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ich schimpfen, habe mich dann aber bei dem Kapitän bedankt, dass er mir quasi das Leben gerettet hatte. Sonst wären dort zwei Tote an Bord. Ich fragte ihn:

      »Wenn Sie so gefährliche Fracht transportieren, müssen Sie doch wohl auch Atemschutzgeräte an Bord haben?!«

      »Ja, haben wir. Das sehen die Sicherheitsvorschriften so vor.«

      Oh, Atemschutz auf dem »Seelenverkäufer«! Dies hatte ich auf diesem Schiff allerdings nicht unbedingt erwartet.

      In meiner aktiven Zeit bei der Freiwilligen Feuerwehr bin ich an Atemschutzgeräten ausgebildet worden – und das konnte ich ja wohl noch nicht verlernt haben! Ich bat ihn, mir die Ausrüstung heranzuschaffen. Mein Plan war, das Tau, was noch immer an der Leiche war, hochzuholen und dann hätten wir sie zusammen hochziehen können. Das war ein sehr guter Plan, den ich aber sofort wieder vergessen konnte, als der Kapitän sagte, dass die Atemschutzgeräte alle defekt seien. Sie sind noch nie in all den Jahren gebraucht und auch nie überprüft worden!

      Hatte ich es nicht gesagt: »Seelenverkäufer« bleibt halt doch »Seelenverkäufer«! Bei dem kleinsten Unfall hätten sie noch mehr tote Seeleute an Bord haben können. Über die Reederei konnte man sich nur wundern. Wenn ich mich recht erinnere, hatte der Dampfer die Billigflagge eines afrikanischen Staates.

      Also: neue Lage, neue Entscheidung. Ich bat meinen Kollegen:

      »Geh' doch mal bitte ans Funkgerät in unserem Wagen und frage in der Zentrale nach, ob sie uns zwei Mann von der Berufsfeuerwehr mit Atemschutz schicken, die die Leiche hochziehen können.« (Handys gab es zu der Zeit noch nicht.)

      Es dauerte gar nicht lange, als von draußen das bekannte »LA – LÜ – LA – LA – « zu hören war. Das ging aber schnell, dachte ich noch so bei mir, aber dann erneut eine Überraschung. Es kamen nicht zwei Feuerwehrmänner, sondern ein ganzer Löschzug an. Mit Löschfahrzeug, Tanklöschwagen und der großen Drehleiter! Irgendetwas muss bei der Nachrichtenübermittlung durcheinander gekommen sein. Wie die Feuerwehrmänner uns erklärten, waren sie bei dem Anruf von einem schweren Arbeitsunfall an Bord eines Schiffes ausgegangen. Jedenfalls war jetzt alles, was in dieser Nacht in der Stadt Kiel Nachtdienst hatte, im Nordhafen versammelt. Zwei Feuerwehrmänner holten die Leiche an Deck und brachten sie in eine Kajüte, in der wir mit der Untersuchung beginnen konnten. Ich will hier auf die Einzelheiten unserer kriminalistisch-medizinischen Untersuchungen nicht näher eingehen. Sie entsprachen natürlich nicht rechtsmedizinischen Ansprüchen, sondern vielmehr ging es darum, erste Spuren zu finden und zu bewerten, die in einem Zusammenhang mit der Todesursache standen.

      Als unsere Ermittlungen erledigt waren, tranken wir gemeinsam noch eine Flasche zollfreies malaysisches Bier mit dem Kapitän (Norddeutsches Bier schmeckt besser) und gingen dann mit unserem »Kunden« von Bord.

      Weil sie wohl sonst nichts zu tun hatten, legten die Zollbeamten sehr großen Wert auf Kontrollen, als wir den Freihafen verließen. Sie kontrollierten nicht nur den Leichenwagen und die Leiche unter dem Tuch, sondern auch noch unsere Aktentaschen! Ja, glaubten diese netten Kollegen etwa, wir wären Schmuggler?!

      Aber was den Zoll angeht, so hatten die Zöllner schon seit dem Altertum einen fürchterlich schlechten Ruf. Das kann man in der Bibel nachlesen!

      Eines muss ich an dieser Stelle doch noch klar hervorheben. Ich hatte es während meines Berufslebens noch nie – und später auch nicht – mit einem Verstorbenen zu tun, der so einen angenehmen Geruch nach frischen Apfelsinen ausströmte.

       »Und das Unglück schreitet schnell.«

      Friedrich von Schiller

       NATO-Übung »Bold Guard«

      Ich war gerade seit einem halben Jahr Kriminalkommissar – ein Titel, der bei manchen Menschen Respekt, bei anderen vielleicht auch Bewunderung auslöste - als mir ein herausragender Fall verantwortlich übertragen wurde.

      Das schöne an unserem Beruf war die Tatsache, dass man Einblick in sämtliche Bereiche der Gesellschaft bekam und dabei Kenntnisse und Erkenntnisse erlangte, die der großen Mehrheit der Bevölkerung verschlossen waren. Wenn ich den Beruf als »interessant« bezeichnen würde, wäre er damit nur unzureichend beschrieben. Je nach Fall konnte er lehrreich, packend, instruktiv, spannend, reizvoll sein, weil die Inhalte und Ergebnisse stets unterschiedlich waren.

