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Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff
Читать онлайн.Название Der Seele tiefer Grund
Год выпуска 0
isbn 9783347094444
Автор произведения Beate Berghoff
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Heinrich versuchte, die verschneite Böschung hochzuklettern, aber sein Bein tat übel weh und seine klammen Finger fanden keinen Halt, er rutschte immer wieder ins kalte Wasser zurück. Er bemerkte, wie Entsetzen und Angst an ihm hochzüngelten. Er musste unbedingt aus dem eisigen Wasser herauskommen! Und dann musste er heimreiten, so schnell es ging. Seine Angst stieg, als Heinrich klar wurde, dass er mit Juno nicht mehr würde reiten können. Sein Hengst trieb gerade hilflos den Bach hinunter, er würde sterben.
Er war verloren. Heinrich hatte in Kriegen gekämpft und dem Tod oft ins Angesicht geschaut, aber er hatte immer Glück gehabt. Die Situation jetzt war viel gefährlicher. Er war allein im Eiswasser, und sogar, wenn er es herausschaffen würde, dann standen die Chancen hoch, dass er erfroren war, bevor er nach Rabenegg zurückkam. Heinrich merkte, wie er panisch wurde, obwohl das in Krisensituationen das Dümmste war, was man tun konnte.
Er würde hier sterben, und Heinrich merkte, wie ihm die Tränen herunterliefen. Er war noch so jung, und hatte nicht wirklich etwas geleistet oder geschafft in diesem Leben. Heinrich kam zu dem Schluss, dass er sein Leben vergeudet hatte. Er wollte nicht sterben, nicht so, aber es sah nicht gut aus. Er dachte daran, wie er seinen Verwalter abgekanzelt hatte. Ulrich hatte Recht gehabt, es war nicht gut, alleine in den Winterwald zu reiten. Heinrich wünschte sich sehr, es zurück zu schaffen und Ulrich nochmal zu sehen. Er würde Abbitte leisten, wenn der Himmel ihn nur ließ.
Der Himmel.
Heinrich schauderte. Er hatte im Krieg und auch Zuhause viele grausame Dinge getan. Heinrich war ein strenger Herr, und sein Gesinde hatte nichts zu lachen unter ihm. Er hatte viele von ihnen schikaniert, mit der Peitsche geschlagen, sie geohrfeigt, und manch einen sogar aufhängen lassen. Heinrich musste sich eingestehen, dass es meistens unnötig gewesen war. Seine leibeigenen Bauern in den Dörfern waren nicht besser dran. Heinrich führte ein ausschweifendes Leben, und die Bauern gaben ihm - unfreiwillig – die Mittel dazu. Freundlichkeit oder Barmherzigkeit den Bauern gegenüber hatte Heinrich nicht gekannt. Wozu auch?
Heinrich zitterte so sehr vor Kälte, dass es ihn regelrecht schüttelte. Nicht mehr lange, und er würde vor der Himmelstür stehen. Ob sie ihn dort wohl hineinließen? Heinrich überprüfte sein Gewissen, und immer mehr Tränen strömten über seine Wangen. Er würde sterben, und nur deswegen schaffte es Heinrich, ehrlich zu sich selbst zu sein: Er war ein fauler und grausamer Mensch, der nicht viel Gutes getan hatte. Vermutlich würde er in die Hölle kommen und konnte es jetzt nicht mehr ändern. Heinrich weinte noch mehr. Er begann zu beten, er bettelte Gott regelrecht an um eine zweite Chance. Er wollte nicht sterben, und er wollte nicht in die Hölle. In tiefer Verzweiflung betete Heinrich zu Gott, zu Jesus, zur Mutter Maria und zum Schluss bat er noch seine eigene Mutter um Fürsprache. Sie war so ein wunderbarer und guter Mensch gewesen, sicher war sie im Himmel bei Gott und konnte ihm helfen.
Heinrich fror ganz entsetzlich und klapperte mit den Zähnen. Seine Arme und Beine wurden taub, und er musste sich an den Rand der Böschung setzen. Er konnte nicht mehr, Heinrich gab auf. Er würde sterbe und konnte nichts dagegen tun.
Plötzlich hörte er ein Geräusch und drehte den Kopf. Am Ufer stand Martin. Ausgerechnet der! Martin hatte keinen Grund, ihn zu lieben, und Heinrich wusste das. Trotzdem flüsterte er: „Hilf mir!“ Martin nickte nur. Er nahm einen stabilen Stock und reichte ihn Heinrich, doch der konnte sich nicht festhalten, er spürte seine Arme nicht mehr. Vorsichtig kletterte Martin ein Stück die Böschung hinunter und hielt sich mit einer Hand an einem Ast fest. Den anderen Arm schob er unter Heinrichs Schulter und zog ihn mit einer Kraft nach oben, die Heinrich dem mageren jungen Mann gar nicht zugetraut hätte. Martin zog ihn also aus dem Wasser heraus, die Böschung hoch und fiel dann erst einmal keuchend in den Schnee. Auch Heinrich lag im Schnee und kämpfte gegen die Verzweiflung. Er spürte, wie seine nasse Kleidung langsam an ihm gefror, er war noch lange nicht gerettet.
