst. Weißt du, wieso? Weißt du, was man nach jeder Schilddrüsenoperation kontrollieren muss?“

      „Nein“, gestand ich.

      „Na, nicht mal das weißt du!“, wertete Huber meine Antwort mit einer abschätzigen Handbewegung. „Die Stimmbänder müssen kontrolliert werden wegen einer möglichen Nervenverletzung. Es ist möglich, dass während des Eingriffes der Nervus recurrens beschädigt wird“, belehrte er mich und verließ kopfschüttelnd den Saal.

      „Lass dich von solchen Sprüchen nicht beeindrucken“, munterte mich Anita kurze Zeit später auf, „der Huber ist manchmal einfach schlecht gelaunt.“

      „Danke Anita, aber ich weiß, gewisse Leute mag er, andere weniger.“

      Ehe sie etwas erwidern konnte, betrat mein Kollege Thomas Walker, der in Saal vier beschäftigt war, den Raum.

      Walker hatte seine Stelle gleichzeitig mit mir angetreten. Schon dieser Umstand verband uns in dem großen unpersönlichen Spital. In den vergangenen drei Monaten hatten wir uns angefreundet. Vom Sport kannte wir uns schon flüchtig, wir waren beide leidenschaftliche Fechter, jedoch in unterschiedlichen Vereinen. Zwei große rivalisierende Fechtclubs gab es in Zürich, und die Beziehungen untereinander waren zuweilen etwas angespannt. Doch mit Thomas Walker verstand ich mich seit jeher von Jahr zu Jahr besser. Vielleicht auch, weil wir beide Medizin studierten. Er schloss ein Jahr vor mir ab, legte dann ein Zwischenjahr

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