      Lehrreich waren auf jeden Fall Tätigkeiten und Ermittlungen im Zusammenhang mit militärischen Ereignissen, Behörden und Dienststellen. Das Militär mit seinen Teilstreitkräften war ja kein Staat im Staate, sondern hatte sich in unserer Demokratie an die Gesetze und Rechtsvorschriften zu halten wie jeder andere Bundesbürger oder jede andere Institution auch. So konnte es durchaus geschehen, dass ein Kriminalkommissar einem ranghohen Militärangehörigen trotz des gewaltigen Besoldungsunterschiedes sagte, »was Sache ist«! Ich gebe zu, dass dies die absolute Ausnahme war, in der Regel war die zielgerichtete Zusammenarbeit positiv und von gegenseitigem Vertrauen und Verständnis geprägt.

      Mit den schwimmenden Einheiten der Marine hatte ich allerdings schon praktisch seit dem Kindesalter Kontakte gehabt. Berührungsängste waren mir fremd. Ich wuchs in Kiel auf und habe in dieser Hafenstadt die ersten 25 Jahre meines Lebens verbracht. Kiel als Austragungsort des größten Segelereignisses der Welt, der »Kieler Woche«, zog jedes Jahr Kriegsschiffe aller Nationen und aller Größen an. Schon als Kinder waren wir in der Lage, Schiffstypen zu unterscheiden. Wir wussten, was einen Zerstörer von einem Versorgungsschiff unterschied, kannten Minensucher und Schnellboote, von U-Booten und Flugzeugträgern ganz zu schweigen. Und wenn die Schiffe für die Bevölkerung zur Besichtigung freigegeben wurden (heute würde man in modernem Deutsch »open ship« sagen), war es für alle Kieler »Buttjes« eine Selbstverständlichkeit, sich auf ihnen zu tummeln und zu versuchen, Kontakte zur Besatzung herzustellen. Die Aufenthalte auf den Schiffen übten eine Faszination wie kaum etwas anderes aus.

      Zu den nationalen Militäreinheiten kamen in Deutschland seit dem Krieg auch militärische Verbände anderer souveräner Staaten. Ihre »Besuche« hatten allerdings nichts mit der Kieler Woche zu tun, Rechtsgrundlage für ihren Aufenthalt war das NATO-Truppenstatut, das sehr detaillierte Regelungen zu allen Fragen der Stationierung enthielt. Polizeiliche Eingriffe, Ermittlungen und andere Maßnahmen deutscher Behörden standen unter dem strikten Vorbehalt, den das Statut vorsah.

      Dies zur Erklärung vorweg; doch nun zu dem eingangs genannten Fall, der uns zwang, sich nicht nur mit militärischen Strukturen unserer Bundeswehr, sondern auch mit dem riesigen Komplex »NATO« zu befassen. Hinzu kam — und das vereinfachte die Angelegenheit auch nicht gerade — dass sehr viel in der NATO-Sprache Englisch erledigt werden musste.

      Im September 1974 führte das Hauptquartier der Alliierten Landstreitkräfte Schleswig-Holstein und Jütland, kurz HQ LANDJUT, in Schleswig-Holstein eine Korps-Gefechtsübung durch, die den Namen »Bold Guard«, auf Deutsch übersetzt »Kühne Wacht« trug. Dies war nicht nur das erste, sondern auch zwischen 1962 und 1999 das einzige multinationale Korps der NATO, an dem Dänemark, Deutschland und Großbritannien beteiligt waren. Während des Kalten Krieges gehörte zu den Hauptaufgaben u.a. die landseitige Verteidigung der Ostseezugänge, denn der »Feind« stand im Osten. Die Übung fand deshalb praktisch im gesamten östlichen Gebiet des Landes, von der dänischen Grenze bis hinunter zur Elbe statt. Beteiligt waren ca. 40.000 Soldaten, mehr als 10.000 Rad- und Kettenfahrzeuge, einige Dutzend Hubschrauber und 100 Flugzeuge aus Deutschland, Dänemark, Großbritannien und den USA. Es war ein gewaltiger Aufmarsch, den die Übungsleitung LANDJUT in den vielen Abschnitten zu bewältigen hatte, insgesamt die größte Volltruppenübung seit dem 2. Weltkrieg!

      Neben großräumigen Aktivitäten der Heeresstreitkräfte auf dem Land und amphibischen Landungen waren es auch zwei Luftlandemanöver, die Aufmerksamkeit erregten und die in unserem örtlichen Zuständigkeitsbereich stattfanden. Während ein Absprung von Fallschirmjägern einer britischen Brigade damit endete, dass es »nur« 6 Verletzte gab, ca. 25 Springer aus Bäumen geholt werden mussten und es hier keinen Grund für ein (kriminal)polizeiliches Einschreiten gab, verlief der Absprung einen Tag später am 11. September bei Osterrade/Sehestedt am Nord-Ostsee-Kanal weniger glimpflich und führte zu einem Einsatz der Kriminalpolizei. Wir hatten unter

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