Martin kam wieder hoch und räumte schnell etwas Holz, das er aus dem Wäldchen mit den umgestürzten Bäumen gesammelt hatte, von seinem grob gezimmerten Schlitten herunter. Der Verwalter hatte ihn in den Wald geschickt, um die Wege freizumachen. Es war eine Heidenarbeit, und er brachte Fuhre um Fuhre Holz ins Gut zurück. Er war bereits zwei Tage an dieser Arbeit und würde noch mindestens 10 weitere Tage brauchen. Kurzentschlossen zog er Heinrich auf die restliche Lage Holz, die noch auf dem Schlitten war, nahm, das Halfter des Zugpferdes und lief los. Heinrich hatte keine Hoffnung mehr, bis Rabenegg war es in diesem Tempo mindestens eine Stunde Marsch, er würde erfroren sein, bevor sie dort ankamen.
Aber Martin lief nicht nach Rabenegg. Nach ein paar Minuten hielt er an einer Höhle an, die er einmal entdeckt hatte. Eigentlich war es mehr ein Felsvorsprung, der von drei Seiten geschützt war. Martin arbeitete öfter im Wald, und im Winter machte er sich hier gerne ein Feuer und wärmte sich, während er sein Mittagsbrot aß. Er hatte immer kleine Zweige und Reißig dort deponiert, damit er trockenes Holz hatte. Er fror oft genug und vermied es, wo er nur konnte. Routiniert entzündete Martin ein Feuer und schlichtete Holz aus dem Schlitten davor. Er legte Heinrich den Arm um, schleppte ihn zum Feuer und setzte ihn davor auf die Lage Holz. Dann zog er Heinrich die nasse Kleidung aus und legte ihm seinen eigenen Mantel und noch eine Pferdecke um.
Martins Mantel war zerschlissen und dreckig, aber das war Heinrich im Moment egal. Es war immer noch furchtbar kalt, aber es war eine große Wohltat, die nassen Kleidungsstücke nicht mehr am Leib zu haben. Langsam gab das Feuer Wärme, und Heinrich hielt Hände und Füße daran. Seine Gliedmaßen tauten wieder auf, was furchtbar weh tat. Heinrich kannte das aus Kriegen im Winter und hielt es einfach klaglos aus. Zum ersten Mal seit dem Sturz ins Wasser schöpfte er wieder Hoffnung. Vielleicht konnte er das Ganze doch überleben, vielleicht bekam er tatsächlich eine zweite Chance.
Martin baute sprichwörtlich aus Nichts ein Gestell aus Ästen, stellte es ans Feuer und hängte Heinrichs Kleidung dran auf. Heinrich bemerkte, dass er bis jetzt noch kein Wort gesprochen hatte.
Sein linkes Bein wurde seltsam warm. Heinrich sah es an und erschrak: Blut lief aus einer großen Fleischwunde. Martin sah es auch. Die Kälte hatte die Wunde bis jetzt zusammengezogen, und mit der Wärme kam die Zirkulation zurück und damit auch die Blutung. Das Bein tat verdammt weh und die Hoffnung, die Heinrich gerade noch gespürt hatte, bekam einen merklichen Dämpfer. Heinrich fror, er war verletzt und weit weg von Zuhause, allein mit einem Mann, der für ihn nichts als Hass übrighaben konnte.
Heinrich erinnerte sich. Seine Mutter war aus Frankreich gewesen, sein Vater hatte sie aus Liebe geheiratet, was sehr selten war. Sein Vater, Karl, hatte sie verehrt und auf Händen getragen. Sie mussten wohl sehr glücklich gewesen sein. Jeden zweiten Sommer reisten sie für ein paar Wochen nach Frankreich, um ihre Familie zu besuchen. Heinrich konnte sich nur sehr dunkel daran erinnern, er war noch klein gewesen. Eines Tages, Heinrich war 5 Jahre alt, waren sie wieder unterwegs von Frankreich nach Hause gewesen. Der Vater war schon vorgeritten, um nach dem Rechten zu sehen und alles für ihre Ankunft vorzubereiten. Die Zeit in Frankreich war wunderschön gewesen, am meisten hatte Heinrich das Meer geliebt, er liebte es noch heute. Er war ab und zu in Frankreich gewesen seither, und sein Hauptziel war immer das Meer. Er konnte dort stundenlang sitzen und den Wellen zusehen und zuhören. Das Meer war beruhigend und verbunden mit wunderbaren Erinnerungen an seine Mutter.
Doch damals, auf dem Heimweg als er fünf Jahre alt war, wurde die Reisegruppe von Wegelagerern überfallen und verschleppt. Sie waren wohl Bauern, die durch einen Brand ihr Dorf und all ihr Hab und Gut verloren hatten, so war es Heinrich erzählt worden. Er und seine Familie hatten ein paar Wochen als Gefangene in irgendwelchen Hütten im Wald gehaust, die Räuber hatten von dem erbeuteten Geld und Schmuck gut gegessen und sich gekleidet. Es wäre nichts weiter passiert, wenn sie die Gefangenen einfach hätten gehen lassen, aber das taten sie nicht. Sie töteten die Begleitsoldaten und vergingen sich an den Frauen, auch an Heinrichs Mutter Melisende und ihrer Schwester Marie. Karl begab sich rasend vor Wut auf die Suche und stöberte die Leute auf. Es musste ein ziemliches Gemetzel gewesen sein, denn es blieb niemand übrig, den Karl der Gerichtsbarkeit